Neue Westfälische 01 - Bielefeld West - (MW) ,
05.07.2011 :
SPD: Fichteheim eine Chance geben
Sennestadt. Die SPD steht der Anlaufstelle für junge Flüchtlinge im Fichteheim positiv gegenüber. Die Sozialdemokraten plädieren an alle: "Geben Sie der Einrichtung und vor allen Dingen den jungen Flüchtlingen eine faire Chance. Nicht das Schüren von Ängsten und Vorurteilen sollte im Vordergrund stehen, sondern Toleranz und Offenheit."
Bis zur Anerkennung als Asylbewerber sei es oft ein langer Weg, heißt es in einer Stellungnahme der Partei. Nun werde eine erste Anlaufstelle für Jugendliche zwischen 14 und 15 Jahren auch in Sennestadt eingerichtet. "Diese Jugendlichen sind allein geflüchtet, vor Krieg und Gewalt. Sie sind teilweise traumatisiert und müssen durch das Clearingverfahren, bevor sie Asyl beantragen können."
Die SPD verweist darauf, dass die jungen Leute nur vorübergehend in der ehemaligen Waldgaststätte untergebracht seien: "Das Clearingverfahren steht im Vordergrund, nicht die Integration." Trotzdem wäre eine Unterkunft näher zum Sennestädter Zentrum wünschenswert gewesen. Dies hätte die Möglichkeit geboten, dass die jungen Menschen am kulturellen und gesellschaftlichen Leben in Sennestadt teilhaben. Außerdem wäre die Anbindung an den ÖPNV natürlich wesentlich besser.
Der Standort "Fichteheim" bedeute dennoch nicht, dass die jungen Flüchtlinge abgeschoben werden, betonen die Sozialdemokraten. "Sondern er bietet die Möglichkeit, in ruhiger Umgebung die Erlebnisse ihrer Flucht und die vorangegangenen Ereignisse zu verarbeiten und neue Kräfte zu sammeln." Dabei erhielten sie umfangreiche fachliche Unterstützung und Begleitung von Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern. Die ersten Sprachkenntnisse würden vermittelt, Freizeitangebote sowie die Möglichkeit des Schulbesuchs gehörten zum Konzept des Trägers.
Die SPD erinnert daran, dass viele Bürgerinnen und Bürger in Bielefeld und gerade auch in Sennestadt selbst ihre alte Heimat verlassen mussten und hier eine neue gefunden hätten. "Der Standort hier bietet uns die Chance, den jungen Flüchtlingen auf ihrem Weg in eine friedliche Zukunft zur Seite zu stehen und sie ein Stück weit zu begleiten."
Die Sozialdemokraten wollen "in Kürze" einen ersten Termin mit dem Träger der Einrichtung vereinbaren und sich über weitere Einzelheiten des Betreuungskonzepts informieren lassen.
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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West, 01.07.2011:
Abgeschoben "ans Ende der Welt" / Scharfe Kritik an Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge in der ehemaligen Waldgaststätte Fichteheim
Sennestadt (sik). Klaus Vogelsang wohnt unmittelbar in der Nachbarschaft des Fichteheims, er kennt es gut: Als Hausmeister von Haus Neuland, das die Gaststätte in den 70 / 80er Jahren gepachtet hatte, war er auch für die ehemalige Waldgaststätte zuständig. Über die Absicht, ausgerechnet dort ausländische minderjährige Flüchtlinge unterzubringen, kann er nur ungläubig den Kopf schütteln. "Das ist, salopp gesagt, eine Bauruine." Dass sich das bis zum 15. Juli ändert, wenn die ersten Jugendlichen kommen sollen, "das kriegen die nie geregelt".
Vogelsang hat wie alle anderen Nachbarn über das Projekt erst aus der Zeitung erfahren. "Und dabei kennen wir uns seit über 20 Jahren. Warum hat man vorher nicht mit uns gesprochen?" Zusammen mit seiner Frau Inge hat er sich das Pilotprojekt der Clearingstelle in Dortmund-Eving angeschaut, das durch zwei Meter hohe Mauern nach drei Seiten geschützt ist und von der AWO als Besitzer der Immobilie betrieben wird. "Das ist ganz was anderes als hier mitten im Wald, hier ist es nach allen Seiten offen - da braucht doch nur mal ein böser Bube vorbei zu kommen und was rein zu werfen." Das wenige Kilometer entfernte Asylbewerberheim in Oerlinghausen sei zwei Meter hoch eingezäunt.
Auch andere Nachbarn verweisen auf die Gefahr politisch motivierter Übergriffe. Etwa Gustav-Adolf Brinkmann, dessen Waldbesitz, rund 40 Hektar, direkt an die Ex-Gaststätte angrenzt. "Das Fichteheim ist überhaupt nicht zu schützen", sagt er, "es ist ja nicht einmal eingezäunt". Die Jugendlichen selbst tun ihm leid: "Ich bin selbst dort aufgewachsen, ich weiß sehr gut, wie abgelegen es dort ist."
Was sollen die jungen Flüchtlinge den ganzen Tag machen? Wie sollen sie zum Schulungszentrum in der Stadt, wie zu ihren in anderen Einrichtungen untergebrachten Freunden oder Verwandten kommen? Auch diese Fragen stellen sich die Anwohner. "Zur nächsten Bushaltestelle sind es rund zwei Kilometer", sagt Brinkmann. Und wie wird die Betreuung "am Ende der Welt" gewährleistet, auch die ärztliche? Was passiert im Winter, wenn Straßen und Wege kaum passierbar seien?
Jetzt im Sommer dagegen ist die Waldbrandgefahr besonders groß. Brinkmann: "Das sind Jugendliche, die wollen auch mal rauchen, ein Lagerfeuer machen oder grillen. Und sie haben auch einiges mitgemacht." Was geschehe, "wenn wirklich etwas passiert? Wer will das im Griff haben?", Polizei und Feuerwehr seien weit weg.
Und schließlich, so fragen sich die Anwohner, wer bezahle das alles? Brinkmann: "Der VfB Fichte hat kein Geld, die Betreiber nicht und die Stadt auch nicht."
Familie Vogelsang und weitere Anwohner haben inzwischen einen Brief über ihre Befürchtungen an den VfB Fichte als Besitzer des Fichteheims und die Wohngemeinschaften e.V. als Träger des Projekts geschrieben. Ein weiterer an OB Pit Clausen ist in Vorbereitung.
Wenig begeistert über die neue Nutzung der Traditions-Gaststätte ist auch Ilka Zeidler, die zweite Vorsitzende der Werbegemeinschaft Sennestadt. Sie bedauerte, dass "ein sehr guter Standort für die Außengastronomie für Sennestadt vertan wurde" und gibt einen Großteil der Schuld daran der Verwaltung. Sie sei "ihrer Pflicht nicht nachgekommen, Bezirkvertretung und Sennestädter frühzeitig einzubinden". Es habe nicht einmal ein Anhörungsrecht gegeben, alles sei "von höherer Stelle" beschlossen worden.
Bildunterschrift: Noch viel zu tun: Die neue Nutzung des Fichteheims stößt bei Anwohnern und Waldbauern auf große Bedenken.
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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West, 14.06.2011:
Junge Flüchtlinge im Fichteheim / Gaststätte wird zur "Clearing-Einrichtung"
Sennestadt (sik). Jetzt ist es raus: In der ehemaligen Gaststätte Fichteheim, die dem VfB Fichte gehört, werden - voraussichtlich schon ab 15. Juli - junge unbegleitete Flüchtlinge (14 bis 15 Jahre) untergebracht. Die Mitglieder der Bezirksvertretung wurden darüber in ihrer jüngsten Sitzung informiert - und reagierten empört: Sie seien über diese Planungen viel zu spät in Kenntnis gesetzt worden, kritisierten sie.
"Ausgesprochen unglücklich" ist aus Sicht der Lokalpolitiker der Standort. "Am äußersten Rand von Sennestadt", brachte es Bezirksbürgermeisterin Elke Klemens auf den Punkt. "Dort kann nicht gewährleistet werden, dass die Flüchtlinge in irgendeiner Weise integriert werden."
Auf Antrag der CDU sprach sich das Gremium dafür aus, dass die Verwaltung die Bezirksvertreter bei den weiteren Planungen beteiligen solle. Es wies zudem deutlich darauf hin, dass es sich beim Fichteheim um einen ehemaligen Gastronomiebetrieb handele, bei dem zahlreiche Voraussetzungen für die Unterbringung von Flüchtlingen fehlten.
Das Land NRW hat 2009 rund 7.000, ein Jahr später bereits circa 14.000 Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund aufgenommen. Deshalb wurde in Bielefeld jetzt eine zweite Aufnahmestelle eingerichtet. Minderjährige Flüchtlinge bleiben rund vier Monate in den so genannten "Clearing-Einrichtungen". In dieser Zeit sollen etwa Identität, Herkunft und der künftige Betreuungsbedarf geklärt werden. Die Jugendlichen sollen Sprachunterricht bekommen, die hiesigen Werte und Normen und "Lebenspraktisches" kennen lernen - Kochen etwa, Wäsche waschen, Benutzung des ÖPNV und der Umgang mit Geld.
Info / Standorte
Fichteheim, Senner Hellweg, Wohngemeinschaften e. V., 14- bis 15-jährige Jungen, 16 Plätze.
Remterweg, Stiftung Bethel, 16- bis 17-jährige Jungen, 18 Plätze.
Bunzlauer Straße, von-Laer-Stiftung, 16- bis 17-jährige Jungen, 18 Plätze.
Osningstraße, AWO-Bezirksverband OWL, 16- bis 17-jährige Jungen, 18 Plätze.
Mühlenstraße, Mädchenhaus, minderjährige Mädchen, 10 Plätze.
lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de
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