Herforder Kreisblatt / Westfalen-Blatt ,
27.04.2011 :
Antisemitismus-Vorwurf gegen Inge Höger / Nach Kritik des Publizisten Henryk M. Broder: umstrittener Text von der Homepage der Politikerin genommen
Von Hartmut Horstmann
Herford (HK). Die heimische Bundestagsabgeordnete Inge Höger (Die Linke) sieht sich massiven Vorwürfen ausgesetzt. Unter Bezug auf einen Text auf ihrer Homepage behauptet der Publizist Henryk M. Broder: "Das ist lupenreiner Antisemitismus."
Die Stellungnahme, die gestern von der Internet-Seite Högers genommen wurde, thematisiert die Ermordung zweier propalästinensischer Aktivisten - Juliano Mer Khamis und Vittario Arrigoni. Letzterer wurde von palästinensischen Islamisten umgebracht.
In dem Internet-Text "Unsicherheit über Mörder" wird allerdings angezweifelt, ob es sich tatsächlich um die Tat einer salafistischen (radikal-islamischen) Gruppe handelt: "Bisher weiß niemand, was genau geschah - und so lange dies der Fall ist, sollte man zumindest nichts ausschließen." Man müsse sich die Frage stellen: "Wer profitiert von diesen furchtbaren Verbrechen? Zum einen sind nun zwei der für Israel "gefährlichsten", weil engagiertesten und renommiertesten Aktivisten ausgeschaltet. Die Morde könnten ein Mittel sein, um der internationalen Solidaritätsbewegung einen empfindlichen Schlag zu versetzen." Die Palästinenser stünden wieder einmal als gewaltbereite Extremisten in der Weltpresse.
Henryk M. Broder schreibt dazu in der Internet-Ausgabe der »Welt«: "Das ist lupenreiner Antisemitismus. Nicht weil Frau Höger jeden Beleg für ihre Spekulationen schuldig bleibt, sondern weil sie davon ausgeht, ihre Überlegungen seien an und für sich so überzeugend, dass sie nicht belegt werden müssen." Ein lupenreiner Antisemit müsse nicht beweisen, dass den Juden alles zuzutrauen sei.
Inge Höger, die zur Zeit Urlaub macht, war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Pressesprecherin Claudia Haydt sagt, der von Broder kritisierte Text sei weder von Inge Höger verfasst noch für ihre Homepage vorgesehen gewesen. Geschrieben habe ihn ein Fraktionsmitarbeiter und er habe lediglich der internen Diskussion dienen sollen: "Irrtümlich ist er dann ins Netz gestellt worden." Am gleichen Tag sei aber auch die offizielle Stellungnahme Inge Högers auf der Homepage veröffentlicht worden. Und hier wird die Ermordung Arrigonis durch eine salafistische Gruppe nicht in Zweifel gezogen. Höger schreibt über derartige Gruppierungen: "Sie missbrauchen die palästinensische Sache, um ihre eigenen reaktionären Ziele voranzutreiben, und am Ende profitiert einzig die Besatzungsmacht von solchen Verbrechen."
Auch hier wird die israelische Besatzungsmacht kritisiert, doch Claudia Haydt betont: "Dadurch wird Inge Höger keine Antisemitin." Kritik an der Haltung einer Regierung sei nicht gleichbedeutend mit Antisemitismus. Die Pressesprecherin: "Das wäre auch eine Verharmlosung von Antisemitismus und dem, was Antisemiten angerichtet haben."
Bildunterschrift: Inge Höger, heimische Bundestagsabgeordnete.
Bildunterschrift: Henryk M. Broder, renommierter Publizist.
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Interview mit Henryk M. Broder: "Die Transformation des Interesses an den Juden"
Mit Henryk M. Broder, Autor des Buches "Der ewige Antisemit", habe ich mich über den Antisemitismus der Linkspartei unterhalten. Anlass war die Verschwörungstheorie der Bundestagsabgeordneten Inge Höger, Israel könnte hinter dem Mord an Vittorio Arrigoni stecken.
Jan-Philipp Hein: Herr Broder, im Bundestag sitzt für die Linke eine Frau namens Inge Höger, die gerade von einer "Unsicherheit über den Mörder" des so genannten Friedensaktivisten Vittorio Arrigoni spricht. Es gebe "begründete Zweifel daran, dass es sich tatsächlich um die Tat einer salafitischen Gruppe handelt". Frau Höger vermengt diesen Mord mit dem an dem Schauspieler Juliano Mer-Khamis und fragt: "Wer profitiert von diesen furchtbaren Verbrechen?" Jetzt seien zwei der für Israel gefährlichsten, weil engagiertesten, bekanntesten und renommiertesten Aktivisten ausgeschaltet. Was halten Sie von dieser Kriminalistik?
Henryk M. Broder: Was Frau Höger da treibt, ist keine Kriminalistik. Das ist die Zurschaustellung ihrer paranoiden Vorurteilsstruktur. Es ist ein klassisches Kennzeichen des Antisemitismus, dass Juden für alles verantwortlich gemacht werden, vom Mord an Jesus bis zur russischen Revolution. Für die Spekulationen von Frau Höger gibt es nicht den Hauch eines Belegs. Es wäre deshalb obszön, mit ihr auf der faktischen Ebene zu diskutieren und zu versuchen, sie zu widerlegen. Da könnten Sie jetzt auch in diesen Tagen versuchen, die antisemitische Legende zu widerlegen, dass Juden zu Ostern Christenkinder schlachteten, um ihr Blut zu verzehren. Die Technik von Frau Höger ist, zu spekulieren, etwas in den Raum zu stellen und zu sagen, möglich wäre es ja. Möglich ist auch, dass Frau Höger vollkommen durchgeknallt ist.
Inge Höger gehörte zu den Teilnehmern der so genannten Friedensflottille, die vergangenes Jahr die Blockade des Gazastreifens durchbrechen wollte. Mit dabei waren auch ihre Fraktionskollegin Annette Groth und der ehemalige Linken-Abgeordnete Norman Paech. Woher kommt dieses intensive Interesse an Israel?
Henryk M. Broder: Das ist die Transformation des intensiven Interesses an den Juden, das früher das tägliche Brot der Antisemiten war. Nun gibt es keinen Antisemitismus mehr in der klassischen Form, weil das nach Auschwitz unmöglich ist. Wer heute ein Antisemit ist, würde Auschwitz nachträglich legitimieren und sich außerhalb eines gesellschaftlichen Konsens stellen. Nur können sie ein Ressentiment nicht einfach abschalten wie ein Atomkraftwerk. Es wirkt weiter, es hält seine Träger weiterhin auf Trab. Als aseptischer Ausweg bleibt der Antizionismus. Und dabei befriedigt er dasselbe Bedürfnis. Der Antisemit oder Antizionist ist hinter den Juden her wie der Teufel hinter der Seele einer Jungfrau. Den Antisemiten waren die Juden die, die mit ihrem Kapital wucherten, den Frieden gefährdeten, Kinder schlachteten, als Konservative dem Fortschritt im Weg standen oder eine Gefahr für die Verhältnisse waren, weil sie Revolutionäre waren. Die Juden wurden nicht für das kritisiert, was sie taten, sondern dafür, dass es sie gab. Alle Vorwürfe dienten als Entschuldigung für die Triebe der Antisemiten. Und genau das macht Frau Höger. Sie ist eine lupenreine Antisemitin, die sich hinter dem Paravent des Antizionismus versteckt. Das ändert nichts daran, dass ihre Argumentationsweise antisemitisch ist und dass ihre mentale Struktur antisemitisch ist. Sie bekommt ja auch ihre Gratifikation, die alle Antisemiten bekommen: Die Juden beschäftigen sich mit ihr. Natürlich wäre es das Gesündeste, diese kranke Person entweder irgendwo einzuweisen oder sich selbst zu überlassen. Aber weil sie auf der "Mavi Marmara" mitgefahren ist, es vielleicht wieder tun wird und weil sie als Abgeordnete in der Tat eine gewisse Relevanz hat, kann man sie nicht unwidersprochen gewähren lassen.
In Bremen hat die Linkspartei neulich eine Boykottaktion gegen israelische Waren vor einem Supermarkt unterstützt, indem sie auf ihrer Webseite permanent unkritisch und sogar zustimmend darüber berichtete. Die Boykotteure traten mit den so genannten Sandwichplakaten auf, die dereinst auch die SA vor jüdischen Geschäften nutzte. Warum werden immer wieder Linke - wir ignorieren jetzt mal die NPD - in diesem Zusammenhang auffällig?
Henryk M. Broder: Der Antisemitismus beschränkt sich in seiner antizionistischen Ausprägung nicht nur auf die Linkspartei. Er ist in anderen Gruppen genauso virulent. Bei der Linken ist es so deutlich, weil sie glaubt, sie sei historisch unbelastet. Es gab in den christlichen Parteien, in den liberalen Parteien und bis hinein in die Sozialdemokratie immer antisemitische Elemente und Rückkopplungen. Die einzige Partei, die bis heute glaubt, dass sie davon unberührt geblieben sei - was nicht stimmt - ist die Linke beziehungsweise die kommunistische Bewegung. Zwar wollte man einerseits das Judentum - unter Bezugnahme auf Karl Marx‘ berühmte Schrift "Zur Judenfrage" - beseitigen, das aber andererseits ja nicht mit Gewalt, sondern durch Assimilation. Deswegen hat die Linke ein sauberes Gewissen, dabei ist sie genauso kontaminiert wie der Rest der Gesellschaft. Und: Linke, nicht nur die Partei, sind 89/90 enteiert worden. Die Vision der sozialistischen Zukunft ist zusammengebrochen. Von denen will keiner mehr was wissen. Mit Gaddafi geht es zu Ende, China hat mit dem linken Gesocks auch nichts mehr zu tun. Der Islam und die armen und unterdrückten Araber sind jetzt an die Stelle des Proletariats getreten, um das sich die Linke immer meinte kümmern zu müssen. Und diese armen und unterdrückten Moslems haben jetzt, obwohl sie es gar nicht wollten, neue Fürsprecher gefunden. Sie sind nun das Mündel und die Linken der Vormund. Um ihre eigene Impotenz zu kaschieren, brauchte Linke immer jemanden, den sie bevormunden können. Jetzt sind halt die armen Araber dran, die man vor solchen Gönnern und Geistern eigentlich in Schutz nehmen müsste.
Sie sind jetzt beim linken Lager. Nochmal zur Partei: Auffällig ist, dass dieser Israelfetish in den Westverbänden deutlich ausgeprägter ist. Warum?
Henryk M. Broder: Ich nehme an, dass im Osten die Parteidisziplin ausgeprägter ist und das Gysi-Wort "Ihr dürft keine Antisemiten sein" dort ernster genommen wird. Und: Die Westverbände setzen sich aus dem Chaotentum der gescheiterten linken Massenbewegungen in Westdeutschland zusammen, von KB über KBW über KPDAO und weiß ich was. Für die war der Antisemitismus das verbindende Element. Die haben sich immer bis aufs Messer bekriegt. Aber in einem waren sie sich einig: im Hass auf Israel. Ich erinnere mich an mein Erweckungserlebnis. Bei der Entführung der Air France-Maschine nach Entebbe, als deutsche Terroristen Palästinensern halfen, jüdische Passagiere zu selektieren, haben sich praktisch alle Gruppen links der Jusos nicht darüber aufgeregt, sondern über eine flagrante Verletzung der Souveränität Ugandas durch die Befreiungsaktion der Israelis. Es sind sogar Beileidstelegramme an Idi Amin geschrieben worden. Bei den Rechten ist es mit dem Antisemitismus übrigens ähnlich. Rechte, Rechtsradikale oder Nationaldeutsche konnten sich auf nichts als den Judenhass einigen. Da sind sowieso wenig Unterschiede zwischen den Radikalen beider Lager. Horst Mahler hat ja vorgelebt, wie man, ohne seine Einstellung wesentlich zu ändern, aus einem Linksradikalen einen Rechtsradikalen machen kann. Wir reden hier über in der Wolle gefärbte deutsche Nationalisten mit einer braunen Grundierung, die leicht rot übertüncht wurde.
In der Partei "Die Linke" gibt es durchaus Stimmen gegen diese Umtriebe. Es gibt einen "Bundesarbeitskreis Shalom" der Linksjugend "Solid", es gibt die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die Abgeordnete Katja Kipping oder den Fraktionschef in Thüringen, Bodo Ramelow. Die weisen mehr oder weniger deutlich auf die Entwicklungen hin.
Henryk M. Broder: Oh ja. Ich habe mal mit Dietmar Bartsch darüber gesprochen. Der sagte, ein großer Teil der Partei sei antisemitisch kontaminiert. Aber würde er die alle rausschmeißen, bliebe nur noch ein Gerippe. Die Situation ist doch gerade die, dass wir Good Cops und Bad Cops haben. Das ist ein altes Spiel. Die Bad Cops sind Frau Höger, Frau Groth und Paech und die Good Cops sind Katja Kipping - eine kluge und angenehme Person, die ich für glaubwürdig halte - oder Petra Pau und Bodo Ramelow. Die meinen es mit ihrem Widerstand in die Partei hinein auch sehr ernst. Aber in der Gesamtstrategie der Linken gibt es wohl eine Arbeitsteilung: Die einen vertreten antisemitische Positionen, die anderen bekämpfen sie. Aber die Good Cops müssten sich langsam die Frage stellen, ob man das Pack rauswirft oder mit ihm argumentiert. Das kann man nicht mit Antisemiten. Ich rede auch nicht mit Pädophilen über die richtige Art sexueller Kommunikation.
Hat das Thema das Potenzial, die Partei zu spalten?
Henryk M. Broder: Ich hoffe es.
Quelle: Dieser Eintrag wurde 22. April 2011 um 17.57 Uhr erstellt: www.aufmacher.com/?p=258
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redok, 01.07.2010:
"Partikularinteresse einer Religionsgemeinschaft"
Herford. Die Herforder Stadtrats-Abgeordnete Erika Zemaitis (Die Linke) hat ihre Ablehnung bekräftigt, die Jüdische Gemeinde mit einem städtischen Zuschuss zu unterstützen. Als Grund gibt sie nun die knappe Haushaltslage der Kreisstadt an. Eine Entschuldigung oder einen Rücktritt von ihrem Amt lehnt sie ab.
Bisher hatte Zemaitis keine Begründung für ihre Ablehnung eines städtischen Zuschusses zum Bau der Herforder Synagoge gegeben. Nach dem redok-Bericht war ihre Gegenstimme auch von anderen überörtlichen und regionalen Medien thematisiert worden.
Die Herforder Bundestagsabgeordnete Inge Höger hatte sich zunächst nur wenig konkret zu der Affäre geäußert, obwohl sie sich "seit einer Woche im Gespräch" mit Zemaitis befand, so Höger gegenüber der Lokalpresse. Am Dienstag - nach den ersten Medienberichten und Nachfragen durch die regionale Presse - nahm sie geradezu fluchtartig Abstand von ihrer Parteifreundin Zemaitis, die laut der örtlichen Presse "lange Zeit als enge Vertraute Högers" galt. Nun sehe sie sich "gezwungen", ihre Position deutlich zu machen. Höger verlangte von Zemaitis eine Entschuldigung oder ihren Rücktritt als Ratsfrau. Jetzt hieß es plötzlich auch von Höger, ein Zuschuss der Stadt Herford sei "das Mindeste, was die Stadt nach den Verbrechen der Nationalsozialisten für die jüdische Gemeinde tun kann".
Die Herforder Ratsfrau Zemaitis blieb jedoch bei ihrer Position. Über die Höger-Forderung nach Entschuldigung oder Rücktritt sei sie "entsetzt" und "schockiert". Eine Entschuldigung "wäre ein Schuldeingeständnis"; sie sei sich aber keiner Schuld bewusst. In Zeiten eines harten Sparkurses könnten auch andere Bereiche den fraglichen Betrag von 40.000 Euro gut gebrauchen. Weil für soziale Projekte kein Geld mehr da sei, habe sie auch nicht für den zusätzlichen Zuschuss für "religiöse Zwecke" gestimmt.
Im Gegensatz zur Behauptung von Höger, Kreis- und Stadtverband der Linke verträten "eine deutlich andere Position" als Zemaitis in Bezug auf den Zuschuss an die Jüdische Gemeinde, berief sich die Ratsfrau auf die Unterstützung zumindest von Teilen des Stadtverbands, so etwa vom "Arbeitskreis Haushalt" der örtlichen Linke-Parteigliederung.
Verschiedene Zuschriften an redok lassen ebenfalls eine gewisse Unterstützung für Zemaitis deutlich werden. Ein weiteres Vorstandsmitglied des Herforder Linke-Stadtverbandes verteidigte die Ablehnung des Synagogen-Zuschusses ebenfalls mit notwendigen massiven Einsparungen und pochte darauf, dass die "Zahlungen an die Synagoge" immerhin "freiwillige Leistungen der Kommune" seien, die "zur Zeit in keinem Verhältnis zu den Einsparungen" stünden. "Wir reden hier schließlich über das Partikularinteresse einer Religionsgemeinschaft", hieß es in dem Schreiben des jungen Linke-Funktionärs.
Ein weiterer Zemaitis-Unterstützer nannte ihr Verhalten "bewusst und verantwortungsvoll". Die Stadt Herford habe sich schon mit 200.000 Euro am Bau der Synagoge beteiligt. Zemaitis sei der Meinung gewesen, dass dieser zusätzliche Betrag von der Jüdischen Gemeinde finanziert werden könne. Zemaitis selbst wurde - offenbar aus einer internen Mitteilung - zitiert (Fehler im Original): "Ich hätte auch gegen eine zusätzliche Investition für andere kirchliche Belange gestimmt, wenn die kath.Kirche oder die ev.Kirche oder die musl.Gemeinde ein neues Kruzifix oder ähnliches hätte haben wollen.Es sollen Freibäder geschlossen, Mensen nicht gebaut und Schulen zusammengelegt werden.Ich dachte nicht daran das an dieser Stelle nicht gespart wird." Offenbar spielt die Zerstörung der Herforder Synagoge durch die Nationalsozialisten, die den Neubau erst notwendig gemacht hatte, für Zemaitis keinerlei Rolle: "Ich bin keineswegs judenfeindlich, die jüdische Religion hat für mich die gleiche Wertigkeit, wie alle anderen Religionen auch."
Ende April hatte Zemaitis im Stadtrat zur Haushaltslage noch erklärt: "Wenn jetzt hektisch gespart werden soll, dann muss trotz allem ganz genau hingesehen werden - mit dem notwendigen Hintergrundwissen über Folgen und Konsequenzen." Welche Folgen ihre Ablehnung des Zuschusses für die Synagoge haben wird, wird sich noch zeigen müssen.
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redok, 26.06.2010:
Gegenstimme vom Linksdeck
Herford. Über einen Zuschuss zum Bau der Synagoge in Herford sollte am Freitag der vergangenen Woche der Stadtrat der ostwestfälischen Kreisstadt abstimmen. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen, allerdings stimmte ein Stadtratsmitglied gegen diese Unterstützung der jüdischen Gemeinde. Die Gegenstimme kam aber nicht etwa von der NPD, sondern von der Abgeordneten der Partei "Die Linke". Ihre Kreisverbands-Sprecherin, die vor kurzem noch als Gaza-Blockadebrecherin auf hoher See war, äußert sich nur schmallippig zu der Ablehnung.
Die alte, im Jahr 1852 eingeweihte Synagoge war am 9. November 1938 von den Nationalsozialisten bei der "Reichskristallnacht" zerstört worden. Bis auf die Grundmauern brannte sie aus; die Feuerwehr hatte laut dem Herforder Stadtarchivar erst eingegriffen, als ein benachbartes Gebäude, in dem explosive Materialien gelagert wurden, gefährdet schien. Die Jüdische Gemeinde wurde gezwungen, die Reste der Synagoge auf eigene Kosten abzureißen.
Bis vor kurzem stand der Kultusgemeinde Herford-Detmold nur ein Gebetsraum zur Verfügung. Durch das Anwachsen der Gemeinde bedingt wurde eine neue Synagoge geplant, die an gleichem Ort wie das alte Gotteshaus erbaut wurde. Eingeweiht wurde der Neubau im März 2010.
Im Laufe der Bauarbeiten kam es zu Kostenerhöhungen, nicht zuletzt durch die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen. So musste etwa die Sicherheitsverglasung in schusssicherer Bauweise ausgeführt werden. Um Unterstützung wurden die Städte Herford und Detmold und die beiden zugehörigen Landkreise gebeten, die auch schon ein Drittel der bisherigen Baukosten getragen hatten.
Abstimmung mit Gegenstimme
Für die Stadt Herford bedeutet eine solche Unterstützung, einen Betrag von 40.000 Euro zu den Mehrkosten beizusteuern, wenn auch die anderen Kommunen einen Teil beitragen. Dieser eher kleine Betrag stand am 18. Juni im Stadtrat zur Abstimmung.
Die großen Fraktionen (CDU, SPD und Grüne) stimmten zu, die FDP enthielt sich. Eine Gegenstimme wurde verzeichnet. Diese Ablehnung kam jedoch nicht, wie naheliegenderweise zu vermuten wäre, von rechtsaußen. Insbesondere die NPD giftet regelmäßig gegen staatliche Zusammenarbeit mit jüdischen Gemeinden. So war beispielsweise erst vor wenigen Tagen in Mecklenburg-Vorpommern von "Privilegierung einer einflussreichen Minderheit" die Rede, die den "sich hierzulande aufhaltenden Juden" - im Gegensatz zu "Deutschen" - zugute komme.
Die Herforder Gegenstimme stammte von Erika Zemaitis als Vertreterin der Partei Die Linke im Stadtrat. Sie kündigte die Ablehnung im Stadtrat zwar an, gab allerdings keine Begründung für ihr Votum.
Selektive Unterstützung
Dabei hatte Zemaitis sich erst vor wenigen Wochen noch ausgesprochen Gemeinde-freundlich gezeigt. "Es darf nicht sein, dass Menschen sich in unserer Stadt nicht versammeln können, um ihren kulturellen oder religiösen Interessen nachzugehen. Diese Menschen leben und arbeiten hier unter uns und müssen einen geeigneten Treffpunkt haben", hatte Zemaitis in einer Presseerklärung Anfang April betont. Den Herforder Bürgermeister forderte sie nachdrücklich auf, zu seinem Wort zu stehen und die "zugesagte Hilfe nun in die Tat umzusetzen".
Allerdings betraf diese Hilfe von der Linken nicht die Jüdische Gemeinde, sondern die Jesidische Gemeinde, also eine kurdische Religionsgemeinschaft, die in Herford ein Gemeindezentrum errichten will.
Keine Antwort auch eine Antwort?
Anfragen nach dem Grund der Linke-Ablehnung für die Unterstützung der Jüdischen Gemeinde, die an den Linke-Kreisverband und an die Stadtratsabgeordnete Zemaitis selbst gestellt wurden, blieben ohne Antwort. Sprecherin des Linke-Kreisverbands Herford ist die Bundestagsabgeordnete Inge Höger, die erst vor kurzem durch ihre Beteiligung an dem Versuch bekannt geworden war, die israelische Blockade vor Gaza mit einem Schiffskonvoi zu brechen. Somit drängt sich der unschöne Verdacht auf, das Abstimmungsverhalten der Herforder Stadtrats-Abgeordneten gegen die Unterstützung der Jüdischen Gemeinde liege mit dem anti-israelischen Aktivismus von Höger auf einer Linie.
Die Bundestagsabgeordnete Höger, die ein Jahr lang stellvertretende Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion gewesen war, wusste immerhin, dass das Nicht-Beantworten einer Anfrage kontraproduktiv wirken kann. Eine weitere Anfrage an Höger persönlich wurde dann auch mit einer Antwort beschieden. Eine Auskunft über die Gründe der Ablehnung im Stadtrat konnte oder wollte sie in ihrer E-Mail-Antwort an redok freilich auch nicht geben. Zu der Gegenstimme ihrer Parteifreundin gab sie nur zu Protokoll: "Kreisverband und Stadtverband der LINKE in Herford vertreten eine deutlich andere Position." Ihre Partei und auch sie als Bundestagsabgeordnete "begrüßen sehr den Wiederaufbau der Synagoge", so das knappe Höger-Statement.
Unter den Teppich
Damit bleibt die Ablehnung der Linke-Ratsfrau für die Unterstützung der Jüdischen Gemeinde ohne Erklärung. Als energische Distanzierung wirkt die pluralistisch klingende Bezeichnung als "deutlich andere Position" nicht gerade. Keine Rede war auch von nötigen innerparteilichen Diskussionen oder gar Maßnahmen in Bezug auf die Gegenstimme der Linke-Ratsfrau. Es bleibt der Anschein, dass das Stadtrats-Votum gegen die Jüdische Gemeinde unter den Teppich gekehrt werden soll.
Misstrauen gegenüber dem schmallippigen Höger-Statement kommt ebenfalls auf, wenn man ihre Beteiligung an anti-israelischen Aktionen und Demonstrationen in Betracht zieht. Im November 2008 war sie selbst durch ein Abstimmungsverhalten aufgefallen, als anlässlich des 70. Jahrestages des antisemitischen Pogroms ("Reichskristallnacht") im Bundestag eine Resolution gegen Antisemitismus beschlossen werden sollte. Höger gehörte zu den elf Linke-Abgeordneten, die ihre Zustimmung zu der Resolution verweigerten, obwohl die Resolution auch von der eigenen Fraktionsführung eingebracht worden war.
Nach dem Ende der Gaza-Blockadebrecher-Aktion hatte sie am 1. Juni in Berlin an einer Pressekonferenz im Bundestag teilgenommen, wo die Abschiebung der Aktivisten aus Israel als "Deportation" bezeichnet wurde. Über ihre Zeit auf dem Fährschiff Mavi Marmara ("Wir haben uns wie im Krieg gefühlt") wusste sie bei der Pressekonferenz zu berichten:
"Da es eins von IHH, einer türkischen Organisation, organisiert war, gab es halt ein Männerdeck und ein Frauendeck. Und wir Frauen sind relativ schnell in der Nacht eingeschlossen worden. Wir konnten nicht mehr raus. Wir konnten nicht, wir wußten nicht, was da los ist, wir waren eingeschlossen. Wir haben uns die Schwimmwesten umgemacht, weil wir, äh, auf alles vorbereitet sein wollten."
Am 4. Juni trat Höger bei einer Demonstration auf, die von Kreis- und Stadtverband der "Linken" in Herford organisiert und beworben worden war. Dabei wurden nach Angaben von Beobachtern zahlreiche Fahnen der Terror-Organisationen Hizbollah und Hamas geschwenkt.
Möglicherweise hat bei der dünnen Distanzierung von der Stadtrats-Gegenstimme auch eine Rücksichtnahme auf solche Bündnispartner eine Rolle gespielt. Zumindest wird das linke "Frauendeck" in Herford in der Nacht derzeit noch nicht eingeschlossen.
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