Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische ,
18.05.2010 :
Frau Königs jesidische Nachbarn / Eine fünfjährige Geschichte der Hilfsbereitschaft und des Respekts
Von Hartmut Brandtmann
Herford. Jesiden, was sind das für Leute? Seit acht Jahren hat Sigrun König die Großfamilie Karacan als Nachbarn. Mit dieser Erfahrung hat sich die 65-Jährige an die NW gewandt: "Besuchen Sie uns doch mal." Damit will die beherzte Frau ihren Beitrag leisten zur, wie sie findet, "unglaublichen Argumentation" gegen das geplante Gemeindezentrum im früheren Hause Sahrmann, Laar.
Der äußere Eindruck ist der erste: Das Wohnhaus an der Diebrocker Straße ist renoviert. Selbst der Stuck im großen Wohnzimmer ist neu. Das haben die Karacans selbst bewerkstelligt. Vater Devran, ein gelernter Betonbauer, ist ein handwerklicher Alleskönner. Zwei seiner Söhne sind Dachdecker, einer hat den Meisterbrief. "Einer für Alles" heißt der Karacan-Betrieb nebenan. "Dieses Haus war Bruch und Klotten", erzählt die alte Dame: "Jetzt wird das eine richtig moderne Werkstatt."
In der Garage gab es das erste gemeinsame Essen: "Köstlich gefüllte Weinblätter". Frau König erinnert sich noch heute daran. "Ganz normal", sagt Vater Devran: "Wenn bei uns der Tisch gedeckt ist, ist jeder Nachbar willkommen. Das ist jesidische Sitte."
Der Kuchen zum Pressegespräch kommt aus Frau Königs Backofen. "Ich hab schon manches Gebäck rüberwachsen lassen", sagt sie lachend und erzählt dann, was die Karacans "wie selbstverständlich" für sie tun. Schwiegertochter Berivan kauft für sie ein, weil die Nachbarin gehbehindert ist. Ein Berufsleben lang war sie in der häuslichen Altenpflege im Herforder Westen unterwegs - "viel zu Fuß".
Den 30. Geburtstag von Dogan Karacan wird sie wohl nicht vergessen. Als alle Gäste versammelt waren, hatte Sigrun König in ihrer Küchenwand einen Wasserschaden. Der Gastgeber kam rüber und reparierte mal eben. Das verstopfte Abflussrohr wurde ebenfalls im Zuge dieser Nachbarschaftshilfe wieder frei. Im Gegenzug erklärt die Nachbarin den Jesiden, was man als wahlberechtigter Staatsbürger wissen muss.
"Wenn die Menschen sich nicht untereinander helfen würden - das wäre doch traurig", sagt Vater Devran und kommt auf ein "trauriges" Thema zu sprechen: Die Auseinandersetzung um das geplante Gemeindezentrum in Laar.
Heute um 18 Uhr beginnt im Großen Ratssaal die Anhörung. Sigrun König und die Karacans wollen dabei sein.
Der Fall Schötmar: Zu viele Leute, zu viel Lärm
Die von der Laarer Initiative gegen das Jesiden-Zentrum ins Feld geführten "Vorkommnisse im Industriegebiet Schötmar" haben folgenden Hintergrund: Auf Nachfrage der NW schilderte der Bad Salzufler Fachbereichsleiter für Recht, Sicherheit, Ordnung, Sozialverwaltung, Armin Weißing, die Vorgänge rund um die Festhalle. "Wie üblich hatte es eine Bauvoranfrage der Jesidischen Gemeinde gegeben. Sie wurde positiv beschieden, die Baugenehmigung im Jahre 2003 erteilt." Die Stadt Bad Salzuflen habe jedoch die Auflage gemacht, dass der Festhallen-Betrieb nur bis 22 Uhr gehen dürfe. Zugelassen waren maximal 200 Personen. Hauptsächlich sei die Halle für Hochzeitsfeiern genutzt worden. Weißing: "Da jedoch meist mehr als diese 200 Gäste kamen, wurde auch der Außenbereich genutzt. Dabei entstand Lärm." Gegen diesen Lärm habe ein Nachbar im Jahre 2007 geklagt und vor Gericht Recht bekommen. Das Gericht erklärte, dass der Festhallenbetrieb eingestellt werden musste, da die Auflagen des Ordnungsamtes an dem Standort in Schötmar nicht eingehalten werden konnten. 2008 gab die Jesidische Gemeinde die Festhalle auf.
Testfall Trauerfeier
Herford (bra). Cemil Cakar wurde 70 Jahre. Um den Herforder Jesiden trauerten mehr als 100 Verwandte und Freunde im Haus der evangelischen Gemeinde Herringhausen. Marita Brünger, Nachbarin der Familie Cakar, hatte die Verbindung zum Kirchmeister Klaus Altemeier hergestellt. Der stimmte sich mit dem Presbyterium ab und holte sich telefonisch die Genehmigung bei den Pfarrern Simone und Christian Rasch, die gerade auf dem ökumenischen Kirchentag in München waren. "Gemeinde in Not, da mussten wir helfen", sagt die Pastorin. Zu der Trauerfeier waren auch Gäste aus Frankreich und Belgien gekommen. Man saß im großen Gemeindesaal, aß, trank Tee und sprach über den Verstorbenen. In einem Nebenraum wurden die Speisen zubereitet.
Von Lautstärke, die die Gegner des beantragten jesidischen Gemeindezentrum in Laar fürchten, war nichts zu hören. "Die Gäste haben sich viel Mühe gegeben und das Gemeindehaus tadellos hinterlassen", sagt die Pfarrerin: "Ich wünsche mir, dass die Jesiden bald ein eigenes Gemeindehaus bekommen."
Zehn Tage hatten die Jesiden in Herringhausen bleiben wollen, doch so lange war das Gemeindehaus nicht frei. Jetzt ist die Emmaus-Gemeinde eingesprungen, und die Trauerfeier kann im Gemeindehaus an der Glatzer Straße fortgesetzt werden.
Bildunterschrift: Nachbarschaftstreffen: Auf der Ofenbank sitzen Devran und Berivan Karacan, in der Mitte Sigrun König. Den Sessel teilen sich der kleine Amzad, Großmutter Naife und Sohn Hamza. Dahinter stehen Dogan Karacan und Daniel Münstermann.
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