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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 17.08.2004 :

Ein Teamarbeiter tritt ab / Der Leitende Polizeidirektor Heinz Haubrock geht Ende August in den Ruhestand / Heute wird er 60 Jahre alt

Von Conrad Schormann

Bielefeld. Um freien Abzug zu erzwingen, hatten zwei Häftlinge am 17. August 1987 zwei Geiseln in ihre Gewalt gebracht. Sprengsätze baumelten um den Hals der Opfer. Vor laufenden Überwachungskameras in der Bielefelder JVA ließen die Täter einen weiteren Sprengsatz detonieren, damit die Polizei sieht, sie meinen es ernst. Den Polizeieinsatz leitete Heinz Haubrock, der wenige Wochen zuvor seinen Dienst in Bielefeld angetreten hatte. Haubrock ließ einen Fluchtwagen vorfahren, besorgte zwei Millionen Mark Lösegeld – und befahl: "Zugriff."

Haubrock wusste, mit wem er es an diesem Tag zu tun hat: "Top-Gewalttäter." Kundig im Umgang mit Waffen und Sprengstoff, Bankräuber, Vergewaltiger – und Herren über zwei Unschuldige. Im Führungsraum des Polizeipräsidiums wog Haubrock das Risiko ab: Bleiben die Geiseln bei den Tätern, sind sie in Lebensgefahr. Befreien wir sie mit Gewalt, kann das blutig enden.

17 Jahre später bekennt Heinz Haubrock die Lähmung, die ihn und die anderen Verantwortlichen erfasste, als der Befehl zum Zugriff gegeben und die Lage nicht unter Kontrolle war. "Für Sekunden herrschte Totenstille." Wie genau das SEK die Geiseln befreite, verrät Haubrock bis heute nicht.

Lehrer wollte Heinz Haubrock werden, als er 1964 sein Abitur gebaut hatte. Aber das Geld seiner Mutter, einer Kriegerwitwe, reichte nicht, um ihrem Sohn ein Studium zu finanzieren. Und so verwirklichte er keinen Traum, als er 1964 zur Polizei ging, er begann einen Plan: in den höheren Dienst aufsteigen und ohne Universitätsstudium Karriere machen.

Seine Polizeilaufbahn absolvierte Haubrock zielstrebiger als andere. Prüfungen bestand er mit hervorragenden Ergebnissen – die Voraussetzung, die Dienstgradleiter emporzuklettern. Unter den jungen Polizisten Mitte der 60er-Jahre waren Abiturienten Exoten. Entsprechend kritisch beäugten die Kollegen den jungen Mann aus Ostwestfalen.

30 Leute hatte der 25-jährige Polizeikommissar Haubrock 1969 als Wach- und Einsatzführer unter sich. In diesen ersten Jahren als Schutzpolizist lernte er, mit den Belastungen umzugehen, die der Beruf mit sich bringt. "Man gewöhnt sich an vieles, den ersten tödlichen Unfall vergesse ich nicht." Ein verletztes, schreiendes Kind auf der Straße – unendlich dehnten sich die Minuten, bis der Rettungswagen kam.

Als junger Polizeirat leitete er ab 1977 die Polizeibehörde Höxter – in deren Gebiet das Atomkraftwerk Würgassen stand. Dort bewältigte Haubrock als leitender Beamter seine ersten Großdemonstrationen mit mehr als 1.000 Teilnehmern; ein Vorgeschmack auf die Einsätze, die er ab 1987 in Bielefeld verantwortete. Haubrock war gerade an den Teuto versetzt geworden, da drohten die Auseinandersetzungen um das Neonazi-Domizil an der Bleichstraße zu eskalieren. "Jeden Freitag wurde demonstriert." Die Bewohner versuchten, die Menschen draußen zu provozieren. "Sie liefen vermummt herum, fotografierten aus den Fenster und hielten hinter Stacheldraht im Garten Wehrsportübungen ab."

Mit viel Geduld und langem juristischem Atem rang die Polizei den Neonazis mehr und mehr Zugeständnisse ab, bis der braune Spuk verschwunden war. Christian Worch, bis heute einer der Köpfe der Neonaziszene, drohte: Seine Bewegung werde sich Haubrock merken. "Hat mich nicht beeindruckt", sagt Haubrock.

Anfang 2002 – die Wehrmachtsausstellung war von Berlin nach Bielefeld gezogen – begegneten sich Haubrock und Worch wieder. Neonazis demonstrierten gegen die angebliche Verleumdung der Wehrmacht; andere Organisationen hatten aufgerufen, gegen den Neonazi-Aufmarsch zu demonstrieren. Haubrock ließ beide Gruppen getrennt durch die Stadt marschieren. "Das war nicht leicht. Beide wollten in die Innenstadt, beide suchten die Nähe zum politischen Gegner." Ausschreitungen gab es so gut wie nicht, Haubrock erfuhr Lob von allen Seiten. Sein Konzept haben andere Städte kopiert. "Wir waren als Team erfolgreich", sagt Haubrock, wenn er von allen Seiten gelobt wird.

Zu seinen bitteren Erfahrungen gehörte der Kruse-Prozess und die Jahre davor. Viele Menschen wuschen schmutzige Wäsche. Über den Leitenden Polizeidirektor aus Bielefeld sprachen dennoch fast alle Beteiligten mit Achtung. Nach Monaten auf dem juristischen Abstellgleis (wo er die Ausbildung bei der Polizei in NRW reformierte) kehrte er gesprächsbereit ins gespaltene Präsidium zurück und wurde warm empfangen. Nur eine Handvoll Beamter, so Haubrock, verweigere ihm den kritischen Dialog. "Das bleibt haften."

Langweilig wird Heinz Haubrock nicht. Mehr Zeit für Frau Erika, Tochter Jasmin und die Enkelkinder hat er jetzt, Tennis und Volleyball spielt er im Verein. Seinen Kopf wird er in der Universität trainieren, wo er als Gasthörer Geschichtsvorlesungen lauschen will. "Mein alter Traum, den ich jetzt verwirkliche."

Verabschiedung am 31. August

Im Jahr 1966 wurde er als junger Oberwachtmeister erstmals nacht Bielefeld versetzt. 1987 kehrte er zurück und blieb – unterbrochen vom Kruse-Prozess – bis zum August 2004. Heute wird Polizeidirektor Heinrich Haubrock 60 Jahre alt. Mit 60 scheiden Polizeibeamte aus dem Dienst aus. Ende August wird Haubrock im Polizeipräsidium feierlich verabschiedet, zahlreiche hohe Landesbeamte haben sich angekündigt, um "einen der besten Polizisten des Landes" in den Ruhestand zu geleiten. Haubrocks Nachfolger als höchster Bielefelder Polizist wird Kriminaldirektor Uwe Flöß.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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