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junge Welt , 13.08.2004 :

Schikanen hinter Stacheldraht / Flüchtlinge planen zweiwöchige "Anti-Lager-Tour" zu sogenannten Ausreisezentren und Abschiebeknästen

Von Reimar Paul

Mit Demonstrationen und Zeltlagern vor Asylbewerberunterkünften und Abschiebegefängnissen in ganz Deutschland wollen Flüchtlinge und ihre Unterstützer zwei Wochen lang für eine andere Flüchtlingspolitik werben. Die sogenannte "Anti-Lager-Tour" beginnt am 20. August im niedersächsischen Bramsche und geht am 5. September in Eisenhüttenstadt (Brandenburg) zu Ende, berichteten die Organisatoren dieser Tage in Göttingen. Die Aktion lehnt sich an die "Flüchtlingskarawanen" und Protestcamps vergangener Jahre an.

Lager und Sammelunterkünfte erfüllten immer mehr die "Funktion der Ausgrenzung von Flüchtlingen", sagte Susanne Köhring von der Initiative "Kein Mensch ist illegal" gegenüber Junge Welt. Viele Menschen müßten hinter Stacheldrahtzäunen und weitab vom nächsten Ort leben. Sie dürften nicht reisen und arbeiten, erhielten kaum soziale Unterstützung und nur unzureichende medizinische Versorgung. Hinzu komme die Demütigung durch ständige Verhöre und Vorladungen bei den Ausländerbehörden.

In Bramsche, wo die niedersächsische Landesregierung in einer ehemaligen Kaserne ein Abschiebelager für bis zu 500 Flüchtlinge eingerichtet hat, wollen die Demonstranten zum Auftakt der Tour vier Tage in einem Zeltlager campieren. "Für die Kinder im Lager wurde im Frühjahr eine Lagerschule eingerichtet, die Abschottung wird damit perfekt", kritisierte Köhring. Erst im Juli hatten 38 tschetschenische Flüchtlinge in einem offenen Brief ihre Situation im Lager Bramsche beklagt.

In Hannover, Berlin und Neuss wollen die Demonstranten vor Abschiebegefängnissen demonstrieren. Der Knast in Hannover-Langenhagen liegt ebenfalls auf einem früheren Kasernengelände am Flughafen mit direktem Zugang zur Rollbahn. Im Dezember 2000 erhängte sich dort ein 17-jähriger Asylbewerber aus Sri Lanka, der drei Tage später abgeschoben werden sollte. In Neuss befindet sich seit 1993 der bundesweit einzige Abschiebeknast für Frauen. In der Abschiebehaftanstalt Berlin-Grünau kam es Anfang 2003 zu einem Hungerstreik vieler Gefangener.

In Halberstadt (Sachsen-Anhalt), Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) und Eisenhüttenstadt sind wiederum Sammellager für Flüchtlinge das Ziel der Proteste, in Eisenhüttenstadt gibt es zudem einen weiteren Abschiebeknast. Die Lager in Halberstadt und Parchim liegen weit außerhalb von Ortschaften. In Parchim wird die von einem Stacheldrahtzaun umgebene Einrichtung für 200 Asylbewerber mit Videokameras und von Wachleuten mit Schäferhunden bewacht. Das Gefängnis in Eisenhüttenstadt ist berüchtigt, weil es dort eine sogenannte "Beruhigungszelle" gibt, in der Menschen teilweise über Stunden eingesperrt und gefesselt wurden.

Die Organisatoren rechnen mit "vielen hundert" Teilnehmern. Die einzelnen Stationen der Tour will man mit einem Konvoi aus Bussen und Pkw anfahren.

Infos: www.nolager.de


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