Mindener Tageblatt ,
05.10.2010 :
Wegen Volksverhetzung auf Anklagebank / Broschüre an Schüler verteilt: Seniorin aus Vlotho muss sich als Holocaust-Leugnerin vor Gericht verantworten
Von Tanja Pröbstl
München/Vlotho (dapd). Auf die Frage des Vorsitzenden Richters nach ihrer Staatsangehörigkeit antwortet die Angeklagte forsch "Deutsches Reich". Ursula H. aus ist wegen Volksverhetzung vor dem Landgericht München angeklagt.
Zum Prozessauftakt am Montag gesteht die 81-Jährige, eine Schrift verfasst zu haben, die laut Staatsanwaltschaft Juden diffamiert und den Holocaust leugnet.
Die Anklage wirft der Seniorin vor, in der Broschüre werde in vorgeblich satirischer Weise der Massenmord an Juden während des Nationalsozialismus verharmlost. Juden würden darin als Lügner dargestellt, heißt es in der Anklage.
Prozessbeobachter applaudieren
Die Hauptfigur des 76 Seiten umfassenden Buchs äußere wörtlich: "Den Holocaust gibt es gar nicht. Das ist so etwas wie der Weihnachtsmann oder der Osterhase für Erwachsene."
H. weist jedoch zurück, sie selbst leugne den Holocaust. Man könne nur leugnen, "woran man glaubt", erklärt sie in einer Stellungnahme. "Wenn ich wegen Holocaust-Leugnung angeklagt werde, dann muss doch erst einmal geklärt werden, was das ist", fordert die Pädagogin. Sie sehe vielmehr die Rede-, Presse- und Meinungsfreiheit durch den Volksverhetzungsparagraphen des deutschen Strafgesetzes eingeschränkt. Ihren Vortrag beendet sie daher mit einem Plädoyer für die Abschaffung dieses Paragraphen 130, der auch die Grundlage ihrer eigenen Anklage darstellt. Das Publikum, das nahezu ausschließlich aus Freunden und Unterstützern der Angeklagten besteht, reagiert auf ihre Forderung mit Applaus.
Einige Prozessbeobachter haben die umstrittene Schrift "Amalia Hinterwäldlerin vor Gericht und andere Geschichten" sogar vor sich liegen. In den fiktiven Dialogen der Geschichte versucht die Protagonistin Amalia ihr Gegenüber unter anderem davon zu überzeugen, der Holocaust habe nicht stattgefunden und in Auschwitz seien keine Juden ermordet worden. Als ein Zuschauer das Heft noch am Rande der Verhandlung verteilt, reagiert Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz umgehend. Er lässt die Personalien des Mannes feststellen und kündigt an: "Das gibt das nächste Verfahren."
Verfasserin sieht Text als "künstlerischen Beitrag"
Die Verfasserin der Schrift, die laut Staatsanwaltschaft auch an Schulen in ganz Deutschland geschickt wurde, betrachtet ihren Text als "künstlerischen Beitrag". Schüler hätten ein Recht, "Pro und Kontra zu kennen, das ist Grundlage der Urteilsbildung". Der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbandes, Max Schmidt, hatte im September 2009 vor der Broschüre gewarnt. Man müsse sie als "Versuch von rechtsradikalen Rattenfängern werten, kurz vor den Bundestagswahlen Jungwähler für sich zu gewinnen".
Mitangeklagt wegen Beihilfe zur Volksverhetzung ist der 91 Jahre alte Georg W. aus Ottobrunn bei München. Er fungierte laut den Ermittlern als Herausgeber der Schrift. Auch er räumt den Vorwurf ein, gibt jedoch an, er habe nicht gewusst, dass die Broschüre auch an Schüler verteilt werden soll.
Laut dem als Zeugen geladenen Leiter der Ermittlungen ist die Angeklagte bei Polizei und Justiz bereits mehrfach aufgefallen. Sie sei die Leiterin des 2008 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Collegium Humanum" in Vlotho gewesen. Der Verein habe revisionistische Ansichten vertreten und verbreitet. Zudem habe es bereits "diverse Verfahren wegen Volksverhetzung" gegen die Frau gegeben. Ab Freitag, 8. Oktober, findet ein Berufungsverfahren vor dem Landgericht Bielefeld statt: Dort wird ihr Beleidigung zur Last gelegt.
Für den Prozess in München sind zunächst zwei Verhandlungstage vorgesehen. Er soll am Mittwoch fortgesetzt werden.
Bildunterschrift: Holocaust-Leugnerin: Die Vlothoerin Ursula H. muss sich wegen Volksverhetzung vor dem Landgericht München verantworten.
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Anmerkung von www.hiergeblieben.de:
Artikel über Ursula Haverbeck-Wetzel (Vlotho) und Georg Wiesholler (Ottobrunn).
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