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Zeitung für Werther / Westfalen-Blatt , 18.09.2010 :

"Gedenken darf kein Ritual werden" / Dieter Klose vom Landesarchiv NRW eröffnet Wanderausstellung - Großer Zuspruch in vollbesetzter Aula

Von Stephanie Stallmann

Werther (WB). "Diese Station bildet auf dem Weg der Wanderausstellung einen Höhepunkt", sagte Dieter Klose vom Landesarchiv NRW bei der Eröffnung der Wanderausstellung zur Reichspogromnacht. 300 Besucher waren dazu in die Aula der Gesamtschule gekommen.

Die Juden-Verfolgung während des Nationalsozialismus hat nicht nur in Berlin und Auschwitz stattgefunden. Auch vom Bielefelder Bahnhof wurden bei den Novemberpogromen 217 Juden nach Buchenwald deportiert. Auch in Werther sind Geschäfte jüdischer Kaufleute verwüstet worden, Mitbürger mit Judensternen von heute auf morgen nicht mehr gegrüßt worden. Das wird dem Besucher fass- und greifbarer, der die Ausstellung im Schloss Werther besucht.

Der lokale Bezug hinterlässt einen anderen, neuen und betroffenen Eindruck. Das ist die Leistung dieser Wanderausstellung - das macht sie so wichtig und empfehlenswert. Und das ist ein großer Verdienst aller Wertheraner, die sich in den vergangenen Monaten darum bemüht haben, Spuren jüdischen Lebens in Werther zu finden, festzuhalten und vor dem Vergessen zu bewahren.

In den vergangenen zwei Jahren hat die Wanderausstellung "9.11.1938 - Reichspogromnacht in OWL" zehn Stationen durchlaufen. "Aber an keiner ist sie so gut an die konkrete Lokalgeschichte gebunden worden, wie in Werther", sagte Klose bei der Eröffnung. "Das hat mich tief berührt. So haben wir uns die Wirkung dieser Ausstellung vorgestellt und haben es gleichzeitig nicht zu hoffen gewagt."

Klose referierte anschaulich über die Vorkommnisse während der Novemberpogrome, die in erster Linie dem Einziehen jüdischen Vermögens zur Kriegsfinanzierung sowie über die Deportationen als Testlauf für die Vernichtungsmaschinerie des Holocaust dienten. Gleichzeitig warnte Klose davor, dass die Kränze, die am 9. November an Gedenksteinen für Synagogen abgelegt werden, mit den Jahren Gefahr laufen "zu einem Ritual zu verkommen". Die Ausstellung mit ihren konkreten regionalen und örtlichen Bezügen soll genau das verhindern.

Wie notwendig das Erinnern ist, machte Klose deutlich, indem er auf antisemitische Vorfälle in OWL in den vergangenen Jahren hinwies. "Die Abteilung für politische Kriminalität im Regierungsbezirk Detmold hat bestätigt, dass sie in unserer Region leider mit einem überdurchschnittlichen Anteil zugenommen haben", sagte er und nannte Demonstrationen, Veranstaltungen, Freizeitangebote für Jugendliche und Propaganda als Beispiele. "Diese neuen Formen des Rechtsextremismus durch Bildungsarbeit zu bekämpfen ist auch ein Anliegen der Ausstellung."

Das liegt auch den Initiatorinnen der örtlichen Zusatzausstellung, Ute Dausendschön-Gay und Brigitte Sonntag, am Herzen. Letztere betonte, deswegen sollten besonders Schüler angesprochen werden, die im Unterricht auf die Ausstellung vorbereitet wurden. "Wir müssen die Jugend teilhaben lassen, solange es noch Menschen gibt, die erzählen können, wie es damals war", sagte Dausendschön-Gay. Sie bezeichnete die Ausstellung als "entschiedene Initiative gegen das Totschweigen und Vergessen und für das Erinnern".

Bürgermeisterin Marion Weike würdigte den Verdienst der beiden Initiatorinnen sowie der 30 Mitarbeiter, die die lokale Ausstellung und das Rahmenprogramm in verschiedenen Arbeitsgruppen erarbeitet haben. "Die Stadt Werther ist stolz, dass so viele Menschen Zeit und Arbeit investiert haben, um zusätzlich eine lokale Ausstellung zu erarbeiten. Ich danke allen Beteiligten für ihre Kreativität und ihr Engagement."

Einige Besucher nutzten im Anschluss den Abend, um einen ersten Eindruck von der Ausstellung im Haus Werther zu bekommen.

Die Ausstellung ist dienstags bis freitags von 15 bis 18, samstags von 14 bis 16 und sonntags von 11 bis 13 Uhr geöffnet.

Bildunterschrift: Eine Besucherin spiegelt sich in der Vitrine mit Kultgegenständen aus der Synagoge Bielefeld.

Bildunterschrift: Fred Alexander (3. von links) ist einer der jüdischen Bürger aus Werther, die zur Ausstellung angereist sind. Die Ausstellung eröffneten (von links): Stadtführerinnen Brigitte Sonntag und Ute Dausendschön-Gay, Dieter Klose vom Landesarchiv NRW, Bürgermeisterin Marion Weike und Stefan Meier von der Stadt.

Bildunterschrift: Diese Thorarolle, die heute in der Synagoge in Bielefeld in Gebrauch ist, wurde in den Tagen der Novemberpogrome aus der Synagoge in Werther gerettet.

Bildunterschrift: Dieser ausgestellte Wimpel trägt den Namen von Kurt Weinberg, der am Wochenende anreist, um sich die Ausstellung anzusehen.

Bildunterschrift: Diese Steine "Gegen das Vergessen" dürfen die Ausstellungsbesucher mit nach Hause nehmen.

Bildunterschrift: Florian Welsch (Cello), Antoine Boecker (Klarinette) und Michael Riesen (Flügel) begeisterten bei der Eröffnung mit ihrem klaren Spiel und lieferten mit Stücken der Komponisten Pavel Haas und Max Bruch einen sehr passenden Rahmen.

Bildunterschrift: Yval Adam, Vorstand der Jüdischen Kultusgemeinde Berlin, mit jüdischer Kopfbedeckung "Kippa" blättert in einem Gedächtnisbuch.

Bildunterschrift: Sophia Schönfeld (16) vom Gymnasium Werther und Tobias Uebler (17) von der Gesamtschule Borgholzhausen sind Schülerguides für die Ausstellung. Sie orientieren sich auf dem sternförmigen Stadtplan Werthers in der Ausstellung, wo 1938 jüdische Familien lebten.

18./19.09.2010
guetersloh@westfalen-blatt.de

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