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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 09.09.2010 :

Vom Erinnern und Verdrängen / 150 Jahre Dürkopp Adler: Dass es Zwangsarbeit gab, gerät zu einer Randnotiz

Von Kurt Ehmke

Bielefeld. "Unter Zwang" ist der Titel der geplanten Skulptur auf dem Johannisberg. Erinnern soll sie an 1.000 Zwangsarbeiter, die hier von 1942 bis 1945 inhaftiert waren und bei Dürkopp arbeiten mussten. Ohne jeden Zwang spendet die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Stracke, Bubenzer & Kollegen jetzt 5.000 Euro für die Skulptur - anders als Dürkopp Adler. Das Unternehmen gibt nichts und feiert gerade sein 150-Jähriges: Die Jahre 1933 bis 1945 werden dabei fast komplett ausgeblendet - wie auch in einer Ausstellung im Historischen Museum.

In ehemaligen Dürkopp-Räumen, in denen unter Zwang gearbeitet worden sein dürfte, sitzen die Rechtsanwälte um Hans Bubenzer an der Marktstraße. Die Kanzlei ist größer geworden, die 5.000 Euro, die eine Feier gekostet hätte, gab die Kanzlei lieber für die Skulptur aus. "Nicht, weil wir Verantwortung tragen, sondern weil wir ein Bewusstsein für diesen Ort und seine Geschichte haben", sagt Bubenzer.

Hört er, wie Dürkopp Adler sich verhält, wird er sehr deutlich: "Das Unternehmen steht in dieser Tradition, mit diesem Verhalten macht es sich im Nachhinein erneut mitschuldig." Für ihn ist rätselhaft, "warum die sich vor diesem Teil ihrer Geschichte herumdrücken - das macht sie nicht glaubwürdiger".

Dabei ist kein Geheimnis, was in den letzten Kriegsjahren geschah: So hängt am heutigen BAJ-Gebäude, das damals extra für die Rüstungsproduktion gebaut wurde, eine Informationstafel, so wird seit mehr als einem Jahr öffentlich intensiv über den Erinnerungsort Johannisberg diskutiert und erschien dieses Jahr ein 23-seitiger Artikel zum Dürkopp-Lager Bethlem in den Ravensberger Blättern. Und es gibt aktuell im Historischen Museum eine Ausstellung zu 150 Jahren Dürkopp Adler.

In dieser aber werden ebenfalls die Jahre 1933 bis 1945 fast komplett ausgeblendet - und für sie konnte Dürkopp Adler Geld aufbringen: "Wir wurden finanziell unterstützt - im unteren vierstelligen Bereich", bestätigt Museumsleiter Wilhelm Stratmann, Kurator der Ausstellung. "Aber Dürkopp Adler hat mehr oder weniger keinen Einfluss auf die Inhalte genommen." Die Ausstellung, die laut Stratmann "in kurzer Zeit mit wenig Ressourcen und auf wenig Platz entstand", müsse "alle Aspekte behandeln, sie soll aber auch keine reine Jubelausstellung sein".

Kritik an der Qualität des nur in einer Chronik erwähnten Themas Zwangsarbeit, akzeptiert er nicht, er sagt: "Es gibt Leute, die sich ständig mit der Gedächtniskultur zum Dritten Reich befassen, denen fällt so etwas natürlich immer zu kurz aus."

Zu diesen Leuten könnte Godehard Franzen vom Initiativkreis gehören. Er zitiert gerne Bundespräsident a. D. Horst Köhler, der gesagt habe: "Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist eine der Grundlagen unserer Demokratie." Dass Dürkopp Adler seit 2005 der chinesischen SGSB-Gruppe gehört, mag Franzen als Ausrede nicht gelten lassen: "Immerhin ist mit Werner Heer ein Deutscher da Vorstandssprecher." Bei Dürkopp Adler, das am Freitag und am Samstag zu 150-Jahr-Feierlichkeiten einlädt, wird betont, Spenden seien intern nicht vermittelbar: Vor neun Monaten waren 160 Mitarbeiter entlassen worden. Sprecher Reinhard Kottmann betont: "Es gab aber ein konstruktives Gespräch mit dem Initiativkreis, er darf Samstag bei uns einen Infostand aufstellen." Dürkopp-Vorstand Werner Heer ergänzt, das Unternehmen habe sich maßgeblich am 1989 aufgestellten Gedenkstein beteiligt, wolle sich nicht immer wieder neu beteiligen.

Kleine Randnotiz: In der Firmen-Chronik und der Unternehmensgeschichte im Internet unter www.duerkopp-adler.com findet sich auch kein Wort zu Zwangsarbeitern.

Thomas Schönfeld, Kollege von Bubenzer, wundert sich über all das schon, sagt aber auch: "Ich mag nicht bewerten, ob das bei Dürkopp Adler tatsächlich finanzielle Gründe hat." Franzen wundert sich auch, sowohl über das einst größte Bielefelder Unternehmen als auch über das Historische Museum. "Da werden Chancen verpasst." Er hat aber auch Grund zur Freude: Von den 52.000 Euro, die der Initiativkreis für die Skulptur benötigt, hat er jetzt 50.000 zusammen.

Das Museum und die Zwangsarbeit

"Daneben rücken die Menschen ins Blickfeld, die Dürkopp und Kochs Adler groß gemacht haben, von den Arbeitern bis zum Firmenpatriarchen Nikolaus Dürkopp." So kündigt das Historische Museum seine Sonderausstellung zu Dürkopp Adler an.

Zwangsarbeiter sind Menschen, sie haben sogar gegen ihren Willen und unter übelsten Bedingungen Dürkopp groß gemacht - erwähnt werden sie in der Ausstellung auf einer Texttafel für beide Unternehmen: Als erwähnt wird, dass während des Zweiten Weltkriegs über 10.000 Menschen in erster Linie in der Rüstungsindustrie arbeiteten, heißt es: "Unter ihnen befanden sich auch einige hundert 'Fremdarbeiter', die in einem Lager am Johannisberg untergebracht waren." Auf einer Tafel für Kochs Adler ist an einer Stelle "von massivem Einsatz von Zwangsarbeitern" die Rede. Auf der entsprechenden Tafel für Dürkopp wird 1941 erwähnt, dass er 1941 "die Goldene Fahne der Deutschen Arbeitsfront als NS-Musterbetrieb" erhielt und 1943 als "Kriegsmusterbetrieb" ausgezeichnet wurde.

Bildunterschrift: Nachdenklich in edlen Räumen: Auch hier an der Marktstraße, wo Thomas Schönfeld (l.) und Hans Bubenzer (r.) in der Kanzlei "Dr. Stracke, Bubenzer & Kollegen" arbeiten, mussten von 1942 bis 1945 aller Wahrscheinlichkeit nach Zwangsarbeiter für Dürkopp schuften. Deshalb gibt die Kanzlei 5.000 Euro für die Erinnerungsskulptur "Unter Zwang", die hier Godehard Franzen noch einmal vorstellt.

Bildunterschrift: Gedenktafel am "Geschützhaus": Der Text erinnert an die Geschichte des Gebäudes (Foto unten) und an das Thema Zwangsarbeit.

Bildunterschrift: Hier bauten Zwangsarbeiter für Dürkopp Waffen: Im Gebäude an der August-Bebel-Straße, heute BAJ-Sitz.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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