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05.08.2004 :
Bundesverfassungsgericht veröffentlicht Urteil zur genehmigten NPD-Demonstration "Keine Steuergelder für den Synagogenbau - Für Meinungsfreiheit" vom 26. Juni in Bochum
210 Neonazi hatten am 26. Juni in Bochum-Ehrenfeld gegen den Bau der Synagoge in Bochum unter dem Motto "Keine Steuergelder für den Synagogenbau - für Meinungsfreiheit" demonstriert (Siehe auch: Antifaschistinnen und Antifaschisten aus OWL, 25.06.2004: "Nazis dürfen gegen den Bau der Synagoge hetzen"). Sie wurden von einem gewaltigen Polizeiaufgebot geschützt. Es gab mehr als ein Dutzend strafrelevante Vorfälle, die es der Polizei damals ermöglicht hätte, die NPD-Demonstration aufzulösen. Der zuständige Staatsanwalt war anwesend und hatte die Vorfälle nicht zum Anlass genommen zu intervenieren. Das ganze gipfelte darin, dass die Neonazis "Juden raus" skandierten.
Die vielen antisemitischen Sprüche, Hetzparolen gegen den Neubau der Synagoge, Rufe gegen "Zigeuner und Ausländer", das alles konnte die Polizei nicht bewegen, den grässlichen Aufmarsch für beendet zu erklären. Die Aufforderung bei der Abschlusskundgebung, den Bau der Synagoge während der Bauzeit massiv zu behindern, war eine eindeutige Aufforderung zur Gewalt.
Demonstrantinnen und Demonstranten, auch aus Ostwestfalen-Lippe, hatten versucht ihren Ekel zu Ausdruck zu bringen. Etliche von ihnen hatten "Platzverweise" längs der Demonstrationsroute erteilt bekommen.
Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen sein umstrittenes Urteil zur Genehmigung dieses Neonazi-Aufmarsches veröffentlicht. Wir dokumentieren hierzu einen Artikel vom heutigen Tage.
Jüdische Allgemeine, 05.08.2004:
Grundrecht geht vor / Verfassungsrichter: Meinungsfreiheit schützt auch Rechtsextreme
Auch für Rechtsextreme gilt das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Urteil festgestellt (Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 BvR 19/04).
Mit ihrer Entscheidung gaben die Richter dem NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen Recht, der gegen das Verbot einer für den 26. Juni in Bochum geplanten Demonstration geklagt hatte. Zugleich setzte der Erste Senat damit einen Schlusspunkt unter einen jahrelangen Streit mit dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster.
Die NPD hatte eine Demonstration unter dem Motto "Keine Steuergelder für den Synagogenbau. Für Meinungsfreiheit" angemeldet. Die Polizeibehörde hatte - wie auch später das OVG - darin eine Ersatzveranstaltung für eine schon früher verbotene Demonstration gesehen und auf das frühere Verbot verwiesen.
Die Karlsruher Richter sahen dafür keine Rechtsgrundlage. Das OVG habe seine Entscheidung ausschließlich auf den Inhalt zu erwartender neonazistischer Äußerungen gestützt - unabhängig davon, ob Straftaten drohten. Darauf könne ein Versammlungsverbot nicht gestützt werden. Es setze eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gelte auch für Minderheiten; es dürfe nicht unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte den herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen widersprechen. Die Verfassungsrichter stellten zugleich klar: Verletzen antisemitische oder rassistische Äußerungen Strafgesetze, so ist damit auch die öffentliche Sicherheit verletzt. Dann komme ein Versammlungsverbot in Betracht.
Eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Innenministeriums erklärte, für die Polizeibehörden werde sich nach der Karlsruher Entscheidung nichts ändern. Die Polizei müsse weiterhin in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, ob eine Demonstration genehmigt werden könne oder ob die Gefahr bestehe, dass dabei auch Straftatbestände erfüllt werden könnten.
Auf Unverständnis stieß das Urteil in der jüdischen Gemeinschaft. Auch die in Deutschland lebenden Juden träten für Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. "Allerdings erstaunt es, dass das Bundesverfassungsgericht die sehr weitherzige Auslegung dieser Grundrechte immer wieder an Fällen rechtsextremer Demonstrationen festmacht." Das Bundesverfassungsgericht nehme leider kaum Notiz davon, dass die NPD-Demonstrationen "ausschließlich das Ziel verfolgten, die jüdische Bevölkerung zu provozieren und auszugrenzen", kritisierte Spiegel.
Kritik übte auch die Gewerkschaft der Polizei. (GdP). Der stellvertretende nordrhein-westfälische GdP-Vorsitzende Herbert Planke sagte, der Karlsruher Richterspruch sei für politisch denkende Bürger "nicht mehr nachvollziehbar". Nach dem Urteil müssten Polizisten "kampfgestiefelten, fahnenschwingenden Neonazis die Straße für ihre Aufmärsche freikämpfen".
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