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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 10.06.2010 :

Friedlicher Protest / Bildungsstreik mit rund 2.000 Demonstranten endet auf dem Jahnplatz

Von Sandra Spieker

Bielefeld. "Will studieren - suche reiche Eltern" oder "Studiengebühren verschließen Bildungstüren" steht auf den Plakaten. Aus den Lautsprechern krächzt eine Tonbandstimme, spricht von "Bildung als Ware auf einem globalen Marktplatz". Rund 2.000 Schüler und Studierende trafen sich gestern nicht im Klassenzimmer oder Hörsaal, sondern auf dem Jahnplatz - um ihrem Ärger Luft zu machen und für bessere Bildung zu demonstrieren.

Doch bevor die Straßen rund um den Jahnplatz in Beschlag genommen wurden, trafen sich die Demonstranten an vier Orten in Bielefeld, um innerhalb eines Sternmarsches zur Stadtmitte zu gehen: an der Universität, an der Spindelstraße, dem Parkplatz Bolbrinkersweg und der Grünfläche Beckhausstraße / Stadtheider Straße. Organisiert wurde die Demonstration vom Bielefelder "Bündnis Bildungsstreik" innerhalb des bundesweiten Aktionstages. 1.200 Teilnehmer waren erwartet. Im Laufe des Protestmarsches wuchs die Anzahl auf rund 2.000 an, die sich zur Kundgebung auf dem Jahnplatz und dem Oberntorwall niederließen.

Als Toni Dolle (17) vom "Bündnis Bildungsstreik" - einem Zusammenschluss aus Mitgliedern der Allgemeinen Studierendenausschüsse von FH und Uni, der Bezirksschülervertretung und Jugendorganisationen - aufs Podium tritt und die Demonstranten begrüßt, wird frenetisch gejubelt. Seiner Meinung nach hat sich seit den letzten Streiks im vergangenen Jahr die Situation kaum verbessert. "Es wurden oberflächlich einige Kritikpunkte angekratzt, aber der Wille im Bildungssystem etwas zu ändern, ist einfach nicht da", sagt er. Zwischendurch ertönt immer wieder dröhnende Musik aus den Lautsprechern. "Es geht nicht um einzelne Punkte, es geht darum, dass wir ein Mitspracherecht bekommen", sagt Dolle.

Eine Schule für alle, kostenlose Bildung bis ans Lebensende und Bildung unabhängig von wirtschaftlichen Interessen fordert Lisa Brockerhoff (25) vom AStA der Universität. "Jeder muss die Möglichkeit haben, sich akademisch und ohne Kosten weiterzubilden", sagt Ayse Özdemir (25) von der Grünen Hochschulgruppe. Ein Dorn im Auge sind vielen Studenten auch die Bachelor- und Master-Studiengänge: "Ich mache gerade ein Bachelor-Studium. Es ist viel zu verschult und ich habe keine Zeit, etwas zu vertiefen", sagt Laura (22).

Voll und ganz verstehen können auch viele Passanten die Motive der Demonstranten. "Man muss für seine Ideale kämpfen", sagt Marianne Kirchner, "allerdings nicht so laut", schmunzelt sie. Kopfschütteln hingegen bei anderen wie Helmut Schulz: "Die sollten lieber pauken, als hier zu sitzen", sagt der 76-Jährige.

Am Ende des Protestes, der sich schon vorzeitig gegen 13.30 Uhr auflöste, bleibt die Erleichterung über den friedlichen Ausgang - anders im vergangenen Juni, als Demonstranten den Schienenverkehr lahmgelegt hatten. "Alles ist im Rahmen geblieben", sagt Polizeisprecher Friedhelm Burchard. Ein Großaufgebot der Polizei mit Einsatzkräften aus Bielefeld, Gelsenkirchen, Münster und Bochum sowie einer Reiterstaffel aus Dortmund hatte die Demonstration gesichert. Ein Verkehrschaos blieb aus. Busse und Bahnen verspäteten sich.

Kommentar / Streik für Bildung / Hausaufgaben gemacht

Von Sandra Spieker

Wer Schule und Studium schon ein Weile hinter sich hat, der mag die Bildungsstreiks belächeln. Zu viele Demonstrationen kommen und gehen, und die Parolen bleiben meist die gleichen: Bildung für alle, keine Studiengebühren und weniger Notendruck.

Aber letztendlich muss jede Generation ihre eigenen Erfahrungen sammeln. Schließlich sind Demonstrationen gelebte Demokratie. Auch wenn sich die Kritik an der Bildungspolitik für viele zu pauschal anhört und es wie immer einige gedankenlose Mitläufer gibt: Die jetzigen Schüler und Studierenden haben allen Grund zu demonstrieren. Dramatischer Lehrermangel, überlastete Hochschulen und eine nicht geglückte Studienreform mit starren Lehrplänen geben ihnen recht. Schließlich sind sie es, die die Ideen der jetzigen Regierung teuer zu stehen kommen können.

Auch ganz im Sinne des Begriffs Bildung: Die Bielefelder Demonstranten haben ihre Hausaufgaben gemacht und aus den Protesten im vergangenen Jahr gelernt. Sie haben sich diesmal nicht von Einzelnen instrumentalisieren lassen und das Thema des Tages im Vordergrund gelassen. Gut so.

sandra.spieker@ihr-kommentar.de

Bildunterschrift: Parolen in der Hand und um den Kopf: Nora, Lara, Christina, Ann-Christin und Eleni (v. l.) vom Waldhof-Gymnasium wehrten sich am Mittwoch auf dem Jahnplatz lautstark gegen die Studiengebühren.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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