Lippische Landes-Zeitung ,
27.08.1990 :
Demo abgesagt
Bad Salzuflen. Auf Grund des Besuches von Innenminister Dr. Herbert Schnoor in Bad Salzuflen am vergangenen Wochenende will die Bürgerinitiative Schülerstraße die geplante Bürgerversammlung am heutigen Montag, 27. August, um 19.30 Uhr auf dem Salzhof ausfallen lassen. Der Grund: Schnoor sei sich der Problematik in der Badestadt bewusst und werde in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung auf eine schnellstmögliche Lösung hinwirken, erklärte ein Mitorganisator der Bürgerinitiative die Situation. Er blicke nun zuversichtlich in die Zukunft und glaube, dass sich in der Asylfrage etwas bewege.
Besonnene Bürgerschaft
Eine weitsichtige Haltung zeigen die Leute von der Bürgerinitiative "Schülerstraße". Offensichtlich um die Randale von Skinheads und Rechtsradikalen in der Badestadt zu verhindern, verzichten sie auf eine genehmigte Demonstration (Sternmarsch auf Salzuflens City), die auf die Asyllage in Schötmar hinweisen sollte.
Ungerecht, dass zur gleichen Zeit Stimmen laut werden, welche die Schötmaraner Bürgerschaft und die Sozialverwaltung der Stadt Bad Salzuflen der Hartherzigkeit gegenüber Roma und Sinti, ja sogar der Ausländerfeindschaft zeihen.
Denn man führe sich die Situation einmal unvoreingenommen vor Augen: In der Siedlung Schülerstraße wohnen nach Schätzung von Friedrich Ondrich, einem der Sprecher der Bürgerinitiative, keine 50 deutschen Familien mehr; sie haben rund 300 türkische Nachbarn, etwa 240 Aussiedler aus Russland, 100 Libanesen und eine schwer zu schätzende Zahl Roma und Sinti (200 bis 300).
Trotzdem herrschte bislang ein gutnachbarschaftliches Klima. "Wir beschäftigen sieben Nationalitäten in unserer Firma", berichtet Ondrich aus dem Betrieb, wo er arbeitet (Getränkevertrieb). "Wir schätzen unsere ausländischen Mitarbeiter. Ohne sie würde der Betrieb zusammenbrechen." Als Zeichen dieser funktionierenden "multikulturellen Gesellschaft" auf engstem Raum überbrachte die junge Türkin Serab Dag Minister Dr. Herbert Schnoor einen Blumengruß, über den er sich sichtlich sehr freute und den er bitter nötig hatte, um die kalte Dusche beim Bad in der Menge zu überstehen.
Wenn vor wenigen Tagen noch "die Volksseele" hochgekocht ist und der ein oder andere seinen Ohnmachtsgefühlen, seinem Ärger oder seiner Zukunftsangst in entsprechenden Äußerungen (ganz vereinzelt aggressive Phantasien) Luft gemacht hat, die von Menschenfreunden weit draußen als despektierlich und gegen den Geist der Humanität gerichtet empfunden werden - dann erlaubt das kein Urteil gegen die Schötmaraner Bürgerschaft, sondern muss als Vorgang gewertet werden, der geradezu vorauszusehen ist. Schötmar wird sich bald überall ereignen, könnte man mit Leichtigkeit prognostizieren. Wenn auch anderswo die Konfliktlösung so besonnen und friedlich abläuft wie in Salzuflens hochstrapaziertem Ortsteil, dann können wir wahrlich von Glück reden.
Dabei kommt dem realistischen Pfarrer der Kilianskirche ein ganz großes Verdienst zu, weil er nicht nur das Gotteshaus für eine klärende "Großraumdiskussion" zur Verfügung gestellt hat, in der selbstverständlich auch Dampf abgelassen wurde (wichtige Ventilfunktion). Eben dadurch, dass er eine wahrhaft vermittelnde Position eingenommen hat und sich in der Bürgerschaft nicht von vornherein durch eine allzu billige Lippenbekenntnis-Brüderschaft aller Menschen als Vermittler unglaubwürdig machte, hat er seinen Einfluss auf den Gang der Dinge bewahren und ausbauen können.
Die Schötmaraner sollten nun nicht wegen angeblicher Inhumanität gegeißelt, sondern wegen ihrer Besonnenheit beglückwünscht werden.
Heinz-Joachim Gärtner
Salzuflen@lz-online.de
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