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Schaumburger Zeitung , 20.07.2004 :

"Gott will, dass wir auch Stalin lieben" / Pfarrer im Widerstand gegen das NS-Regime: Karl Meyer, Wilhelm Mensching und Eugen Sturhan

Von Wilhelm Gerntrup

Bückeburg. "Passiv und unkritisch" – so lauten die grob vereinfacht zusammengefasste Bewertung der Geschichtsforscher zum Verhalten der schaumburg-lippischen Landeskirchenleitung während der NS-Zeit. Von einem "Aufstand des Gewissens" oder aktivem Widerstand könne keine Rede sein. Immerhin: Dank des "diplomatischen Geschicks" (Landeskirchenamt Bückeburg) des Superintendenten und späteren Landesbischofs Wilhelm Henke scheint eine Reihe "unangepasster" Pastoren vor Schlimmerem bewahrt worden zu sein.

Hintergrund: Der größte Teil der heimischen Pfarrer stand dem NS-Regime und der Entwicklung nach der "Machtergreifung" äußerst kritisch gegenüber. Die Ablehnung richtete sich vor allem gegen den zunehmenden Einfluss der "Deutschen Christen" – einer Hitler-hörige Bewegung innerhalb der evangelischen Kirche. Über die "DC" begannen die NS-Ideologen mit der Gleichschaltung der Gemeinden. Im Visier hatte die Partei insbesondere die christlichen Vereine. Nicht mehr CVJM und Mädchenvereine, sondern Jungvolk, HJ, Jungmädel und BDM sollten der Hort für die neue deutsche Jugend sein. Als neue Heimat der neuen deutschen Frau war, statt kirchlicher Frauenhilfe, die NS-Frauenschaftsbewegung angesagt.

Der von der "Reichskirche" widerspruchslos mitgetragene "Entchristlichungsdruck" stürzte Pfarrer und engagierte Laien vor Ort in Gewissensnot. Widerborstige Geistliche wurden überwacht. Spitzel hörten die Predigten mit. Örtliche Parteifunktionäre betätigten sich als Denunzianten. Die Kirchenaustritte häuften sich. In einigen Gemeinden herrschte ein regelrechter "Kirchenkampf".

Zu den wenigen Geistlichen, die dem Druck über Jahre hinweg standhielten, gehörten die Pfarrer Karl Meyer in Heuerßen, Wilhelm Mensching in Petzen und Eugen Sturhan in Meerbeck. Möglich war das allerdings auch und vor allem deshalb, weil mutige Männer und Frauen ihrem Pastor vor Ort den Rücken stärkten. Meyer nahm trotz ständiger Einschüchterungsversuche nie ein Blatt vor den Mund. "Gott will, dass wir auch unsere Feinde lieben, also auch die Juden und Stalin", soll er 1941 im Konfirmationsunterricht gesagt haben. Er wurde verhaftet und eingesperrt. Auch Mensching, der als bekennender Pazifist ohnehin misstrauisch beäugt wurde, riskierte Kopf und Kragen. So versteckte er 1943 mehrere Monate lang eine junge Jüdin in seinem Haus.

Den wohl hartnäckigsten Ungehorsam leistete Eugen Sturhan. Der nach Aussage von Zeitgenossen kompromisslos-knorrige Meerbecker Dorfpastor war 1929 in die Gemeinde gekommen. Schon bald rief der damals 28-Jährige eine Frauenhilfe ins Leben – eine der ersten im Bereich der heimischen Landeskirche überhaupt. Die Initiative machte Schule. Sturhan wurde Beauftragter der Landeskirche für Frauenarbeit und Geschäftsführer des Kreisverbandes der Frauenhilfe. Bei einem "Frauenhilfstag" 1937 in Stadthagen strömten mehr als 1500 Teilnehmerinnen zusammen. Die Meerbecker Gruppe wuchs auf über 300 Mitglieder heran.

Für die hiesigen Parteioberen war das Ganze eine einzige Provokation. Am meisten ärgerte sich Sturhans direkter Mitarbeiter, der Organist, Lehrer und Meerbecker NSDAP-Ortsgruppenleiter Heinrich Hartmann. Hartmann startete zahllose Intrigen. Im Oktober 1934 nutzte er eine Kirchenvisitation zur öffentlichen Denunziation. Das Presbyterium reagierte mutig: Hartmann wurde als Gemeindeorganist gefeuert.

Eine neue Chance für den NS-Mann tat sich auf, als Sturhan Anfang 1938 einem Konfirmanden eine Ohrfeige verpasste. Der Junge war in Jungvolk-Uniform in die Kirche gekommen und hatte seinen Pastor nicht gegrüßt. Die Ohrfeige sei "eine unerhörte Provokation und zugleich ein Schlag ins Gesicht der Bewegung", empörte sich Hartmann. Die Gemeinde merkte, dass es für ihren Pastor jetzt eng zu werden begann. Sofort wurden Unterschriftenlisten ("Wir stehen treu zu unserem Pastor") in Umlauf gebracht. Wie sich später herausstellte, hatten sich darin auch zahlreiche örtliche Partei- und SS-Mitglieder eingetragen.

Vermutlich hat vor allem diese Solidarität Sturhan vor dem KZ bewahrt. Und hilfreich dürfte für ihn auch ein damals in Berlin gerade einsetzender Sinneswandel gewesen sein: Das Regime war angesichts des bevorstehenden Krieges an einer Verschärfung des Kirchenkampfes nicht interessiert.


sz@schaumburger-zeitung.de

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