Lippische Landes-Zeitung ,
02.02.1993 :
Bürgerinitiative hat Fragenkatalog für den bevorstehenden Besuch von Innenminister Dr. Herbert Schnoor vorbereitet / Trotz Verbot: Im NF-Zentrum herrscht reger Betrieb
Detmold/Kreis Lippe (mmh). Obwohl die Nationalistische Front (NF) im November von Bundesinnenminister Rudolf Selters (CDU) verboten worden ist, herrscht am Stammsitz in der Pivitsheider Quellenstraße nach wie vor Hochbetrieb. Vertreter der Bürgerinitiative gegen ein Nazi-Zentrum kritisieren in diesem Zusammenhang insbesondere die "lasche Haltung" der zuständigen Ordnungsbehörden.
Wie Sigrun Ahle in ihrer Eigenschaft als Sprecherin der Bürgerinitiative auf Anfrage der LZ mitteilte, hat Ex-Bundesvorsitzender Meinolf Schönborn seine "Kameradinnen und Kameraden" schon zu Beginn des neuen Jahres in einem Rundschreiben wissen lassen, dass "der Kampf weitergeführt wird". Erfreut zeigt sich Schönborn darin auch "über die von sehr vielen Freunden gezeigte Solidarität". Und, wie dem sozialdemokratischen Pressedienst-"Blick nach rechts" - außerdem zu entnehmen ist, heißt es in dem Aufruf weiter: "Zeigen wir erneut durch unsere Solidarität, dass wir uns von diesem Regime nicht in die Knie zwingen lassen!"
"Ohne Kontrolle geht es nicht"
Dennoch können sich die Anhänger Schönborns in der ehemaligen Gaststätte "Tanneneck" weiter ungestört treffen. Als "Hauptknackpunkt" des NF-Verbotes erachtet Sigrun Ahle die Tatsache, dass die Partei mit einem Federstrich praktisch zum Verein erklärt wurde. Deshalb dürfen sich die NF-Mitglieder auch künftig treffen, um sich auf den Prozess vorzubereiten beziehungsweise um die entsprechenden Mittel dafür zu beschaffen. Hintergrund: Ein Verbot der Partei wäre sehr viel zeitaufwendiger gewesen und hätte nur vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden können.
Sigrun Ahle geht davon aus, dass die Bewohner der Quellenstraße "mit Sicherheit keine juristischen Debatten führen, sondern neue Aktionen vorbereiten". "Natürlich", sagt sie weiter, "wird Schönborn der Kripo keine Einladung zu derartigen Treffen schicken." Ihrer Meinung nach könne die Bildung von weiteren Ablegern der NF nicht durch Zuschauen unterbunden werden. Im Gegenteil: "Wenn man das nicht kontrolliert, erreicht man, wie die Vergangenheit ja gezeigt hat, das Gegenteil."
Am kommenden Mittwoch erwartet die Bürgerinitiative in Pivitsheide hohen Besuch: Der Innenminister des Landes NRW, Dr. Herbert Schnoor, will sich mit den Mitgliedern persönlich über ihre Erfahrungen unterhalten. Außerdem hat die Bürgerinitiative einen umfangreichen Fragenkatalog vorbereitet. Die Lipper wollen unter anderem wissen, ob im Zuge der Beschlagnahmung von Material der NF inzwischen Strafverfahren eingeleitet worden sind. Außerdem geht es um eine Einschätzung Schnoors über die künftige Entwicklung des Rechtsextremismus.
"NF bereitet Aktionen vor"
Von Interesse ist für die Mitglieder, die eigenem Bekunden nach in der Vergangenheit in der Quellenstraße fotografiert und mehrmals bedroht wurden, außerdem, ob der Innenminister eine "Handlungsanweisung" für die Polizeibeamten vor Ort zum Auflösen von Versammlungen herausgegeben hat. Von dem Gespräch erhoffen sich Sigrun Ahle und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter auch Aufschluss darüber, ob im Zuge der Hausdurchsuchungen "Todeslisten" gefunden wurden. Wie es in dem Fragebogen heißt, haben Medien in Niedersachsen im vergangenen Sommer von der Existenz solcher Unterlagen nach Razzien in der rechten Szene berichtet.
Ein eigener Vorstoß der Bürgerinitiative blieb nach deren Schilderung bisher erfolglos: Die Staatsanwaltschaft Celle hat die Erteilung von Auskünften abgelehnt. Der Grund: Die Pivitsheider müssten zunächst einmal ein "berechtigtes Interesse" nachweisen.
Detmold@lz-online.de
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