Westfälisches Volksblatt / Westfalen-Blatt ,
18.03.2010 :
Rabatzer Frank Gockel muss Geldstrafe zahlen / Amtsgericht fällt Urteil gegen einen der Hausbesetzer
Von Andreas Pistorius und Wolfram Brucks (Fotos)
Paderborn (WV). Ist Frank Gockel Besucher oder Besetzer gewesen, als junge Leute im Herbst 2007 ein leerstehendes Bahnhofsgebäude in Paderborn zu einem autonomen Kulturzentrum erklärten? Für das Amtsgericht gibt es keinen Zweifel: Es verurteilte Gockel gestern wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe.
Der 38-jährige Sauerländer, der nach eigenen Angaben mal Informatik studiert hat und heute als Flüchtlingsberater tätig ist, gilt als Vordenker und Aktivist einer linksorientierten Kulturszene in der Region. Gockel bestreitet diese Tatsache nicht, wohl aber, dass er zum harten Kern der Hausbesetzer gehört haben soll, die fünf Wochen lang das rote Backsteingebäude der Güterabfertigung zum "Rabatz"-Zentrum erklärt hatten.
Mehrere Zeugen schilderten gestern, dass sie Frank Gockel in dem Gebäude, das die Stadt Paderborn wenige Wochen nach der Räumung abreißen ließ, gesehen hatten. Ein Polizist war darunter, der zur Unfallstelle gerufen wurde, als ein Rabatzer durch eine Zwischendecke brach und sich dabei schwer verletzte. Udo Olschewski, Leiter des Paderborner Ordnungsamtes, hatte den Angeklagten ebenfalls erkannt, als er vom Parkplatz der Kulturwerkstatt zum "Rabatz" hinüberblickte und dabei eine Person auf der Eingangstreppe ausmachte. Und schließlich war Gockel auch den beiden Ratsherren Franz-Josef Henze und Martin Pantke begegnet, als sie im Auftrag der SPD-Ratsfraktion das autonome Kulturzentrum aufsuchten, um mit den Besetzern zu sprechen.
Für Richter Bastian Köhler gibt es keinen Grund, die Aussagen der Zeugen in Frage zu stellen. Für Gockel schon. Als der Unfall passierte, habe er helfen wollen und sich deshalb im Haus aufgehalten, ließ er gestern durch seinen Anwalt Sebastian Nickel vortragen. Weiter sagte der: Amtsleiter Olschewski hätte den Angeklagten auf die Entfernung hin überhaupt nicht sicher erkennen können, und die beiden Ratsherren hätten Gockel rein zufällig angetroffen.
"In Paderborn herrscht schon seit Jahrzehnten ein absoluter Kulturnotstand."
Angeklagter Frank Gockel
Der Verteidiger forderte deshalb, weitere Zeugen zu hören, um die Unschuld seines Mandanten zu beweisen. Staatsanwalt Burkhard Dannewald wischte diese Beweisanträge als "für die Sache unbedeutend" vom Tisch. Richter Köhler folgte dieser Einschätzung. Unter anderem sollten die Kabarettisten Erwin Grosche und Michael Greifenberg ("Stani") sowie Bürgermeister Heinz Paus darlegen, "dass in Paderborn ein Kulturnotstand" herrsche, und die Rabatzer mit der Eröffnung ihres autonomen Kulturzentrums eine Lücke geschlossen hätten.
Für Frank Gockel ist die eigenmächtige Installation eines Kulturtreffpunkts in einem öffentlichen Gebäude kein Rechtsbruch. In einer 20-minütigen Erklärung, die er zu Prozessbeginn verlas, beruft er sich auf den UN-Sozialpakt von 1966, den auch die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet hat. Darin geht es in Artikel 15 um das "Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben". Da die Stadt Paderborn dieses Recht einer Gruppe von Autonomen hartnäckig verweigere, hätten diese selbst die Initiative ergriffen und ein Gebäude genutzt, das nach Gockels Rechtsverständnis dem Bürger als Souverän des Staates gehört.
Amtsrichter Köhler zeigte Verständnis für das Bedürfnis, einen Ort für kulturelle Aktivitäten zu finden. Nicht aber für die Hausbesetzung. Er verurteilte Frank Gockel zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro. Der nach eigenen Angaben mittellose Verurteilte kündigte an, in Berufung zu gehen.
Bildunterschrift: Frank Gockel (rechts) und sein Anwalt Sebastian Nickel wollen gegen das Urteil Berufung einlegen. Rund 20 Zuschauer aus der autonomen Szene protestierten gegen den Prozess mit Transparent und Zwischenrufen.
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