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Neue Westfälische , 08.10.2002 :

Kommentar / Bertelsmanns Rolle im Dritten Reich / Nachahmung empfohlen

Stefan Brahms, München

Das war nicht nur ein historischer Tag für die Bertelsmann AG, sondern für die deutsche Verlagsbranche insgesamt, denn mit dem Bertelsmann Verlag stellte sich zum ersten Mal ein Medienunternehmen seiner Rolle im Dritten Reich. Ein Beispiel, das zur Nachahmung empfohlen sei. Wenn auch nicht vergessen werden darf, dass Bertelsmann sich zur Aufarbeitung erst entschlossen hat, als die öffentliche Debatte im Herbst 1998 einige selbst gestrickte Legenden rund um die Rolle des Unternehmens im Nationalsozialismus ins Wanken brachte. Doch hier gilt, lieber spät als nie.

Vorbildlich ist das Projekt auch insofern, als hier eine Kommission im wahrsten Sinne unabhängig agiert hat, selbst ihre Mitglieder bestimmte, Zugang zu allen Firmenunterlagen hatte und dem Unternehmen auch die Verpflichtung abgenommen hat, das Archivmaterial weiterhin der Öffentlichkeit in einem Archiv in Gütersloh zugänglich zu machen. Denn bei aller Unabhängigkeit der Kommission, Forschung lebt vom Diskurs, doch der ist nur möglich, wenn auch andere Forscher und Interessierte künftig Zugang zum kompletten historischen Material haben. Dies ist jetzt der Fall.

Gespannt sein darf man auch darauf, wie im Unternehmen selbst die Forschungsergebnisse aufgearbeitet werden. Zugesagt sind bereits Veröffentlichungen in hausinternen Blättern und eine Diskussionsveranstaltung. Auch darin liegt eine Chance, denn nur wenn die Unternehmensgeschichte zu einem lebendigen Bestandteil der viel gerühmten Bertelsmann-Unternehmenskultur wird, wird es möglich sein, aus den Fehlern auch der dunklen Vergangenheit zu lernen.

Und ein Punkt erscheint dabei weit über Bertelsmann hinaus besonders diskutierenswert: Rechtfertigt ökonomisches Erfolgskalkül die Anpassung an die jeweils herrschenden Systeme egal welches Unrecht sie verkörpern? Eine gegenwärtige Debatte, aber gerade dazu betreiben wir ja auch das Studium der Geschichte.


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