Lippische Landes-Zeitung ,
19.02.2010 :
Leid und Verwüstung / Christina Linnemann-Meinen erinnert sich an die Bombardierung von Lage im Februar 1945
Von Pia Wagner
21./22. Februar 1945: Die Engländer bombardieren Ende des Zweiten Weltkriegs die Zuckerstadt. Christina Linnemann-Meinen erlebt die Tage, die sich jetzt zum 65. Mal jähren, als Zehnjährige.
Lage. "Auf dem Balkon des gegenüberliegenden Hauses standen drei Mädchen. Am Himmel sahen wir die Flieger, die Bomben klein wie Bonbons abwarfen. Und dann sahen wir, wie die Mädchen über das ganze Viertel geflogen sind", erinnert sich die Zeitzeugin. Sie wohnte damals mit ihrer Mutter in der von-Cölln-Straße 14, in der sich auch das Wäschegeschäft der Familie befand.
Ziel der abgeworfenen Bomben war vor allem der Bahnhof, damals ein Eisenbahnknotenpunkt, den etliche Truppentransporte passierten. Die Bomben rissen metertiefe Krater in die Erde und zerstörten Häuser, Straßen, Menschen, berichtet Linnemann-Meinen.
Bei den ersten Bombardierungen am 21. waren die Witwe und ihre Tochter im Haus, blieben aber unverletzt. Als dann am folgenden Tag gegen 9 Uhr wieder Voralarm ausgelöst wurde, retteten sie gerade ihre Ware vor Plünderern. Die Detonationen hatten die Schaufensterscheiben zerstört.
Schreie von Verletzten heute noch im Ohr
"Nun regen Sie sich doch nicht so auf", sagte ein Nachbar, den wir auf der Werrebrücke trafen, nachdem wir unser Haus verlassen hatten. "Viele Menschen glaubten nicht an einen erneuten Angriff, war doch am Vortag schon ein Großteil der Stadt zerbombt worden", erinnert sich die Lagenserin. Doch der Schein trügte: Immer noch durchfuhren viele Züge den Bahnhof. Viele waren schon wieder auf dem Weg zu ihren Häusern. Diese Entscheidung sollte fatal sein - Vollalarm und Bombenabwürfe folgten, die viele Menschen in den Tod rissen. "Wir hörten die Schreie der Verletzten, die in Bollerwagen über Kopfsteinpflaster gezogen wurden. Überall lagen Tote und Verletzte."
Christina Linnemann-Meinen floh mit ihrer Mutter nach Ehrentrup, erst in eine Kiesgrube, dann in eine Scheune. Ihr Haus war völlig zerstört worden. "Wir hatten nichts anzuziehen, keine Möbel. Wir hatten gar nichts mehr", erinnert sie sich. Angst, Hunger und Kälte plagten alle, die überlebt hatten. In den folgenden Wochen wohnten beide bei Fremden, bei Bekannten, dann, als die Amerikaner kamen, bei der Großmutter. Jeden Morgen gingen sie zu dem Trümmerhaufen, der einst ihr Zuhause gewesen war und suchten nach ihrem Hab und Gut. Sie mussten mit ansehen, wie feinere Damen mit ihren Handschuhen spitzfingerig Schmuck und Brauchbares aus ihrem Haushalt stahlen. "Die Leute klauten wie die Ratten" - das war normal. Selbst der Brautschmuck der Mutter, den sie im Krater ihres Hauses gefunden hatten und bei Freunden im Keller sicher verwahrt glaubten, war verschwunden, als sie ihn zum Tauschhandel abholen wollten.
Nach dem Krieg wurde der Familie ein Laden in der Langen Straße 80 zugewiesen. Unter Anleitung eines befreundeten Malermeisters lernten Christina Linnemann-Meinen und ihre Mutter den Geschäftsraum und die darüber liegende Wohnung zu renovieren.
1946 und 1947 konnte die Familie neben Wäsche wieder ein Weihnachtssortiment anbieten. Aus Strümpfen, die sie mit Korken füllten und außen bunt bestickten, fertigten sie Bälle und flochten Weihnachtssterne aus Papierresten. In einem neu erbauten Haus an der Langen Straße 90 führte die Lagenserin ihr Wäschegeschäft bis Ende März 2009.
Bildunterschrift: 21./22. Februar 1945: Die Engländer bombardieren Ende des Zweiten Weltkriegs die Zuckerstadt. Christina Linnemann-Meinen erlebt die Tage, die sich jetzt zum 65. Mal jähren, als Zehnjährige.
Bildunterschrift: Schmerzhafte Erinnerungen: Christina Linnemann-Meinen mit Fotos, die das zerstörte Lagenser Stadtgebiet zeigen.
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