Lippe aktuell ,
07.07.2004 :
Gelesen: "Meines Vaters Land" von Wibke Bruhns / Der unbekannte Vater
Renate Heuwinkel
Darf man so über seinen Vater schreiben? Diese Frage stellte sich mir häufig bei der Lektüre dieses Buches. Wibke Bruhns stellt ihren Vater, der 1944 nach dem Attentat auf Hitler als Hochverräter gehenkt wird, nicht als Helden dar. Er ist nicht das Idealbild eines Widerstandskämpfers. Sie zeigt ihn mit allen Fehlern behaftet, nennt ihn distanzierend HG (für Hans Georg) und ist bei ihrer Suche nach dem Vater oft irritiert und verstört.
Wibke Bruhns' Vater war Johannes Georg Klamroth, der 1898 in eine wohlhabende kaisertreue Familie in Halberstadt hinein geboren wurde. HG meldet sich im Ersten Weltkrieg als 17-Jähriger freiwillig an die Ostfront. 1933 meldet er sich wieder freiwillig zur SS-Reiterstaffel. Weil er von dem Attentat auf Hitler wusste, es aber nicht verriet, wird er als Hochverräter gehenkt.
Wie passt das alles zusammen?
40 Jahre lang hatte sich Wibke Bruhns, ehemalige Nachrichtensprecherin und Journalistin, diese Geschichten "vom Hals gehalten", denn zu Hause war der Vater nach Ende des Krieges eine "sorgfältig umschiffte Schmerzzone", über die man schwieg oder weinte. Wibke Bruhns wurde 1938 als fünftes Kind der Klamrothfamilie geboren und erlebte ihren Vater nicht bewusst. 1979 sah sie ihn erstmals in einem alten Film vor dem Volksgerichtshof, der ihn verurteilte. Daraufhin forschte sie 20 Jahre lang in Familienbriefen und Tagebüchern und ging auf Spurensuche nach ihrem Vater.
Wibke Bruns versagt sich jede Beschönigung. Gerade das macht dieses Buch so glaubwürdig. Weil diese Recherche nicht nur die Geschichte der Klamroths, sondern auch die Geschichte der deutschen Katastrophe im 20. Jahrhundert ist, wirkt dieses Buch gleichzeitig verstörend und erhellend. Wibke Bruhns beendet ihr Buch nicht mit dem Ende am Galgen, sondern mit einem Dank an ihren Vater: "Dein Leben lag in einer furchtbaren Zeit, und wenn es denn für die Kinder besser werden sollte, das ist gelungen. Du hast den Blutzoll bezahlt, den ich nicht mehr entrichten muss. Ich habe von dir gelernt, wovor ich mich zu hüten habe. Dafür ist ein Vater da, nicht wahr? Ich danke dir."
Jeder, der in der Nachkriegszeit aufgewachsen ist, wird dieses Buch mit Interesse und mit Nachdenklichkeit lesen.
Wibke Bruhns: Meines Vaters Land. Geschichte einer deutschen Familie. Econ Verlag, München 2004. Kartoniert, 386 Seiten, 22 Euro.
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