Lippe aktuell ,
19.12.2009 :
Bürgermeister Gräfer nicht mehr Namensgeber der Lemgoer Realschule / Eine Geschichte von Schuld und Sühne
Lemgo (mk). Nach einem Beschluss des Rates der Alten Hansestadt Lemgo ist der ehemalige Lemgoer Bürgermeister Wilhelm Gräfer ab sofort nicht mehr Namenspatron der Lemgoer Realschule. Die Ratsmitglieder folgten nach einer langen und intensiven Diskussion am Montagabend mehrheitlich dem Wunsch der Schulkonferenz, die sich bereits am 26. November für eine Aufhebung des bisherigen Schulnamens ausgesprochen hatte.
Wilhelm Gräfer war zur Zeit des Nationalsozialismus Mitglied der NSDAP und Bürgermeister der Stadt Lemgo und in seiner Funktion auch mitverantwortlich für die Deportation und Ermordung vieler Lemgoer Juden. Zugleich war aber auch Gräfer es, der die Stadt 1945 vor der Zerstörung durch die bereits bis Hörstmar vorgerückten Amerikaner bewahrte, indem er ihnen gemeinsam mit seinem Mitstreiter Herbert Lübke entgegenfuhr und mit ihnen verhandelte. Zurück in Lemgo wurden beide von den Nazis verhaftet. Lübke gelang später die Flucht. Gräfer wurde in Lügde zum Tode verurteilt und am darauffolgenden Morgen auf dem Kirchplatz von Bodenwerder erschlagen. Sein Leiche wurde noch zwei Tage lang an der Linde vor der Kirche zur Abschreckung aufgehängt.
"Wie kann man jemanden, der sein Leben für andere geopfert hat, posthum verurteilen, indem man Schulnamen wegradiert?", fragte Dr. Harald Pohlmann (CDU) in seiner Rede und machte zugleich den Widerspruch in der Diskussion deutlich, indem er zugleich fragte: "Wie kann man so jemanden ehren, der die Dekrete für die Deportation der jüdischen Lemgoer unterschreibt und aus seinem Bürofenster die erschütternden Szenen beobachtet, als Familien mit kleinen Kindern zusammengetrieben und abtransportiert wurden?"
Bei der Entscheidung über die Namensgebung der Schule gebe es kein richtig oder falsch. Es sei eine Gewissensentscheidung. "Was wir hier zu beurteilen haben, hat etwas mit Schuld und Sühne zu tun", erklärte CDU-Ratsmitglied Manfred Morjeu, der ebenso wie Pohlmann für die Beibehaltung des Namens plädierte, den die Schule seit immerhin 1967 inne hat. "Klappen Sie das Buch der Geschichte nicht zu. Stellen wir uns der Verantwortung und führen wie diese Diskussion weiter", appellierte Pohlmann an den Rat.
Mit seiner Forderung stieß der CDU-Fraktionsvorsitzende allerdings mehrheitlich auf Unverständnis. Barbara Schiek-Hübenthal von der FDP erklärte: "Diese Diskussion existiert seit 30 Jahren. Wir sind der Ansicht, dass die Zeit reif für eine Entscheidung ist. Gräfer ist nicht als Vorbild für die Schüler in einer demokratischen Bildungseinrichtung geeignet." Auch Udo Golabeck von der SPD meinte, man sei durchaus gut beraten, den Wunsch der Schule zu respektieren und für eine Umbenennung zu stimmen. Wolfgang Sieweke erklärte für die BfL, dass es auch möglich sein müsse, sich mit Gräfer auseinander zu setzen, ohne den Namen an der Schule zu belassen - eine Meinung, die auch Detlef Höltke von den Grünen teilte. Die Ansicht Harald Pohlmanns, dass bei einem Namenswechsel auch die Gräferstraße konsequenterweise umbenannt werden müsste, kann die Realschul-Leiterin Elisabeth Webel übrigens nicht nachvollziehen. "Eine Straße kann ein Mahnmal sein. Aber wir als gesamte Schule heißen so. Das ist etwas ganz anderes. Natürlich wollen wir Erinnerungskultur betreiben. Und das können wir jetzt viel freier, objektiver und distanzierter tun, als zuvor", begrüßte Webel die Entscheidung des Rates. Die Umbenennung der Schule sei nun eine Basis für eine neue Auseinandersetzung mit dem Leben Wilhelm Gräfers.
Bildunterschrift: Noch steht das Namensschild an der Lemgoer Realschule, die fortan nicht mehr nach ehemaligen Lemgoer Bürgermeisters Wilhelm Gräfer benannt sein wird.
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