Bünder Zeitung / Westfalen-Blatt ,
16.11.2009 :
Kaum zu essen und keinen Arzt / Auf Friedhof Gedenkstätte für holländische Zwangsarbeiter eingeweiht
Von Alexander Kröger (Text und Foto)
Kirchlengern (BZ). Es ist spät, aber nicht zu spät. Am Volkstrauertag hat die Gemeinde Kirchlengern auf ihrem Friedhof eine Gedenkstätte für 23 niederländische Zwangsarbeiter eingeweiht. Sie starben 1945.
"Wir bitten Sie um Vergebung für das, was Ihnen angetan wurde", sagte Bürgermeister Rüdiger Meier. In einer bewegenden Rede erinnerte er an das Leid von jungen Zwangsarbeitern, die von der Wehrmacht im niederländischen Hilversum zur Zwangsarbeit verpflichtet und nach Deutschland verschleppt wurden.
Insgesamt seien es etwa 3.800 Männer zwischen 17 und 50 Jahren gewesen, berichtete Jan Rensen, stellvertretender Bürgermeister aus Hilversum. Gemeinsam mit Zeitzeugen und mehreren Hinterbliebenen reiste er zur Einweihung der Gedenkstätte. Zu der niederländischen Delegation gehörte auch der 86-jährige Bert Welgemoed. Vor 64 Jahren war der damals 22-Jährige einer von 80 jungen Zwangsarbeitern aus Hilversum, die gegen Ende des Krieges in Kirchlengern einquartiert wurden. Damals lebten sie lagerartig in der Volksschule und mussten Schwerstarbeiten beim Gleisbau verrichten. Von Januar bis März 1945, innerhalb von acht Wochen, starben 23 Niederländer an den lebensfeindlichen Bedingungen. "Wir hatten kaum zu essen und keine ärztliche Versorgung", erinnert sich Welgemoed. Den Toten wurde nach dem Willen der damaligen Machthaber ein Sarg verwehrt. Man bestattete sie nur in Tücher oder Decken gehüllt auf dem Friedhof.
Erst in den 1950er Jahren wurden ihre sterblichen Überreste in die niederländische Heimat umgebetet. "Sie ruhen nicht mehr hier, sie haben woanders ihre Ruhestätte gefunden, aber an dieser Stelle war einmal ihre Grabstätte. Es ist ein Ort zum Gedenken und zur Mahnung", sagte Pfarrerin Eva-Maria Schnarre. Und Jan Rensen ergänzte: "Diesen Ort des Gedenkens haben viele Niederländer gesucht, jetzt können sie ihn besuchen."
Jahrzehnte war das Massengrab in Vergessenheit geraten. Doch 2001 erforschte eine Schülergruppe der Erich-Kästner-Gesamtschule das Schicksal von Zwangsarbeitern in Kirchlengern. Gemeinsam mit ihren Lehrerinnen Antje Schmidt und Birgit Rössler sowie den Heimatforschern Martin Rottmann und Willi Fleddermann brachten sie Licht in das dunkle Kapitel heimatlicher Geschichte. Außerdem knüpften sie Kontakte zu ehemaligen Zwangsarbeitern. Wegen des Schüler-Geschichtsprojektes besuchte damals unter anderem Bert Welgemoed das erste Mal nach den schrecklichen Kriegsjahren wieder Kirchlengern. "Es ist gut, dass sich die Schüler dem Thema angenommen haben", sagte der 86-Jährige im Gespräch mit der Bünder Zeitung. Damals wurde die Idee zur Gedenkstätte geboren.
Jetzt, acht Jahre später, konnte sie eingeweiht werden. Zur Erinnerung und Mahnung an alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft ist sie auf dem Friedhof öffentlich zugänglich. In Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge entstand außerdem eine Tafel, die berichtet, was gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in Kirchlengern geschah.
Bildunterschrift: Der ehemalige Zwangsarbeiter Bert Welgemoed (86) und seine Ehefrau Cobi lauschen den Ansprachen zur Gedenkstätten-Eröffnung.
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