www.hiergeblieben.de

Neue Westfälische , 03.04.2004 :

Am Hermann scheiden sich die Geister / Wissenschaftler streiten sich um den Ort der Varusschlacht / Kritiker aus Lippe zweifelt Kalkriese als historisches Schlachtfeld an

Von Anja Sparbrod

Detmold/Bramsche. Als Kaiser Wilhelm I. im Jahre 1875 das Hermannsdenkmal auf den Höhen des Teuto bei Detmold einweihte, war die Welt noch in Ordnung. Symbolisierten die Lipper doch nun gut sichtbar, dass sich die bei Tacitus beschriebene "Schlacht am Teutoburger Wald", bei dem Hermann der Cherusker im Jahr 9 nach Christus die römischen Truppen des Varus siegreich schlug, bei ihnen zugetragen hatte.

Doch heute, fast zweitausend Jahre nach der legendären Schlacht, streiten sich die Wissenschaftler, wo sich das historische Gemetzel zugetragen hat. Seit 1989 blicken Historiker gespannt nach Kalkriese im Osnabrücker Land, wo ein antikes Schlachtfeld ausgegraben wird. "Das ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Ort der Varusschlacht", meint Christian Jaletzke, Geschäftsführer des Museums und Parks Kalkriese. Mehr als 6.000 Funde sprächen eine eindeutige Sprache.

"Es ist zweifelhaft, ob man in Kalkriese noch objektiv sein kann"

Für Wolfgang Lippek, Vorsitzender des Naturwissenschaftlich-Historischen Vereins Lage ist das kein Argument. "Es ist zweifelhaft, ob man in Kalkriese bezüglich des Ortes der Varusschlacht noch objektiv sein kann. Die direkt Betroffenen und damit äußerst Befangene werden sich wohl freiwillig kaum den Ast absägen, auf dem sie seit 1989 sitzen", meint der eifrige Kritiker der "Kalkrieser These". Er selbst hatte in einem wissenschaftlichen Aufsatz im Jahre 2002 nachgewiesen, dass die in Kalkriese gefundenen Münzen keinesfalls zweifelsfrei den Schluss auf die Varusschlacht zulassen. Er stützt sich dabei ebenfalls auf Historiker, wie den Tübinger Münzkundler Reinhard Wolters und Peter Kehne aus Hannover.

Beispielsweise führten die Kalkrieser Museumsmacher an, dass an der Ausgrabungsstätte Bronzemünzen mit dem Gegenstempel des Varus gefunden wurden. Die Buchstaben VAR sind wohl in den Jahren der Statthalterschaft des Varus in Germainen (7 bis 9 n. Chr.) aufgebracht worden. Lippek: "Die so gekennzeichneten Bronzemünzen waren auch nach dem Tode des Varus gültiges Zahlungsmittel. Sie können auch später in den Boden gelangt sein und datieren die Ereignisse von Kalkriese eben nicht zwingend auf das Jahr 9 nach Christus."

Besonders hart geht der Historiker Peter Kehne mit den Kalkriesern ins Gericht. In seinem jüngst veröffentlichten Artikel in der Zeitschrift für niedersächsische Archäologie "Die Kunde" schreibt er: "Gleichwohl ist es den ausschließlich an einer touristischen Vermarktung im Osnabrücker Land interessierten Kreisen nebst einer kleinen Gruppe von Kalkriese-Forschern mit einer enormen Publikationsflut, einem immensen Medienrummel und einer Museumsgründung gelungen, eine bloße ,Interpretationsmöglichkeit' durch ständige Repetition zu einer angeblichen ,Gewissheit' und für die breite Öffentlichkeit damit schon ,historischen Tatsache' hochzujubeln." Kalkriese-Geschäftsführer Jaletzke lässt diese Kritik kalt: "Als Herr Kehne noch in Osnabrück gearbeitet hat, hat er 1992 noch einen Aufsatz pro Kalkriese geschrieben." Jaletzke vermutet hinter dieser Wendung "vom Saulus zum Paulus" persönliche Gründe. Kehne habe wohl mal versucht, in Kalkriese einen Job zu bekommen und sei abgewiesen worden.

"Es sind eine Reihe von Zirkelschlüssen passiert"

Daniel Bérenger von der Außenstelle Bielefeld des Westfälischen Museums für Archäologie, verfolgt den Historikerstreit interessiert. "Es sind eine Reihe von Zirkelschlüssen passiert", gibt er zu. So seien die Kalkrieser Münzfunde immer mit denen des in Haltern bei Recklinghausen ausgegrabenen Römerlagers verglichen worden. Bisher war man davon ausgegangen, dass Haltern nur bis 9 nach Christus Bestand hatte, so dass übereinstimmende Münzen in Kalkriese und Haltern auf dieses Jahr datiert werden konnten. "Aber ist es nicht möglich, dass Haltern über das Jahr neun hinaus bestand?", fragt Bérenger. Aufschluss über Truppenbewegungen und Versorgung der Römer erhofft sich die Fachwelt von Ausgrabungen in Anreppen bei Delbrück im Paderborner Land. Hier wurde im Jahre 4 nach Christus ein großes Römerlager angelegt, dass offenbar bis zur Varusschlacht bestand und für die Logistik in Germanien zuständig war.

Römerjahr in Anreppen

In den Jahren 4 und 5 nach Christus, zur Zeit der Germanenkriege unter den Kaisern Augustus und Tiberius, wurde an der Lippe ein Römerlager in der Gegend des heutigen Delbrücker Dorfes Anreppen errichtet. 1984 begannen die Grabungen. Zum Vorschein kam ein Areal von 23 Hektar Größe, von dem das Westfälische Museum für Archäologie Münster bislang allerdings erst sechs Hektar erschlossen hat. Der Lager soll rund 6.000 Legionären Unterkunft bot und der Logistik für Kriegszüge gegen die Germanen diente.

Am heutigen Samstag, 3. April, fällt um 19.30 Uhr in der Dorfhalle Anreppen der Startschuß für die feierliche Eröffnungsveranstaltung des Römerjahres. Es gibt unter anderem römische Wurst und römisches Brot zu probieren.

03./04.04.2004
redaktion@neue-westfaelische.de

zurück