Westfalen-Blatt ,
09.12.1986 :
Nächtliche Razzia des Bundeskriminalamtes vereitelt Attentat / Bombenpläne im Kamphof entdeckt / Das Ziel: Siemens - Student (24) in U-Haft
Bielefeld (WB). Freitagmorgen vier Uhr. Im dunklen Kamphof preschen Polizeifahrzeuge mit Wiesbadener Kennzeichen vor. Ziel ist das BGW-Haus Nordstraße 32. Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) dringen in den Flur ein, Holz von Wohnungstüren splittert. Jens Klede, 24, Student, Parterre links, wird festgenommen. Wenig später ein weiterer Hausbewohner. Der Generalbundesanwalt verdächtigt Klede dringend, Mitglied einer "eigenständigen" terroristischen Vereinigung zu sein, die der "Roten Armee Fraktion" (RAF) zuarbeitet. Der schnelle Zugriff hat vermutlich ein fürchterliches Bombenattentat verhindert. Denn in der Studentenwohnung fördern die Polizisten ein in die allernächste Zukunft datiertes "Selbstbezichtigungsschreiben" zutage: "Wir haben am 9.12. auf das Bürogebäude von Siemens einen Sprengstoffanschlag verübt", heißt es darin. Vier 30-Kilo-Gasflaschen, einen Feuerlöscher, Bombenbau-Anweisungen aus linken Druckschriften stellt das BKA in der Wohnung und ihrer Umgebung sicher, als es den Hinweisen des Jens Kledes folgt.
Mehr als 600 Menschen arbeiten in der Siemens-Niederlassung zwischen Otto-Brenner- und Schweriner Straße. Die Büros, Lager und Werkstätten des Weltkonzerns bedienen den Raum Ostwestfalen-Lippe von Minden bis Warburg. Seit 1981 war Siemens Bielefeld mehrfach Ziel von Bombendrohungen und Steinewerfern. Sogenannte "Molotowcocktails" setzten in der Nacht zum 9. Juni 1983 das Lager in Brand. Dank der Rauchgasmelder und des schnellen Feuerwehreinsatzes ließ sich der Schaden damals auf 500 Mark begrenzen. Der Verfasser des dreiseitigen, handschriftlich als Entwurf vorliegenden "Selbstbezichtigungsschreibens" kennzeichnet Siemens als einen der weltweit führenden Rüstungs- und Elektronikkonzerne, wie ein Sprecher der Bundesanwaltschaft bestätigt. Mit dem geplanten Attentat soll die Forderung nach Zusammenlegung der Gefangenen aus der RAF unterstrichen werden.
Gegen Jens Klede erwirkte der Generalbundesanwalt am Samstag Haftbefehl. Seither sitzt der Student aus Bielefeld in Untersuchungshaft, während die Polizei den Mitbewohner des Mehrfamilienhauses Nordstraße 32 nach mehreren Stunden noch am Freitag frei ließ.
Bereits Anfang der 80er Jahre war gegen Jens Klede ermittelt worden, wie die Bundesanwaltschaft mitteilt. Das Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation sei damals wegen fehlenden Tatverdachts aber eingestellt worden. Jetzt untersucht der Generalbundesanwalt wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung - Paragraph 129a des Strafgesetzbuches - und der Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens.
Jens Klede wohnte etwa seit fünf Jahren in der Nordstraße, wie Nachbarn bestätigen. Seinen Briefkasten im Haus Nr. 32 "ziert" ein fünfzackiger Stern, das Symbol der RAF. Das Zeichen ist auch zusammen mit Parolen auf die Wand des Hauses gegenüber gesprüht. Den Stern trägt ebenfalls das Selbstbezichtigungsschreiben".
Von etwa 1980 bis 1985 studierte Jens Klede, der nicht aus Bielefeld stammt, im Oberstufen-Kolleg im ersten Fach Jura, im zweiten Fach Deutsch. Er galt bei seinen Lehrern als sehr begabt, aber auch als sehr streitbar und "sehr entschieden in seinen politischen Ansichten". Ein Urteil über ihn: "Er hat am Oberstufen-Kolleg eine gute Figur gemacht und ordentliche Arbeiten abgeliefert." Eine gewisse Radikalität schrieb man einer wissenschaftsorientierten Haltung zu.
Die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes dauern an. Sie richten sich auch gegen unbekannte, mögliche Mittäter. Das sichergestellte Bombenbau-Material und die Schriftstücke werden zur Zeit kriminaltechnisch untersucht.
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