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www.hiergeblieben.de , 01.07.2004 :

Gedeckt von der Meinungsfreiheit / Die NPD konnte in Bochum marschieren

Als Ergänzung zum OWL-Erfahrungsbericht vom 27.06. ("Bochum, 26. Juni 2004: Nazis durften gegen den Bau der Synagoge hetzen") dokumentieren wir einen Artikel vom heutigen Tage.



Jüdische Allgemeine, 01.07.2004:

Gedeckt von der Meinungsfreiheit / Die NPD konnte in Bochum marschieren

Rund zweihundert Rechtsradikale sind am Samstag durch Bochums Innenstadt gezogen. "Keine Steuergelder für den Synagogenbau - Für Meinungsfreiheit" lautete das Motto der vom nordrhein-westfälischen Landesverband der NPD seit Monaten geplanten und schließlich höchstrichterlich genehmigten Demonstration. Ihre Durchführung sicherten knapp tausend Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz in einem Einsatz, der über Stunden ein Viertel der Stadt zur "No Go Area" machte. Anwohner und Anwohnerinnen durften nicht hinaus und niemand anders hinein. Von der Imbissbude über die Tankstelle bis zum Supermarkt waren Geschäfte geschlossen. "Hier regiert der nationale Widerstand" skandierten derweil die Neonazis auf einem speziell für sie reservierten Anreisebahnhof.

Vorausgegangen war ein beispielloses Tauziehen, das der Publizist Ralph Giordano den "Testfall Bochum" nannte (vgl. Jüdische Allgemeine vom 11. März). Ursprünglich wollte die NPD schon im März gegen den geplanten Bau eines neuen jüdischen Gemeindezentrums in der Ruhrgebietsstadt marschieren. Damals stellte aber ein Gericht fest, dass "ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust" ein derartiges Vorhaben mit dem deutschen Recht nicht vereinbar sei. Auch Bochums Stadtrat schloss sich der Forderung nach einem Verbot der rechten Kundgebung an. So in die Verantwortung genommen, untersagte der zuständige Polizeipräsident die zu jener Zeit noch unter der Überschrift "Stoppt den Synagogenbau - Vier Millionen fürs Volk" firmierende Hetze. Auf Beschwerde der Veranstalter wurde seine Verfügung vom zuständigen Verwaltungsgericht aufgehoben, vom Oberwaltungsgericht Münster dann wieder in Kraft gesetzt und landete schließlich beim Bundesverfassungsgericht. Genau an dem Tag, an dem die Rechten eigentlich aufmarschieren wollten, es aber nicht durften, gingen tausendfünfhundert Bochumer auf die Straße, um für den Bau der Synagoge zu demonstrieren. Das war im März.

Den Protestzug der Rechten am Samstag mochten die Richter in Karlsruhe nicht mehr als Volksverhetzung ansehen. Aufgrund des ein wenig geänderten Veranstaltungstitels sahen sie den Aufzug durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Reicht ein wenig verbale Schminke aus, um gegen ein jüdisches Gebetshaus demonstrieren zu können? "Das ist schlimm", kommentierte Oberbürgermeister Ernst-Otto Stüber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Polizei verhängte zwar im Vorfeld des Protestzugs scharfe Auflagen, setzte diese aber nicht durch. So wurden Schlagstöcke und ein antisemitisches Redemanuskript beschlagnahmt. Doch die Möglichkeit, den Aufmarsch abzubrechen, als "Stoppt den Synagogenbau" und "Weg mit den Juden" gerufen wurde, hat man nicht genutzt.

Gaby Rommel



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