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Mindener Tageblatt , 01.07.2004 :

In sich zerrissener Widerstand ohne Basis / Kenner der NS-Zeit: Professor Hans Mommsen analysiert Schwächen und Wiedersprüche der Männer des 20. Juli

Von Jürgen Langenkämper

Minden (mt). Es gibt kein Schwarz-Weiß-Bild des deutschen Widerstandes. Die Aussage Prof. Dr. Hans Mommsens weist deutlich auf die Schwierigkeiten vorschneller Bewertung und Einordnung der Männer des 20. Juli hin und auch des Widerstandes gegen Hitler darüber hinaus.

Unerhofft viele Zuhörer waren am Dienstagabend ins Preußen-Museum gekommen, um den ausgewiesenen Kenner der NS-Zeit als historischen Hauptredner im Rahmenprogramm zur Ausstellung Aufstand des Gewissens zu hören, die auf Initiative der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik seit Sonntag bis zum 21. Juli in Minden gezeigt wird. 150 Stühle im Ständersaal reichten nicht, mehr als zwei Dutzend ließ Museumsdirektor Dr. Veit Veltzke, selbst Mommsen-Schüler, nachträglich aufstellen, und selbst auf dem Flur verfolgten Zuhörer jeden Alters auch Bundeswehrsoldaten waren gekommen den mehr als anderthalbstündigen Vortrag mit anschließender Diskussion.

Politische Zielsetzungen und moralische Beweggründe der Verschwörung gegen Hitler lautete Mommens Thema. In einer Tour d‘Horizon überflog der Altmeister das unübersichtliche Gelände, jederzeit bereit und in der Lage den Einblick zu vertiefen. Für den Laien unübersichtlich deshalb, weil der politische und militärische Widerstand, der zum 20. Juli geführt hat, keineswegs ein festgefügter Block war, wie er später gern von der jungen Bundesrepublik aber auch erst nach einigen Jahren des Abstands und umso mehr später von der Führung der Bundeswehr gesehen wurde.

Selbst moralisch waren Protagonisten wie Goerdeler nicht unangreifbar. Er habe die Rassenpolitik der Nazis anfangs aktiv unterstützt, so Mommsen. Selbst bei Stauffenberg, der die Massaker an der jüdischen Bevölkerung im Osten verurteilt habe, sei die Lage nicht eindeutig. Aber ein zentrales Motiv für sein Attentat sei der Widerstand gegen Hitlers Antisemitismus nicht gewesen.

Mommsen charakterisierte den 20. Juli nicht nur als Widerstand ohne Volk im sozialen Sinne, weil den Verschwörer eine breite Basis fehlte. Er offenbarte in seiner Analyse der politischen Ziele und Konzepte auch, dass die Vordenker gar nicht an eine breite Legitimation eines Nach-Hitleristischen-Staates dachten. Ein Grund: Der Weg zu einer bloßen Wiederherstellung der Weimarer Verfassung war unmöglich geworden, die Weimarer Republik galt als gescheitert. Im rechten Lager habe es Stimmen für deren Schuld am Aufstieg der Nazis gegeben.

Unter der totalitären Dunstglocke seit 1933 seien die Verschwörer etwa des Kreisauer Kreises um Moltke daran gehindert gewesen, mit der westlichen Gedankenwelt in Kontakt zu treten. So entwarfen sie idealistische Konstrukte ohne politische Teilhabe der Massen, und zwar weitestgehend unter Ausschluss von Parteien. Dies sah Mommsen auch darin begründet, dass unter den Verschwörern politische Pragmatiker vom Schlage Adenauers fehlten, die willens und in der Lage gewesen wäre, in einer parlamentarischen Parteiendemokratie Mehrheiten zu beschaffen.

Die Zuhörerfrage, ob eine Partei, die die Verschwörer im Nachkriegsdeutschland hätten bilden können, nach heutigen Kriterien im Verfassungsschutzbericht unter rechtsextremistisch aufgeführt würde, verneinte Mommsen in einem entscheidenden Punkt: Sie hätten gar keine Partei gegründet. Wo sie sich Parteien anschlossen, konnten sie sich nicht durchsetzen. Ich glaube nicht, dass sie heute viel Zuspruch in der Bevölkerung gefunden hätten, lautete das abschließende, keineswegs milde Urteil des Altmeisters über die politische Ideenwelt des 20. Juli.

Aber an einem ließ er angesichts der Frage, ob es nicht mutiger gewesen wäre, Hitler mit einer Pistole zu erschießen, als eine Bombe zu zünden, keinerlei Zweifel: Stauffenberg war ein mutiger Mann. Wenn schon Leute zu geringe Anschlagsaktivitäten entfaltet haben, dann ist an anderer Stelle im Offizierskorps zu suchen.


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