Höxtersche Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
16.03.1992 :
Jetzt droht die Abschiebung / Betr.: Familie Dezemajlji, Artikel in der NW vom 11. März
Am Mittwoch berichtete die NW von Familie Dezemajlji, die als Asylbewerber bei uns leben. Am Donnerstag bekam die Familie Dezemajlji die Aufforderung, unser Land bis zum 20. März 1992 zu verlassen. Ansonsten droht ihnen die Abschiebung, d.h. sie werden zwangsweise - das geschieht meist nachts - durch Polizei bzw. Feuerwehr abgeholt und zu einem Flugzeug Richtung Jugoslawien gebracht.
Familie Dezemajlji gehört zum Volk der Roma. Aus Jugoslawien sind sie geflohen, weil sie dort wegen ihrer Volkszugehörigkeit verfolgt wurden. In Jugoslawien hatten sie keine Lebensperspektive. Sie wurden bedroht und hatten keine Rechte. Im Bürgerkrieg wurden die Roma im schlimmsten Sinne als Kanonenfutter missbraucht.
Familie Dezemajlji ist bereits vor dem Bürgerkrieg geflohen und hat in Deutschland Asyl beantragt. In einem anderen Land Asyl zu begehren, gilt in Jugoslawien als Staatsverrat. Jetzt können Dezemajljis nicht mehr zurück, denn für Staatsverrat drohen in Jugoslawien lange Haftzeiten (Gefängnis, Folter), ja sogar Todesstrafe. H. Dezemajlji ist Einberufungen zu Wehrübungen nicht gefolgt, ein weiterer Grund dafür, dass ihm nun hohe Gefängnisstrafen oder sogar die Todesstrafe drohen.
Nun soll Familie Dezemajlji abgeschoben werden in die Zukunftslosigkeit, vielleicht in den Tod. Ein Skandal besonders dann, wenn wir uns das Schicksal der Roma im Dritten Reich vor Augen halten. 500000 Roma und Sinti wurden in deutschen Konzentrationslagern gequält, gefoltert, für schlimmste "medizinische" Versuche missbraucht, vergast. Nur wenige deutsche Roma und Sinti überlebten den Holocaust.
Nicht anders in Jugoslawien: Unmittelbar nach der Besetzung Jugoslawiens durch die Deutschen wurden dort die Roma erschossen, vergast, misshandelt oder deportiert. 1942 meldete der deutsche (!) Staatsrat: "Serbien, einziges Land, in dem Juden- und Zigeunerfrage gelöst."
Haben wir jetzt nicht eine große Verantwortung für dieses Volk? Haben wir das Recht, diese Menschen bei Nacht und Nebel in die Ungewißheit, in den Tod zu schicken? Ich schäme mich, in einem Land zu wohnen, in dem so etwas noch möglich ist. Die Familie Dezemajlji lebt schon vier Jahren in Brakel, sie gehören dazu. Die Kinder besuchen in Brakel Schule bzw. Kindergarten. Die gastfreundliche Familie ist eine Bereicherung für Brakel.
Ich appelliere mit diesem Brief an alle Bürgerinnen und Bürgen, insbesondere an die Politiker, so etwas nicht geschehen zu lassen und hoffe für unsere Freunde, dass sie bald ohne Angst in Brakel leben können.
Maria Nadenau
Neuenheerser Straße 5
Brakel
16./17.03.1992
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