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Bielefelder Anti-Rassismus-Bündnis , 13.12.1990 :

Was gilt das Wort eines Ministers?

Vor fünfzig Jahren, im Jahr 1940, begannen in Deutschland die ersten Deportationen von Roma und Cinti in die nationalsozialistischen Vernichtungslager. Das war der Beginn der systematischen Vernichtung der Roma und Cinti im gesamten Herrschaftsbereich des Nazi-Faschismus in Europa. In Jugoslawien kamen zwischen 1941 und 45 unter der Beteiligung der jugoslawischen Regierung weit über 100.000 Roma und Cinti in den Lagern oder bei Massenhinrichtungen im Zusammenhang mit sogenannten Vergeltungsmaßnahmen der NSBesatzungsmacht ums Leben.

Bis heute wurde weder der an ihnen als ethnische Gruppe begangene Völkermord anerkannt, noch wurde ihnen als zweitgrößter Minderheit in Jugoslawien die minimalsten Minderheitenrechte zugestanden.

Heute leben die Roma in Jugoslawien ghettoisiert und unterhalb des Existenzminimums. Im Zusammenhang mit den Nationalitätenkonflikten werden sie zur Zielscheibe von untereinander verfeindeten Nationalitäten. Bei rassistischen Übergriffen sind schon hunderte von Roma umgekommen.

Dieses ist der Hintergrund für eine immer größer werdende Fluchtbewegung der Roma aus Jugoslawien, aber auch aus anderen Ländern Südosteuropas.

Die Roma versuchen seit Jahren mit vielfältigen Aktionen und der Unterstützung von kirchlichen und anderen gesellschaftlichen Gruppen in der BRD ihr Bleiberecht durchzusetzen. Nach der Beendigung des Bettelmarsches letzten Winter versprach Innenminister Schnoor den staatenlosen Roma das Bleiberecht.

Noch im April 1990 "freut sich die NRW-Landesregierung über die vielen Bürger ihres Landes, die sich für den Verbleib der Romä einsetzen"(aus einem Brief der Staatskanzlei/NRW).

Dieser "fremdenfreundlichen" Haltung, allen voran die des NRW-Innenministers, widersprach die alltägliche Praxis der Ausländer- und Sozialbehörden. Die menschenunwürdige Unterbringung und katastrophale Versorgung der Roma aller Orten schaffte "soziale Brennpunkte" und forderte die rassistische Stimmung und Hetze in der deutschen Bevölkerung heraus.

Doch auch die verbale Zusage für ein Bleiberecht wurde im Rahmen der Verschärfung staatlicher Flüchtlingspolitik Schritt für Schritt zurückgenommen: im September beschloss die SPD-geführte Landesregierung, alle Roma, außer denjenigen, die auch in den Augen des Ministers als "de-facto-staatenlos" galten, abzuschieben. Am 5. Dezember beschloss das NRW-Kabinett, entgegen aller vorherigen anderslautenden Zusagen, die Deportation aller in NRW lebenden Roma.

Ob die damalige Zusage Schndors eine Hinhaltetaktik oder eine Befriedungsstrategie oder aber Ausdruck einer "ausländerfreundlichen" SPD-Linie war, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass sich jetzt die ganze Gewalt der rassistischen Ausländerpolitik offenbart. Die Roma sprechen zu Recht vom Wortbruch des Ministers.

Mit einem sog. Rückführungsprogramm, das eine minimale materielle Versorgung der zunächst 1.400 betroffenen Roma gewährleisten soll, werden sie in die Armutsregionen Südosteuropas zwangsumgesiedelt. Eine längerfristige Lebensperspektive gibt es für sie angesichts der sich ständig verschärfenden gesellschaftlichen Konflike und der rassistischen Übergriffe, dort für sie nicht. Das Abkommen mit Jugoslawien, was dieser "neuen Flüchtlingspolitik" zugrunde liegt, bedeutet nichts anderes als den Verkauf von Menschen - für 8.000 DM pro Kopf - an eine Regierung, die deren Überleben nicht gewährleisten kann.

Die Roma werden ihre Deportation nicht hinnehmen und nicht freiwillig nach Jugoslawien gehen.

NRW hat in den letzten Jahren 250.000 Menschen als Aus- und Übersiedler aufgenommen. Von Überfüllung und Aufnahmeunfähigkeit kann keine Rede sein, wenn wir diese Zahl mit der dem gegenüber geringen Anzahl von Flüchtlingen und der verschwindend geringen Zahl von 5300 Roma in NRW vergleichen. Die jetzt beschlossene Durchsetzung der Abschiebung der Roma steht im Zusammenhang mit dem am 01.01.1991 in Kraft tretenden neuen Ausländergesetz. Dadurch droht weiteren Ausländern die Abschiebung, vor allem den De-facto-Flüchtlingen sowie den nicht asylberechtigten Sozial- oder ArbeitslosenhilfeemfängerInnen. An den Roma soll ein Exempel statuiert werden. Demgegenüber fordern wir die Anerkennung der De-facto-Staatenlosigkeit der Roma und ihr Bleiberecht in NRW!

Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben wir heute, 13.12.1990, um 14.00 Uhr das Bielefelder SPD-Büro in der Arndtstraße 7-9 besetzt!

Keine Abschiebung der Roma!

Grenzen auf und Bleiberecht für alle Flüchtlinge!


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