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Lippische Landes-Zeitung , 30.01.2002 :

Sein Verbrechen war die Liebe / Franz Meyer schildert das Schicksal eines polnischen Zwangsarbeiters

Blomberg (sb). Es war ein heißer Sommertag. Daran erinnerten sich die vier Zeitzeuginnen, die Franz Meyer in Ehrsen-Breden befragte, genau. Ein Montag. Am 28. Juli 1941 wurde ein junger polnischer Zwangsarbeiter im Steinbruch von Ehrsen-Breden gehängt. Sein Name: Stefan Bolewski. Das einzigartige Schicksal des 29-Jährigen hat Meyer, Stadtarchivar in Bad Salzuflen, recherchiert. Montagabend berichtete er darüber anlässlich des Gedenktages für die NS-Opfer in der "Alten Synagoge".

Sein Blomberger Kollege Dieter Zoremba hatte in der Begrüßung der leider sehr wenigen Zuhörer den aktuellen Bogen zu der inzwischen teilweise angelaufenen Entschädigung der Zwangsarbeiter geschlagen: "Viele haben keine Chance, jemals Geld zu bekommen, denn sie haben Deutschland nicht lebendig verlassen", erinnerte er an die Menschen, die bei Luftangriffen, Arbeitseinsätzen in der Großindustrie oder im Konzentrationslager umkamen.

Einem Nazi-Verbrecher fiel auch Stefan Bolewski zum Opfer. Sein Vergehen war die Liebe.

Geboren wurde Bolewski am 2. August 1911 in einem Dorf südlich von Posen als einziger Sohn katholischer Eltern. Bei Warschau in Kriegsgefangenschaft genommen, kam er vermutlich im Januar 1940 gemeinsam mit 812 anderen polnischen Kriegsgefangenen nach Lippe, wo er in einem von 39 Arbeitskommandos in der Landwirtschaft eingesetzt wurde. Bolewski wurde zunächst im Saal der Gastwirtschaft Wellenbüscher in Breden untergebracht, im August bezog er als so genannter "Zivilarbeiter" eine private Wohnung auf dem Hof Limberg, Ehrsen Nr. 5, seine Arbeitsstätte.

Sein - als Kapitalverbrechen geahndetes - Verhältnis zu einer jungen, deutschen Tagelöhnerin, Mutter zweier Kinder, deren Mann an der Front war, flog Anfang 1941 auf. Ein Parteitreuer hatte das Paar verraten.

"Ich spreche hier von einem ungesühnten NS-Verbrechen, denn weder der Denunziant noch der Richter, der das Todesurteil verhängte, wurden je dafür bestraft", erklärte Meyer.

Die Hinrichtung selbst sei offensichtlich von der Gestapo bewusst als öffentliches Spektakel inszeniert worden, um die Bevölkerung einzuschüchtern. So sei eine Gruppe von 20 polnischen Zwangsarbeitern an dem Gehenkten vorbeigeführt worden. Vor allem Schaulustige der umliegenden Dörfer - sogar Mütter mit Kindern - habe es den Zeitzeugen zufolge zum Steinbruch gezogen.

Umso erstaunlicher, dass der Fall ein halbes Jahrhundert später vielerorts totgeschwiegen wurde. Selbst im Familienkreis der Geliebten: Die kehrte nach Verbüßung einer vierjährigen Haftstrafe im Konzentrationslager Bergen-Belsen in ihren Heimatort zurück und lebte mit ihrem Mann, der aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, weiter. 1996 starb die Frau. Ihr jüngster Sohn hatte bis dato nichts von den Geschehnissen der Jahre 1940/41 erfahren.


Blomberg@lz-online.de

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