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Neue Westfälische ,
16.06.2004 :
Ein Lipper trotzt Afghanistans Tücken / Offiziere aus Ostwestfalen-Lippe bilden an russischen Panzern aus
Von Thomas Masuch
Kabul. Zufrieden blickt Oberstleutnant Volker Rönnike den russischen Panzern im Sandsturm hinterher. In wohl dosiertem Abstand rumpeln ein knappes Dutzend 40 Jahre alter T 62 durch die afghanische Steppe, einige Kilometer vom Kabuler Stadtrand entfernt. Stolz wie kleine Jungen auf dem ersten Fahrrad thronen afghanische Soldaten auf dem stählernen Gefechtsturm. "Früher sind sie drauf rumgeturnt, heute fahren sie schon fast wie die Russen", freut sich Rönnike, den die Übung des neugegründeten Panzerbataillons der Afghanischen Nationalarmee (Ana) "richtig stolz" macht.
Seit dem 6. März diesen Jahres ist der Ostwestfale Rönnike in Kabul und kommandiert das Deutsche Embedded Training Team Ana T 62. Zwanzig Bundeswehr-Soldaten aus ganz Deutschland helfen im Rahmen des ISAF-Einsatzes, das erste und einzige Panzerbataillon der Ana aufzubauen. Der 49-jährige Offizier aus Schlangen im Kreis Lippe gibt, wie er sagt, zwar nur Empfehlungen, "das meiste machen die Afghanen dann aber auch".
383 Soldaten umfasst das afghanische Bataillon, das nach amerikanischem Vorbild in jeweils eine Panzer-, Stabs-, Mörser und Aufklärungskompanie untergliedert ist. Die Ausrüstung ist dabei fast ausschließlich russisch, was den deutschen Oberstleutnant schon mal zum Schmunzeln bringt: "Ist schon erstaunlich, wenn Afghanen auf russischen Panzern von Deutschen ausgebildet werden", gerade wenn man in der Geschichte ein paar Jahre zurückblättere.
Insgesamt verfügt die afghanische Armee über 44 T-62-Panzer, vor einigen Monaten waren davon aber gerade mal fünf fahrtüchtig. Seitdem wird kräftig repariert, mittlerweile laufen immerhin 30. Die Ersatzteile finden die deutschen Soldaten auch auf dem Markt in der Kabuler Innenstadt. Manchmal sind es genau die Teile, die an einigen Panzern vorher abgeschraubt wurden.
Neben dem Panzerfahren oder Mörserschießen bekommen die Soldaten, die fast alle schon im Bürgerkrieg gekämpft haben, auch Unterricht im Schutz gegen Minen oder Fahrübungen auf dem Lkw. Für die Offiziere hat Rönnike einen Englischkurs organisiert, die einfachen Soldaten – meist Analphabeten – bekommen die Möglichkeit, Lesen und Schreiben in ihrer Muttersprache Dari zu lernen. Und weil sich der Bataillons-Mullah kürzlich über den spärlichen Besuch in der Moschee beschwerte, hat der deutsche Oberstleutnant für die Afghanen nun muslimischen Religionsunterricht eingeführt.
Auch wenn die Soldaten der Bundeswehr den roten Faden der Ausbildung vorgeben, sind die Abläufe im Panzerbataillon von den deutschen Gewohnheiten manchmal weit entfernt. Beim ersten Antreten in der Kaserne waren die meisten afghanischen Soldaten noch in der Kantine beim Frühstück, aus dem Urlaub kamen manche erst mit dreitägiger Verspätung zurück. "Die dachten, die Reise gehört mit zur Dienstzeit", erzählt Rönnike, der den einzelnen Soldaten für die Verspätungen den Sold kürzte und sie auf diese Art zur Pünktlichkeit erzog.
Wenn sich aber beim Übungsschießen der afghanische Kommandeur Mohammed Nazim mal eben für ein neues Ziel entscheidet und sich die ersten Schüsse aus den 7,62mm-MGs der Panzer um fast zwei Stunden verzögern, helfen aber auch die deutschen Maßstäbe nicht weiter. "Hier muss man erst mal die Inshalah-Einstellung lernen", erzählt Hauptfeldwebel Michael Handscombe aus Paderborn. Längst ist "Inschalah", was so viel heißt wie "so Gott will", eines der geflügelten Wörter der deutschen Soldaten im Camp geworden.
Bei der Übung an diesem Tag fehlen aus Geldmangel die 115 mm-Panzergranaten, vorübergehend fällt die Funkverbindung zur Mörser-Stellung aus, kurze Zeit später fährt einfach ein Jeep durchs Schussfeld, und als es dann losgeht, bleibt nach 300 Metern eines der gepanzerten BRDM-Aufklärungsfahrzeuge liegen. "Hier ist eben alles ein bisschen Inschalah", seufzt da der deutsche Oberstleutnant väterlich und lächelt entspannt.
Für seine Arbeit hat sich Rönnike klare Ziele gesetzt: Er will den Afghanen beibringen, wie man mit einer Panzereinheit kämpft. "Unser Auftrag ist es nicht, die Kultur der Afghanen zu ändern". Da akzeptiert er auch, dass jeder afghanische Offizier immer eine Pistole am Gürtel trägt. Die könne er nicht untersagen, die eigene Waffe sei schließlich ein Statussymbol. "In Deutschland kann ich den Leuten auch nicht den 3er-BMW wegnehmen und sagen, ihr fahrt jetzt alle Fiat-Panda."
Bei seinen deutschen Soldaten hatte Rönnike gleich am Anfang des Einsatzes angemahnt, dass er keine überheblichen Töne über die Afghanen hören will. "Man muss berücksichtigen, dass hier 20 Jahre Bürgerkrieg war. Die hatten hier einfach ein anderes Leben." Und gerade deswegen begegnet Rönnike jedem der afghanischen Soldaten mit Respekt, fragt auch mal nach der Familie oder dem Leben abseits der Armee. "Wenn man nicht in die Herzen gelangt, kommt man nicht in die Köpfe."
In dem Punkt hätten die Deutschen eine etwas andere Einstellung als die nebenan stationierten Amerikaner. Und deshalb freut sich auch Hauptfeldwebel Handscombe darüber, dass "wir hier eine große Lobby" haben. "Gerade die afghanischen Offiziere sind uns gegenüber sehr dankbar.
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