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Schaumburger Nachrichten , 09.06.2004 :

Yehoda Blum: Aussöhnen ja, vergessen nein

Bad Nenndorf. Yehuda Blum ist Universitäts-Professor, ehemaliger UN-Botschafter und Überlebender des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Auf seiner Vortragsreise durch Niedersachsen hat der jüdische Gelehrte gestern im Gymnasium Station gemacht. Den Schülern bot sich so die Gelegenheit, den Gelehrten über seine Erlebnisse während des Nationalsozialismus und zu seiner Bewertung der Aufarbeitung des Geschehenen zu befragen.

Besonders interessiert verfolgten die Gymnasiasten die Stelle in Blums Vortrag, an der er seine Rückkehr nach Bergen-Belsen beschreibt. 1961, 17 Jahre nach seiner ersten Ankunft an dem Ort des Grauens, verspürte Blum "das merkwürdige Bedürfnis, eine Postkarte von hier an meine Eltern in Jerusalem zu schicken". Dort angekommen, wurde er mit einer stereotypen Ausflucht konfrontiert, die sich im Nachkriegs-Deutschland verbreitet hatte: "Wir haben von nichts gewusst."

Als Schülerin Carolin Schroeder nachhakt, was Blum in dem Moment gefühlt habe, verdeutlicht dieser, warum die Ausrede so fadenscheinig ist. "Alle haben von den Bücherverbrennungen, öffentlichen Misshandlungen von Juden und der 'Reichskristallnacht' gewusst. Jeder wusste doch, dass Nachbarn verschwanden." Er empfinde Verachtung für Menschen, die sich dieser Ausflucht bedienen.

Der Gelehrte führt ein rühmliches Beispiel von Hilfeleistung für Juden im Dritten Reich als Beweis dafür an, dass die gezielte Tötung in Konzentrationslagern kein Geheimnis gewesen ist. "Das Beispiel von Otto Schindler zeigt, dass das bekannt war", meint Blum. Ohne Wissen um die Pläne zur Vernichtung des jüdischen Volks hätte sich Schindler auch nicht zur Rettung zahlreicher Juden entschlossen.
Trotzdem lehnt der ehemalige UN-Botschafter eine Kollektiv-Schuld für alle Deutschen ab. "Ich bin der älteren Generation gegenüber sehr skeptisch. Aber die Nachkriegsgeneration kann keine Schuld treffen", betont Blum. Allerdings mahnt er gleichzeitig zur "Kollektiv-Verantwortung". Es müsse Sorge getragen werden, dass "so etwas nie wieder in Deutschland passieren kann." Dafür einzutreten, sei sein Anliegen an die Schüler.

Geschichtslehrer Michael Imhof sprach Blum auf die Worte von Bundeskanzler Gerhard Schröder bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Alliierten-Landung in Frankreich an. Dort hatte Schröder behauptet, die Nachkriegszeit sei nun zu Ende gegangen. "Das glaube ich kaum. Man kann so etwas nicht so schnell vergessen", so Blum. Er begrüße zwar die Aussöhnung, die dort vollzogen worden sei. Vergessen und Aussöhnen seien jedoch zwei grundverschiedene Dinge.


sn@madsack.de

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