Mindener Tageblatt ,
07.06.2004 :
"Damit das Heilige ein Land des Friedens wird" / Palästinenser und Israeli auf gemeinsamer Suche nach Alternativen zur Gewalt in Nahost / Podiumsgespräch in St. Martini
Von Ralf Kapries
Minden (pri). "Hinter Mauern wächst kein Frieden" - unter diesem Motto suchten am Freitagabend in einem Podiumsgespräch in der Mindener Martinikirche zwei Pazifisten, Noah Salameh aus Palästina und Amos Gvirtz aus Israel, nach "Alternativen zur Gewalt in Nahost", so der Untertitel der Veranstaltung.
Dabei wurde klar, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ein Stadium erreicht hat, auf dem die beiden Parteien nicht ohne Hilfe Dritter zu einer Lösung kommen können. Daher erging von beiden Podiumsrednern der dringende Appell zur Intervention an die Europäische Gemeinschaft, Deutschland, aber auch an jeden Einzelnen.
In Hinblick auf die besonderen Probleme Deutscher, angesichts ihrer Geschichte Druck auf Israel auszuüben, erklärte Noah Salameh: "Wenn sie gegen Israels Politik opponieren, dann bedeutet das nicht zugleich, dass sie gegen Juden oder gegen Israel sind." Amos Gvirts hatte zuvor erläutert, die Lehre, die man aus der Nazizeit ziehen könne, sei: Kein Rassisums. Israel habe daraus die falsche Lehre entwickelt: Kein Rassismus gegen uns, wohl aber Rassismus für uns, wenn er uns hilft.
Positionen in Vorträgen verdeutlicht
Zu Beginn des Podiumsgesprächs, zu dem der Internationale Versöhnungsbund, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Friedenswoche, der Kirchenkreis Minden und der Bund für soziale Verteidigung eingeladen hatten, hatten beide Redner Gelegenheit, ihre Position in einem fünfzehnminütigen Vortrag zu erläutern. Noah Salameh machte den Anfang indem er erläuterte, dass ihn die Gesprächssituation besonders bewege, nämlich als Moslem in einer christlichen Kirche neben einem christlichen Freund zu sitzen. "Wir sind nicht gekommen, um irgendjemandem Vorwürfe zu machen oder jemanden anzugreifen, sondern wir wollen um Hilfe für den Frieden bitten, auf einem gewaltfreien Weg, auf der Basis von Gerechtigkeit und Frieden", erklärte der Palästinenser, der in einem Zelt geboren und aus seinem Heimatdorf vertrieben wurde. "Bitte senden sie uns keine Waffen, sondern alles, was unseren Frieden aufbauen kann."
Er hasse niemanden und erwarte das auch von seinen Kindern, aber das sei schwierig, wenn man ihnen nicht ein wenig Hoffnung auf eine friedliche Zukunft geben könne. "Ich kämpfe für den Frieden ohne Rücksicht auf die politische Einstellung, Religion, Herkunft oder Rasse; alle Menschen sind gleich."
Salameh erläuterte, er habe tausende von Freunden unter den Israelis, aber er könne es nicht ertragen, unter israelischer Besatzung zu leben. "Wir wollen Freiheit und Frieden", erklärte er. Er wolle unter menschlichen Bedingungen mit Gesetzen leben, die für alle gleich sind.
Gründung des Zentrums für Konfliktlösung
"Verlange ich zu viel?" fragte er. "Verlange ich zu viel, wenn ich menschlich behandelt werden möchte, wenn ich möchte, dass unsere Häuser nicht zerstört werden? Verlange ich zu viel, wenn ich gegen kollektive Bestrafung eintrete?" Salameh hat deshalb das Zentrum für Konfliktlösung und Versöhnung in Bethlehem gegründet, in dem er seine Landsleute lehren will, gewaltlos für ihre Rechte zu kämpfen. Außerdem arbeitet er mit seinen israelischen Partnern zusammen und sucht den Dialog mit ihnen und den Medien. Die Arbeit sei schwierig, da er dafür von beiden Seiten angefeindet werde. Nochmals appellierte er: "Lasst uns zusammenarbeiten, damit das Heilige Land ein Land des Friedens wird!"
Amos Gvirtz, Mitbegründer von "Israelis und Palästinenser für Gewaltfreiheit" und des "Israelischen Komitees gegen die Zerstörung von Häusern" erläuterte seine Vision von gewaltfreien Möglichkeiten, in den herrschenden Konflikt einzugreifen und teilte diese in drei Kategorien ein. Als Beispiele für die von ihm als "aktive Gewaltfreiheit" bezeichnete erste Kategorie nannte er die Bewegung Mahatma Ghandis in Indien und Martin Luther King in Amerika. Aber auch während der ersten Antifada in den achtziger Jahren habe es Beispiele von aktiver Gewaltfreiheit gegeben. So wollte ein Gruppe von Israelis und Palästinensern gemeinsam auf einem "Schiff der Rückkehrer" nach Haifa, den wichtigsten Hafen Israels, fahren. Das Schiff sei jedoch, noch während es in Griechenland im Hafen lag, von israelischen Agenten versenkt worden.
Als zweite Kategorie benannte der Israeli die "vorbeugende Gewaltfreiheit". Sie habe nach seiner Meinung die größte Chance. Er erinnerte an die Quäker, die von der englischen Krone Land in Amerika bekommen hatten. Als sie jedoch dort ankamen, entdeckten sie, dass dort bereits Menschen als Ureinwohner lebten, und sie erkannten, dass das Land diesen und nicht dem König gehörte. Sie kauften daher das Land von den Ureinwohnern, um darauf ihren Staat Pennsylvania zu gründen und lebten dadurch gewaltfrei und in Frieden mit ihren Nachbarn.
Provokation von Gewalt auf beiden Seiten
Die Zerstörung palästinensischer Häuser durch Israel und die Gründung israelischer Siedlungen aber provoziere Gewalt auf beiden Seiten. Darum fordert Gvirtz einen Stopp der Besetzung. Jeder Israeli, der den Kriegsdienst verweigere, leiste einen Beitrag zu präventiver Gewaltfreiheit. Jeder Israeli, der keine Waren kaufe, die aus den Siedlungsgebieten stamme, schließe sich der präventiven Gewaltfreiheit an.
Für seine dritte Kategorie, die Intervention Dritter, nannte Amos Gvirtz als einfaches Beispiel zwei streitende Kinder, bei denen erst ein drittes, unbeteiligtes helfen könne, diesen Streit zu schlichten. Schon oft hätten die Vereinten Nationen Versuche unternommen, Frieden zu stiften. Im Falle des israelisch-ägyptischen Konflikts sei dieses auch gelungen. In Hebron arbeite eine Gruppe namens
"Christian Peacemakers" (Christliche Friedensstifter), die Menschen auf beiden Seiten helfe. So stellen sie sich vor israelische Soldaten, wenn diese von Palästinensern mit Steinen beworfen werden. Sie begleiten aber auch Palästinenser zur Ernte in ihre Olivenhaine, so dass israelische Soldaten sie dabei nicht zu hindern versuchten. Teils würden sie als Freunde respektiert, teils befürchte man auch die durch ihre Anwesenheit verursachte Öffentlichkeit. Gvirtz hofft daher auf Deeskalation und ein zunehmendes gegenseitiges Verständnis.
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