Löhner Nachrichten / Neue Westfälische ,
05.06.2004 :
"Die Piloten sprachen von Gemetzel" / Am Tag der Landung der Alliierten reparierte Wilhelm Abke die deutschen Kampfflugzeuge
Von Ulf Hanke
Löhne. Wenige Wochen vor dem D-Day war Wilhelm Abke noch in Kirowograd an der Ostfront. Im Frühjahr 1944 kam der Marschbefehl gen Westen: nach Nantes in Frankreich. Aber wo seine Einheit, das Kampfgeschwader 55 der Reichsluftwaffe, am 6. Juni 1944, dem Tag der Landung der Alliierten in der Normandie war, weiß der 87-Jährige nicht so genau.
Und das liegt nicht an seinem Gedächtnis. "Wir waren irgendwo in Belgien", sagt Wilhelm Abke. Als Unteroffizier gehörte er zum Bodenpersonal der Flieger. Er reparierte die Maschinen, die aus der Luft versuchten, die Landung der Alliierten in der Normandie zu verhindern.
60 Jahre später sitzt Wilhelm Abke in seinem Garten in Löhne unterm Sonnenschirm, kramt in einem großen Berg Fotos und zeigt auf ein altes Bild, auf dem ein weißer Rettungsring zu sehen ist.
Der Ring hängt wie ein Siegerkranz an einem Laster und auf den Kranz hat ein Kamerad Städtenamen aus ganz Europa gedruckt und darüber die Jahreszahl "1939" geschieben, Kriegsbeginn mit dem deutschen Überfall auf Polen. Städte von der Ostfront stehen da neben Städten von der Westfront. "Da waren wir überall", sagt Abke. Die Flieger wurden wie Pingpong-Bälle zwischen den Fronten verschoben.
Aber wo das Kampfgeschwader 55 am 6. Juni 1944 war, steht nicht auf dem weißen Kranz. Dazu war wohl nicht mehr genug Zeit. Die deutsche Wehrmacht wurde von den Alliierten in der Normandie förmlich überrollt. Das Kampfgeschwader konnte aus Belgien dagegen nicht anbomben.
"Die Piloten sprachen von einem unglaublichen Gemetzel", sagt Wilhelm Abke und beschreibt, wie die Flugzeuge in Belgien starteten, ihre Bomben in der Normandie abwarfen und wieder zurück nach Belgien flogen.
"Sie haben sich Einzelziele gesucht", sagt der 87-Jährige, nimmt einen Schluck Apfelschorle, räuspert sich und beschreibt seine Arbeit am Boden. Er hat die Flugzeuge gewartet. Eigentlich waren das "Heinckel 111" oder "Messerschmidt 210". In den Kampf an die plötzlich so nahe Atlantik-Front wurden aber "Focke-Wulf 186" geschickt. "Die konnten nur jeweils eine Bombe laden", sagt Abke. "Mehr ging nicht."
"Wir haben die Flugzeuge mit Holz repariert"
Der gelernte Tischler war für die Verglasung der Flugzeuge zuständig und für die "Luftschraube", den Propeller. "Können Sie sich das vorstellen?", Wilhelm Abke richtet sich im Gartenstuhl auf. "Uns fehlte das Metall, also haben wir die Flugzeuge mit Holz repariert."
Es hat nichts genutzt. Das Kampfgeschwader 55 musste wegen der vorrückenden Alliierten aus Belgien abziehen. "Es fehlte überall an Benzin", sagt Abke. "Es wurden sogar Flugzeuge deswegen in die Luft gejagt." Und das Kampfgeschwader wurde aufgelöst. "Die brauchten uns nicht mehr, da wurden wir in die Infanterie geschickt." Wilhelm Abke wurde der vor Stalingrad geschlagenen 6. Armee zugeteilt und in einem Schnellkurs am Maschinengewehr ausgebildet.
Damit geschossen hat Abke "nur ein einziges Mal". Denn eigentlich gab es keine Waffen für den Infanterie-Ersatz. Die letzten Kriegsmonate verbrachte der Flieger-Unteroffizier als Infanterist, bis am 8. Mai 1945 endgültig Schluss war.
Am Tag der bedingungslosen Kapitulation, es war Abkes 28. Geburtstag, schossen die Amerikaner mit Leuchtmunition in den Himmel. "Das war das größte Geschenk, was ich je zu meinem Geburtstag bekommen habe", sagt Abke und nimmt noch einen Schluck Apfelschorle.
05./06.06.2004
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