Mindener Tageblatt ,
04.06.2004 :
"Barmer Erklärung" noch Stein des Anstoßes / Seit 70 Jahren sorgt das Thesenpapier für Unruhe / Für die Regierung beten / Demonstration gegen "Stoecker-Haus"
Von Ralf Kapries
Minden (pri). Die "Barmer Theologische Erklärung" von 1934 steht im Mittelpunkt einer Veranstaltungsreihe des Kirchenkreises Minden. Die Auftaktveranstaltung am Mittwochabend im Mindener Martinihaus sorgte für lebhafte Wortmeldungen.
Die Podiumsdiskussion machte vor allem deutlich, dass die in der Erklärung angestrebte Einigung der Kirche nie erreicht wurde, ihre sechs, damals so brisanten Thesen jedoch heute noch Steine des Anstoßes sind. Zugleich aber sind sie Ausdruck und Mittel für das Ringen der Deutschen Evangelischen Kirche um eine geeignete Position zum Staat und zur Welt.
Schon am Eingang des Martinihauses wurden die Besucher von einer Handvoll Demonstranten begrüßt. Auf ihren Transparenten stand: "Adolf Stoecker: 'Prophet des 3. Reichs' - Zitat aus Mindener Kirchenzeitung 01.12.1935" und "Adolf Stoecker: 'Unser Mann gegen das volkaussaugende Judentum' - Zitat der Stoecker-Partei". Auf einem Flugblatt, das jeder Gast erhielt, erläuterten sie den Grund ihres Protests: Die Namensgebung des evangelischen Gemeindehauses in Hille-Eickhorst als "Adolf-Stoecker-Haus". Zwar weist inzwischen eine Gedenktafel auf die Nazivergangenheit Stoeckers hin, doch beharrt das Presbyterium der Gemeinde darauf, mit dieser Namensnennung lediglich die sozialen Verdienste des umstrittenen Pfarrers ehren zu wollen. Nach Ansicht der Demonstranten aber ist gerade die Sozialethik Stoeckers untrennbar mit seinen antisemitischen Vorwürfen gegen die Juden als Ursache der sozialen Probleme verbunden.
Pfarrer Eckhard Hagemeier aus Petershagen, der die Veranstaltung im großen Saal des Martinihauses leitete, würdigte in seiner Begrüßung das Engagement der Demonstranten und unterstützte deren Position, bat jedoch zu berücksichtigen, dass das Thema der Veranstaltung nicht das Stoecker-Haus, sondern "Der Kirchenkampf 1934 in Barmen und Minden, seine Bedeutung und seine Folgen" sei. Trotzdem brach sich der Ärger über das Eickhorster Beharrungsvermögen bei den eingeschobenen Wortbeiträgen aus dem Publikum immer wieder Raum.
Pfarrer Andreas Müller aus Minden machte, unterstützt von Pfarrrer im Ruhestand Karl-Ernst Lohmann, in seinen Ausführungen über den Kirchenkampf in Minden deutlich, dass die Mehrheit der hiesigen Pfarrer zwar keine militanten Antisemiten gewesen seien, sich jedoch weniger allgemein gegen die Haltung des NS-Staates und seiner Handlungen engagierte, als vielmehr lediglich gegen die Überfremdung der evangelischen Kirche und ihrer Angelegenheiten durch den Staat Stellung zu beziehen. Pfarrer Manuel Schilling konnte nachweisen, dass sich die hiesigen in dieser Hinsicht wenig von ihren Glaubensbrüdern in der westfälischen Kirche unterschieden.
Probleme bereitete die fünfte These der Barmer Erklärung, die die mittelalterliche Vorstellung von der Aufgabe des Staates, für "Recht und Frieden" zu sorgen, bestätigte. Die Frage "Ist eine solche Vorstellung von der Aufgabe des Staates heute noch zeitgemäß?" sorgte für Diskussionen. Pfarrer Schilling fand schließlich die Kompromissformel: Wenn ein politisch engagierter Christ heute "für den König" -also für die Regierung - bete, so sei dies ein Ausdruck, dass er sich dafür einsetzen wolle, dass die Regierung besser werde.
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