Widerhaken Juni 2004 ,
01.06.2004 :
Ist links wer nicht rechts ist? / Zur Positionsbestimmung
Die Auseinandersetzungen auf den Demonstrationen in Hamm am 17.01.04, in Hamburg am 31.01.04 und jetzt in dem Detmolder Autonomen Zentrum "alte Pauline" zwischen verschiedenen Gruppen, die sich alle einem linken oder antifaschistischen Spektrum zuzählen machen mehr und mehr eine eigene Positionierung in diesem immer offener eskalierenden Streit notwendig. Doch handelt es sich dabei wirklich noch um einen Konflikt innerhalb der Linken oder haben einige Gruppen diese Position nicht schon längst verlassen oder sich letztendlich nie dort befunden?
Der Begriff Links scheint in keinster Weise mehr als Definition für eine bestimmte Politik herhalten zu können. Von ATTAC, über die PDS zu Autonomen Antifaschtinnen oder "Antideutschen Gruppen" wird dieser Begriff unterschiedlich bewertet und gedeutet. Links ist, wer sich als solches bezeichnet, so ist die Devise. Und so kann selbst eine Band wie MIA, die die deutsche Identität in ihrem Wertgefühl wieder erheben möchte, in einem Spiegel-Interview problemlos von sich behaupten "definitiv links" zu sein. Scheinbar noch unklarer werden die Definitionsbestimmungen, wenn mensch die Kämpfe innerhalb der ANTIFA und um den Begriff von Antifaschismus betrachtet. So wird z.B. der Autor Karl Selent in einem Flugblatt von AnhängerInnen der Georg-Weerth-Gesellschaft (GWG) als "linksradikal" bezeichnet, während in der Jungte World ein Zitat abgedruckt wird, in dem, in Zusammenhang mit Selent's Buch und dem Verlag bei dem er veröffentlichte, von "Gewaltphantasien" gesprochen wird, "die man getrost als rechtsradikal bezeichnen darf".
Die Antifa-Debatte, auch wenn die Bezeichnung schon lange nicht mehr zutrifft, war im Ursprung eine Konzeptionelle, entstanden nach dem sogenannten "Antifa-Sommer 2000", der auch als "Aufstand der Anständigen" bezeichnet wird (Einen Versuch der Aufarbeitung, bietet u.a. die Broschüre "Widerstand ist zwecklos, sie werden assimiliert"). An dem jetzigen Punkt angelangt, kann aber von einer Diskussion um Konzepte des Antifaschismus nicht mehr die Rede sein, denn einige Gruppen haben sich dazu erkoren, für sich das Recht zu beanspruchen zu definieren, wer wirklich antifaschistisch, antideutsch und kommunistisch ist. Wer sich dabei ihrer Definition nicht unterwirft, gehört zwangsläufig zu den anderen und schließt sich damit, ihrer Meinung nach, einem völkischen, antimodernen, antiamerikanischen und antisemitischen Mob an. Auf der "anderen Seite" gibt es ebenso Gruppen, welche meinen eine Definitionshoheit zu haben, um so bestimmen zu können, wer antideutsch/antifaschistisch ist und wer nicht. Klar ist, dass es innerhalb dieser Auseinandersetzungen nicht mehr um Gemeinsamkeiten geht, sondern nur noch darum, auf welcher Seite der Definitionslinie mensch sich befindet. Der Bruch war von einigen Gruppen gewollt und forciert und in vielen Publikationen propagiert.
Mit der Demonstration am 24.04.04 in Hamburg konstituierte sich ein kleiner Zirkel von Gruppen, die für sich verbuchen die letzten zivilisatorischen Restposten gegen die verkommenen "Linksdeutschen" und das deutsche Volkskollektiv zu verteidigen. Zwar lief die Demo unter dem Motto "Flagge zeigen! Für Israel - gegen 0ld Europe", doch scheint es vielen dort eher "erklärter Zweck" gewesen zu sein, "die Linke zu delegitimieren und deren Schmach noch schmachvoller zu machen, indem sie ihr das Bewusstsein der Schmach hinzufügt" (Redebeitrag auf der Demo von Clemens Nachtmann (Bahamas)). So wurde auch in mehreren Redebeiträgen das Feindbild "Die Linke" beschworen. Von Gremliza bis Elsässer, von der Jungle World bis zur Jungen Welt alles ein linker Mob und Brei, von dem sie sich abgrenzen und distanzieren. Links wollen sie nicht mehr sein! Und das ist ein Glück, denn so muss nicht darüber diskutiert werden, ob diese Gruppen noch links sind. Ihre Argumentation hat sich eh schon jeglicher diskutablen Grundlage entzogen und letztendlich verbirgt sich hinter ihren vermeintlichen Kommunismus nur ein bürgerlich, liberaler Fortschrittsgedanke. Sie wollen die Gesellschaft nicht grundlegend verändern, sondern modernisieren. "American Way of life" statt "deutscher Weg" ist die vereinfachte Formel. Also mit dem Kapitalismus gegen den Kapitalismus. Wer in seiner Denkweise nicht von der Umwälzung der bestehenden Verhältnisse durch Klassenkämpfe ausgeht (Verstanden als Kampf gegen die Produktions- und Reproduktionsverhälnisse), befindet sich natürlich in der Misere auf einen Staat zurückgreifen zu müssen, um die Welt oder auch nur die eigene Gesellschaft zu verändern.
Die Vorstellung dieser Kreuzritter der Moderne gemeinsam mit den USA die Zivilisation und die Restbestände des Bürgerlichen zu verteidigen, "um so die Bedingung der Möglichkeit des Kommunismus überhaupt aufrechtzuerhalten" (Reader zur Antifa-Debatte gruppe.internationale.webteam), ist genauso irrwitzig, wie die Hoffnungen einiger Friedensaktivistinnen zusammen mit Deutschland oder Europa den Frieden auf der Welt herbeizuführen. Eine linke, revolutionäre Position kann sich nicht an einen der Machtblöcke richten. Wer die USA als Zivilisationsbringer bejubelt, vergisst ihre Politik in Kolumbien, wer Deutschland als Friedensland sieht, vergisst den NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Auch wenn eins der Länder "mal das Richtige tut", wie es der Berufsschullehrer, Politologe und Autor des Buches "Djihad und Judenhass“ Matthias Künzel bei einem, in der Märzausgabe der Phase II veröffentlichten, Interview sagte, muss doch die Intention die dahinter steckt von einem antikapitalistischen Standpunkt aus betrachtet und kritisiert werden. Die amerikanische und britische Politik dafür zu bekämpfen, dass sie gegen radikale islamistische Kräfte vorgeht, ist natürlich falsch. Sie aber nur zu kritisieren, weil sie dies nicht "zielgenau und konsequent genug" machen, ist genauso verkehrt, wie das Beispiel, was er dafür benennt: Jetzt gegen die US-Außenpolitik vorzugehen "wäre so, als kritisiere ich die Bundesregierung gerade dann und deshalb, weil sie mal hinter Nazis her ist".
Einerseits impliziert dies wieder, dass es nur die eine oder andere Seite gibt: Mit oder gegen die USA.
Andererseits steckt in seinem Beispiel genau das Dilemma des "Antifa-Sommers 2000". Die fehlende eigene Positionierung gegenüber den damals verordneten, staatlichen Antifaschismus und die ungenaue Kritik der Absichten, die dahinter steckten. So verschwand zu diesem Zeitpunkt die Autonome Antifa zu sehens in der breiten bürgerlichen Masse, ohne eigenes Profil und ohne eine sichtbare Politik, die sich nicht nur gegen die Nazis richtete, sondern auch gegen die bürgerliche Gesellschaft und den Kapitalismus, als Bedingung für Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Unterdrückung und Ausbeutung. Das aus dem Fehler heraus ein Teil der Antifa ein prokapitalistisches Konzept übernahm ist schier unbegreiflich.
Die "Feind oder Freund"-Philosophie, die bei Künzel durchscheint und von Gruppen wie Bahamas, Georg-Weerth-Gesellschaft und anderen, die sich an der Hamburg-Demo beteiligten, geradezu als Dogma propagiert wird, existiert auch auf der "anderen Seite". Und das mit gleichfalls fatalen Konsequenzen und Auswüchsen, vom platten Antiamerikanismus, über das Hochheben von faschistischen Glaubenskriegern zu Widerstandskämpfern, bis hin zum offenen Antisemitismus.
Eine revolutionäre, antikapitalistische Position außerhalb dieser beiden Extreme muss entwickelt werden. Dafür bedarf es, wie bei allen theoretischen Diskussionen, unter anderem einiger Definitionsbestimmungen. Das Antifaschistische Info Blatt hat dies, für den Bereich Antifaschismus, in der Nr.2/2004 versucht.
Zwar bleibt dieses Papier an einigen Punkten noch ungenau und muss dort auch kritisiert werden, so z.B. an der Verallgemeinerung des Begriffs antideutsch (Auch wenn einige Gruppen diese Bezeichnung für sich anscheinend gepachtet haben, gibt es auch noch andere Auslegungen der antideutschen Politik), oder an der schlichten Aussage, die "antideutsche Strömung" schürt Islamphobie (Denn wenn das auch für einige Gruppen zutrifft, so darf dies nicht einfach umgekehrt werden und die Gefährlichkeit, die von bestimmten radikal, islamistischen Kräften ausgeht ignoriert werden). An anderen Punkten verkehrt es seinen eigenen Anspruch, bspw. das Antifaschismus und ethnische Zuschreibungen unvereinbar sind, indem es bei der Fahnendebatte mit "deutschen, Nicht-Juden" hantiert. Trotzdem aber kann es als gute Diskussionsgrundlage dienen, um die eigenen Standpunkte zu entwickeln (Selbstverständlich eben als kritische/r Leserin).
Vielleicht müssen dabei schwammige Begriffe, wie fortschrittlich oder emanzipatorisch, anstelle von z.B. revolutionär, in Frage gestellt oder neu gefüllt werden. Sie haben sicherlich auch dazu beigetragen, das sich innerhalb der "radikalen Linken" so viele bürgerliche Kräfte festsetzen konnten. Denn den Fortschritt können sich auch linksliberale auf ihre Fahnen schreiben. Das die parlamentarische Demokratie fortschrittlicher ist, wie ein islamischer Gottesstaat steht außer Frage, revolutionär ist sie auf jeden Fall nicht.
Diesen eben formulierten Anspruch haben wir zusammen, als Macherinnen des Widerhakens, selber bei weitem noch nicht erfüllt. Eine gemeinsame Analyse und Strategie haben wir uns in einem Jahr Zeitungsprojekt nicht erarbeitet und unsere Standpunkte, von der Bedeutung der Klassenkämpfe, über Ansätze der Kapitalismuskritik bis hin zur Bewertung der Rolle und Funktion des radikalen Islamismus, sind unterschiedliche. Und so bedarf es immer wieder neuer Diskussionen bei vielen Artikeln, die wir herausgeben. Einige davon werden von allen getragen, andere werden nur mit Zähneknirschen akzeptiert und ein paar auch gänzlich weggelassen, weil sich keine Einigung finden lässt. Trotz dieser Unterschiede gibt es bei uns einen Konsens, auch wenn dies wenig erscheint, so minimal ist dieser nicht. Unsere Vorstellung richtet sich gegen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus, gegen Unterdrückung und Ausbeutung, gegen Kapitalismus und Patriarchat. Für eine klassenlose Gesellschaft ohne Herrschaft.
Auch wenn sich dies nach Phrasendrescherei anhört und wir in unserer Praxis, diesem Anspruch oft hinterherhinken, bleibt diese Utopie doch die Grundlage und das Kriterium unserer gemeinsamen Arbeit und die Diskussion und die Kritik um die einzelnen Schritte dorthin, bleibt Teil unseres praktischen Handelns diese Utopie zu erreichen.
Dieser Konsens schließt für uns Gruppen wie die GWG aus. Diese hierarchisch, autoritär, organisierte Gruppe, den Begriff der Sekte, wie er in der Erklärung der Antifaschistischen Aktion Detmold benutzt wird, finden wir nicht richtig, bedient sich in ihrer Ideologie einiger Rassismen. So verkehrt sich z.B. ihre Solidarität mit Israel, in eine Gleichsetzung der Palästinenserinnen, "als mordendes und todessehnsüchtiges Kollektiv" (Aufruf zur Demo am 24.04.04 an der die GWG als Unterstützerlnnengruppe beteiligt war). Ihre Gesellschaftsanalyse, soweit mensch diese überhaupt als solche bezeichnen kann, basiert einzig auf der Kritik des Antisemitismus und auf der Annahme eines falsch verstandenen Kapitalismusbegriffs. Sexismus oder gar Patriarchat haben für sie keinerlei Bedeutung und so können sie sich auch bedenkenlos mit den Sexisten von der BAHAMAS solidarisieren (die z.B. in ihren Text "Infantile Inquisition" versuchten eine Vergewaltigung zu verharmlosen und umzudeuten).
Mit ihrem fanatischen Endweder-Oder-Gerede, das in der Vorstellung gipfelt, "wer nicht den praktischen Antifaschismus der israelischen Armee als notwendig begrüßt und gegen jede Diffamierung verteidigt, kann kein Antifaschist sein" (GWG-Flugblatt "Deutsche Intifada"), unterstellt die GWG allen, die sich nicht bedingungslos ihren Dogmen unterordnen automatisch eine antisemitische Position oder hält sie einfach für zu dumm die Zusammenhänge zu kapieren.
Es ist müßig auf jeden Punkt ihrer Vorstellungen genauer einzugehen und sich daran abzuarbeiten, denn letztendlich haben sie sich mit ihrer Unterstützung der Demo am24.04,04 in Hamburg selber von "der Linken" verabschiedet Vielleicht sollte mensch diese Gruppen mit ihrer 'Zivilisationsfreundschaft" (BAHAMAS) und ihrem Fortschrittsglauben einfach als das bezeichnen was sie sind: Der Wunsch nach einer Modernisierung der in ; nationalistischen Traditionen verhafteten bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland, aber ; auch die Reformierung des Kapitalismus, wie ; es z.B. ATTAC vorsieht, sind ein Auswuchs der ; bürgerlichen Gesellschaft und bleiben in ihren ; Strukturen in dieser verhaftet, denn beide Vorstellungen haben nicht eine Abschaffung des Kapitalismus und damit die radikale Umwälzung der Gesellschaft vor Augen, sondern nur die Liberalisierung dieser.
Darüber ob nun der Begriff "revolutionär" ein genauerer Begriff ist, als etwa "emanziaptor;isch" und von daher dem zweiteren vorzuziehen wäre, gab es in der Redaktion eine längere Diskussion. Zu einem "weiterführenden" Ergebnis gelangten wir bisher noch nicht.
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