WebWecker Bielefeld ,
02.06.2004 :
Kapriolen um Kaplan
Das vergangene Woche in den großen Medien gegebene Stück: "Staat sucht gefährlichen Kalifen" hat Konsequenzen: Statt offener Gesellschaft wird Deutschland kleiner, enger, gesinnungsmiefiger. Das ausgehandelte Zuwanderungsgesetz zwischen SPD und CDU belegt dies bereits heute, auch ohne eventuell noch kommende Änderungen, wie sie von Teilen der CDU gefordert werden
Ein politischer Zwischenruf von Manfred Horn
Die ZDF-Heute-Journal-Ausgabe vom vergangenen Donnerstag beginnt mit dem Thema Kaplan und bohrenden Fragen der Moderatorin Marietta Slomka in Richtung NRW-Innenminister Fritz Behrens. Über allem schwebt die große Klage an die Politiker: Wie können Sie islamische Terroristen nur hier dulden? Seit Mitte vergangener Woche überschlugen sich die Medien in diese Einheitsrichtung: Der Kalif von Köln, entwischt. Wie konnte das nur passieren? Und: Wann wird Metin Kaplan endlich abgeschoben?
Politiker aller Parteien suchen die Mikrophone und äußern sich über Polizeipannen oder fordern gleich – wie beispielsweise der FDP-NRW-Landesvorsitzende Andreas Pinkwart – den Rücktritt von Behrens. Der selbst drückt sein tiefes Bedauern aus und spricht bezogen auf die Zulassung der Abschiebung durch das Oberverwaltungsgericht Münster von einem "lang ersehnten Urteil". Der Minimalkonsens zwischen den Politikern von Opposition und Regierung: Kaplan müsse rasch raus aus der Bundesrepublik. Um Terroristen wie ihn soll man sich woanders kümmern, nicht aber in Deutschland.
Dabei wird Druck auf die Justiz gemacht. Zwar akzeptiert die Exekutive deren Urteile, doch nur zähneknirschend. Und Bundesinnenminister Otto Schily hat schon mehr als einmal gesagt, was er von den Gerichten erwartet: Dass sie den Weg zur Abschiebung freimachen. Da stellen machtvolle Politiker unverhohlen politische Forderungen an die nach der Verfassung unabhängige Justiz. Und die Legislative arbeitet in einem Konsens der großen Parteien daran, den legislativen Rahmen zu verändern: Das neue Zuwanderungsgesetz wird Ausweisung und Abschiebung von Flüchtlingen nochmals erleichtern.
Dabei ist "Sozialhilfe-Schnorrer" (Bild-Zeitung) Metin Kaplan zu vier Jahren Haft verurteilt worden, die er auch abgesessen hat. Den Meldeauflagen der Polizei ist er nach seiner Entlassung im Mai 2003 Jahr gefolgt. Offenbar haben Verfassungsschutz und Polizei keine neuen handfesten Beweise für terroristische Aktivitäten, sonst würde er erneut angeklagt. Das Absitzen einer Haftstrafe bedeutet im deutschen Rechtssystem immer noch, dass damit die Schuld juristisch gesehen abgegolten ist. Folglich gibt es nur eine Konsequenz: Kaplan muss seine volle Bewegungs- und Redefreiheit erhalten. Stattdessen wird er als Platzhalter für alles Schlimme des gewalttätigen Islam in den Medien vorgeführt. Stattdessen wird behauptet, er führe den Rechtsstaat vor. Dabei beruft er sich nur auf Rechte, die in seinem Fall plötzlich nicht mehr gelten sollen.
Ob der türkische Staat ein rechtsstaatliches Verfahren zulässt, ist dabei eine Nebenfrage. Wahrscheinlich, dass es aufgrund der Prominenz von Kaplan zu einem Verfahren in der Türkei ohne Folter kommen wird, zumal der türkische Staat im wenig Konkretes vorzuwerfen haben dürfte. Es gibt zahlreiche andere Fälle und bundesrepublikanische Gerichtsurteile, die Abschiebungen in die Türkei zugestimmt haben, mit üblen Folgen für die Abgeschobenen. Das die Türkei ein Rechtsstaat ist, dürfte nach wie vor ins Reich der Legenden der Befürworter eines Türkei-EU-Beitritts gehören.
Die politische Debatte und die wie auf einen unsichtbaren Impetus hin gleichgeschaltet wirkende Berichterstattung der großen Medien deutet an, was passiert wäre, wenn die Bundesrepublik mit in den Irak-Krieg gezogen wäre. Allein, nicht zu vergessen: Die Bundeswehr steht in Afghanistan. Und sicher ist: Es werden Kriege in islamischen Ländern kommen, an denen die Bundesrepublik militärisch stärker beteiligt sein wird. Dieses Szenario stellt den Rechtsstaat bereits heute auf die Probe. Der von den USA ausgerufene präventive Krieg bedarf offenbar auch in der Bundesrepublik eines präventiv-repressiven Rechtsstaats, der unliebsame Bürger in »Schutzhaft« nehmen kann. Da wird zum Täter, wer vielleicht zukünftig gegen Recht und Gesetz handeln wird. Sogenannte "Hassprediger" sollen zukünftig ausweisbar sein.
Das neue Einwanderungsgesetz sieht nach dem aktuellen SPD-CDU-Papier weiter vor, Menschen auf Grund einer "tatsachen-gestützen Gefahrenprognose" ausweisen zu können. Damit aber ist politisch-motivierter Willkür Tür und Tor geöffnet. Und: "amnesty international" und der "Deutsche Anwaltverein" sehen darin zurecht einen unzumutbar verkürzten Rechtsschutz. Denn gegen eine derartige Prognose samt Ausreiseverfügung soll nach dem neuen Gesetz nur noch in einer Instanz, nämlich vor dem Bundesverwaltungsgericht, geklagt werden können. Dazu passt, das nach dem neuen Gesetz eine Anfrage beim Verfassungsschutz bei Flüchtlingen vorgesehen ist.
Ungewöhnliche Umstände verlangen ungewöhnliche Maßnahmen. amnesty international wirft der US-Regierung im aktuellen Jahresbericht vor, sie kämpfe gegen den Terrorismus und beweise zugleich Doppelmoral, weil im eigenen Land die Menschenrechte mit Füßen trete. Der bundesdeutsche Verteidigungsminister Peter Struck kann noch solch goldene Sätze sprechen wie "Ein deutscher Soldat foltert niemanden". Eine stolze Aussage, die man sich für die Zukunft an die Pinnwand nageln sollte. Denn das Konstrukt des allgegenwärtigen Terrorismus ist längst in Deutschland angekommen und mit ihm der systemimmanente Druck, neue, repressivere Gesetze zu erlassen, Recht zu beugen und Wege jenseits des Rechts zu finden. Dann aber ist der Weg nicht mehr weit zu offensichtlicher körperlicher Gewalt. Es ist eben eine alte, aber immer noch aktuelle Weisheit: Systeme beweisen sich erst in der Krise. Dies gilt für den Sozialstaat, aber eben auch für den Rechtsstaat.
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