Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
27.03.2009 :
Den Alltag kennenlernen / Was Schüler mit dem Berliner Museum on Tour über jüdisches Leben erfuhren
Von Simone Flörke
Salzkotten-Niederntudorf. "Es ist ein Vorurteil, dass jüdische Geschichte in Deutschland mit dem Jahr 1945 aufhört": Dennis Gülle aus der 8 b sagt das mit Überzeugung. Gestern machten der 14-Jährige und seine Schulkollegen lebendige Erfahrungen mit dem Judentum, mit Kultur, Geschichte und Alltag. Denn das Ausstellungsmobil des Jüdischen Museums Berlin machte auf der Deutschland-Tour Station an der Hauptschule Niederntudorf/Wewelsburg.
Mit im Gepäck: Eine kleine Ausstellung, verpackt in signalrote Würfel, i-Pods mit den Biografien von Juden, die nach 1945 geboren sind und trotzdem Repressalien erleben mussten, Arbeitsblätter für Workshops und jede Menge Informationen und Gesprächsbereitschaft. So suchten Alexander Green, Jan Ogiermann und Tatjana Glampke während der Führungen durch die Ausstellung immer wieder die Diskussion mit den jungen Leuten, fragten, erklärten, antworteten. Die Hauptschule in Niederntudorf ist die einzige dieser Schulform, an der das Mobil Station macht – überhaupt werden in NRW auf der Tour nur fünf Schulen besucht. Die Einrichtung mit ihren knapp 300 Schülern ist eine davon.
"Wir fühlen uns geehrt", sagte Deutsch-Lehrerin Ilona Vorwald beeindruckt, die ihre 8b intensiv auf den Besuch der Museums-Mitarbeiter vorbereitet hatte. Ursprung war eine aussagekräftige Bewerbung gewesen, die die Schule unter der Überschrift Schule ohne Rassismus geschrieben hatte. Darin seien alle Aktionen beschrieben worden, die an der Hauptschule zu diesem Thema stattgefunden hatten: Vom Theater gegen Rechts über die Gestaltung einer Zeitungsseite "Wider das Vergessen" bis zum Interview mit einem Auschwitz-Überlebenden oder der Diskussion mit einer Zeitzeugin. Ein Konzept, das die Berliner überzeugte.
Zwischen Thora und siebenarmigem Leuchter, Schabbat und Bar Mizwa, Levi-Strauss-Jeans und koscheren Gummibärchen präsentierten die Schüler das, was sie in der Würfel-Ausstellung erfahren haben: Dass jüdische Männer aus Respekt vor Gott ihre Köpfe bedecken müssen, wenn sie in die Synagoge oder auf den Friedhof gehen. Dass am Schabbat keine Arbeit verrichtet werden darf. Oder dass ab 1942 der Schulunterricht für jüdische Kinder verboten worden war. "Ich weiß nun etwas über den Alltag der Juden", sagte Nicole Wiegand aus der 10 b. Und Miriam Kleinschnittger ergänzte, man habe einige Dinge schon im Religionsunterricht erfahren – "dies ist aber viel ausführlicher".
Und viel persönlicher, denn Alexander Green erzählte ihnen von seiner Bar Mizwa oder vom Hebräisch-Lernen. Jan Ogiermann schrieb den Schülern ihre Vornamen in Hebräisch auf. Zwei Schülerinnen hatten zuvor das Gedicht "Ich bin ein Stern" von Inge Auerbach vorgetragen. Sie ist die Tochter von Isaak Auerbach, nach dem der Platz in Salzkotten benannt wurde, an dem einst die Synagoge stand.
Zu wenig setze man sich noch mit dem Leben der jüdischen Mitbürger nach 1945 auseinander, betonte Schulleiter Matthias Hartmann. Dass jüdisches Leben in Deutschland nach dem Krieg wieder möglich gewesen und heute ein wichtiger Baustein der Gesellschaft sei, "muss in die Köpfe der Kinder". Die Kenntnisse über das Dritte Reich seien für die Schüler obligatorisch, Mitfühlen wünschenswert, erklärte Ilona Vorwald, und von immenser Bedeutung das "kritische Hinterfragen der großen Vereinfacher".
Zwei Jahrtausende Geschichte
Das Jüdische Museum Berlin, entworfen von Architekt Daniel Libeskind, wurde 2001 eröffnet. Es versteht sich als Forum für Forschung, Diskussion und Gedankenaustausch - und als ein Museum für alle. Mit seinen Ausstellungen und seiner Sammlung, der pädagogischen Arbeit und einem vielfältigen Veranstaltungsprogramm ist das Museum ein lebendiges Zentrum für deutsch-jüdische Geschichte und Kultur. Die historische Dauerausstellung lädt auf einer 3.000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche zu einer Entdeckungsreise durch zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte ein.
www.jmberlin.de
Bildunterschrift: Für die Schabbat-Feier: Jan Ogiermann (3. v. l.) vom Berliner Museum präsentiert den Schülerinnen der 10 b ein kostbares Deckchen, das mit Brotlaib, Kelch, Kerzenleuchtern und hebräischen Worten bestickt ist. Laureen Schulte, Regine Wessel, Malin Rensing, Miriam Kleinschnittger, Nicole Wiegand und Verena Wibbeke (v. l.) hören genau zu.
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de
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