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Mindener Tageblatt , 28.05.2004 :

Verschwörer: Menschen in ihren Widersprüchen / Kontroverse Diskussion um Männer des 20. Juli und militärischen Widerstand gegen Hitler

Minden (lkp). "Der 'Aufstand des Gewissens' war auch ein Aufstand des 'schlechten Gewissens'". Mit dieser Feststellung leitete der Historiker und Journalist Frank Werner, M. A., seine kritischen Überlegungen zum 20. Juli ein.

Werner, Chefredakteur der Schaumburg-Lippischen Landeszeitung aus Bückeburg, stützte sich in seinem Vortrag bei der Lehrerfortbildung zur Ausstellung "Aufstand des Gewissens" nicht nur auf die Selbstdarstellung der Attentäter, sondern auch auf die erforschten Quellen. Dabei ergibt sich ein durchaus kritisches Bild des militärischen Widerstandes. Denn neben dem Gewissen spielten bei den Verschwörern auch nationale und machtpolitische Motive, die Furcht vor dem Untergang des Reiches und einem Verlust seiner Machtrolle in Mitteleuropa eine Rolle.

Die Spannbreite des Gewissens sei sehr groß gewesen, sagte Werner. Und so groß waren auch die Unterschied unter den Widerständlern. Viele, die später dem Widerstand angehörten und selbst Opfer des NS-Regimes wurden, waren in das System verstrickt und teilweise federführend für einzelne zu verurteilende Maßnahmen und Befehle. So nannte Werner Henning von Treskow, Haupt einer Widerstandsgruppe an der Ostfront und eine der treibenden Kräfte des 20. Juli, "Motor des Partisanenkrieges", der zu einer Radikalisierung und Eskalation des Kampfes gegen die Zivilbevölkerung beigetragen habe.

Dieser Auslegung widersprach allerdings Dr. Thomas Vogel vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Von Treskow habe als Generalstabsoffizier lediglich Dokumente, die über seinen Schreibtisch gingen, abzeichnen müssen, um nicht bei einer genaueren Untersuchung als Verschwörer enttarnt zu werden.

"Was wir über Widerstand erfahren, ändert unser Bild über die Wehrmacht kaum", stellte Werner klar. Die Offiziere der Wehrmacht seien antidemokratisch, antiliberal und korporatisch orientiert gewesen. Und auch aufgrund der Feldpostbriefe nach dem Attentat sei nur ein Schluss möglich: "Die Verschwörer standen ziemlich allein." Der militärische Widerstand sei ein Widerstand ohne militärisches Fußvolk gewesen, zitierte Werner den Zeithistoriker Hans Mommsen, der am 29. Juni einen Vortrag im Preußen-Museum halten wird.

Werner forderte aber den Widerstandsbegriff zu erweitern auf individuelle Aktionen wie die Weigerung, an Erschießungskommandos teilzunehmen. "Wir wissen heute, dass den allerwenigsten etwas bei Verweigerung passiert ist", sagte Vogel. Kein einziger sei erschossen worden. "Warum nutzte die breite Mehrheit diese Handlungsspielräume nicht?", stellte Frank Werner als kritische Frage in den Raum.

"Ich tue mich schwer", bekundete Klaus Suchland, als Sektionsleiter der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik Mitinitiator der Ausstellung im Preußen-Museum, angesichts des kontroversen Verlaufs der Diskussion. Als ehemaliger Berufsoffizier warb er um Verständnis für die Männer des 20. Juli auch dort, wo sie - zum Teil aus Sorge um ihre Soldaten - aus heutiger Sicht zumindest fragwürdig handelten.

Trotz aller kritischen Einwände - auch dergestalt, ob ein so komplexes Thema eigentlich für den Schulunterricht tauge oder ob sich nicht andere Widerstandsgruppe besser eigneten - fasste ein Lehrer seine Eindrücke so zusammen: "Mir sind die Leute des 20. Juli in den letzten anderthalb Stunden sympathischer geworden, weil sie Menschen in ihren Widersprüchen sind." Als nationaler Gedenktag des Widerstands aber sei der 20. Juli nicht geeignet.


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