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WebWecker Bielefeld , 26.05.2004 :

Teilerfolg gegen Abschiebung

Eigentlich sollte Günay Muradova am 25. Mai abgeschoben werden. Am Montag gab der Detmolder Bürgermeister Friedrich Brakemeier bekannt, dass sie noch bis zum Ende des Schuljahres bleiben darf. Ihre Mutter und zwei Geschwister wurden jedoch gestern nach Aserbeidschan abgeschoben.

Von Mario A. Sarcletti

Die Demonstranten vor dem Detmolder Rathaus freuen sich. "Wir sind stolz auf das, was wir erst mal erreicht haben", sagt die 14-jährige Valentina mit Tränen in den Augen. Was die jungen Frauen vom Detmolder Verein "Paulines Töchter" geschafft haben, verdient tatsächlich Respekt. "Als ich erfahren habe, dass Günay abgeschoben werden soll, bin ich gleich zum Radio und habe davon erzählt", beschreibt Valentina ihre erste Erfahrung mit Pressearbeit. "Später musste ich erst mal weinen", erzählt sie von ihren Gefühlen. Mit ihren Freundinnen von "Paulines Töchter" organisierte sie die Demonstration, malte Plakate und sammelte 600 Unterschriften für den Verbleib Günay Muradovas. Zusammen mit 500 Unterschriften aus deren Schule wurden sie bei der Kundgebung an Detmolds Bürgermeister Friedrich Brakemeier (SPD) übergeben.

Der erklärt zu Beginn der Demonstration unter dem Beifall der Anwesenden, dass Günay Muradovas Abschiebung aufgeschoben wird, damit sie die zehnte Klasse beenden kann. Zehn Minuten vor der Kundgebung war von der Botschaft Aserbeidschans signalisiert worden, dass der 19-jährigen Schülerin neue Papiere ausgestellt werden. Ihre alten Passersatzpapiere waren bis 28. Mai befristet, eine Verlängerung durch die Botschaft hatte die Detmolder Ausländerbehörde in der vergangenen Woche noch ausgeschlossen.

Mehr als vier bis acht Wochen bleiben Günay Muradova nach Angaben von Rainer Heller, Beigeordneter der Stadt Detmold, jedoch wohl nicht in Deutschland. Immerhin kann sie jetzt mit dem Ende des Schuljahres die Fachoberschulreife am Gymnasium Leopoldinum erlangen. Auf das hat sich die junge Frau, die 2000 ohne Deutschkenntnisse nach Deutschland kam, von der Hauptschule hochgearbeitet. Günay Muradova ist ehrgeizig: "Ich möchte mein Abitur machen und dann Journalistik studieren", sagt sie im Gespräch mit dem Webwecker. Dass sie ehrgeizig ist, zeigt auch ihr Engagement bei "Paulines Töchter". Dort besuchte sie Computerkurse, inzwischen ist sie Trainerin. "Auf den Verein bin ich bei einer Ausbildungsmesse des Arbeitsamtes gestoßen", beschreibt sie, wie der Kontakt zustande kam. Zu der Messe sei sie auf eigene Initiative gegangen.

"Wir sind 2000 nach Deutschland gekommen, weil mein Vater für die Opposition aktiv war. Aber der Asylantrag wurde abgelehnt", erzählt sie, während ihre großen braunen Augen unsicher umherwandern. Offensichtlich steht sie unter Stress. Kein Wunder: Mit ihrer Mutter hatte sie keinen Kontakt mehr, seit die vor über einer Woche verhaftet und in Abschiebehaft gesteckt wurde. Günay befürchtet, ebenfalls verhaftet zu werden. Sie hat zwar die Zusicherung, nicht eingesperrt zu werden, die hatte ihre Mutter aber auch. Der Grund für die Aufkündigung der Absprache war nach Angaben von Rainer Heller, Beigeordneter der Stadt Detmold, dass die Familie im April von Detmold nach Bielefeld zog. "Man kann es ja wohl kaum als Untertauchen bezeichnen, wenn eine Frau aus Detmold nach Bielefeld zu ihrem neuen Ehemann gezogen ist", findet Charlotte Karls von "Paulines Töchter". Rainer Heller begründet die Abschiebehaft damit, dass Frau Muradova mehrmals nicht in der Wohnung angetroffen war, zu den Umständen der Festnahme will er sich nicht äußern.

Nachdem der leibliche Vater bereits vor längerer Zeit Deutschland verließ, hatte Muradova vor gut einem halben Jahr erneut geheiratet. "Mein Stiefvater hat eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis", erzählt Günay Muradova. Die Detmolder Stadtverwaltung möchte dazu "aus Datenschutzgründen" nichts sagen. "Natürlich könnte der für mich sorgen, aber das kann ich auch selber", zeigt sich Günay selbstbewusst.

"Mein kleiner Bruder versteht das gar nicht so richtig", beschreibt sie die Situation ihres dreizehnjährigen Bruders. "Aber meiner Schwester geht es nicht gut." Die wurde nach der Ankunft in Deutschland wegen eines angeborenen Herzfehlers in Bad Oeynhausen operiert, als Folge der Erkrankung leidet sie unter epileptischen Anfällen. "Als meine Mutter verhaftet wurde, hatte sie zwei Anfälle hintereinander", berichtet Günay Muradova. Am Wochenende wurde die Fünfzehnjährige wegen eines schweren Anfalls, bei dem sie sich nach Günays Angaben fast die Zunge abgebissen hat, in ein Bielefelder Krankenhaus gebracht. Ob ihre Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt wurde, ist nicht bekannt.

Die Detmolder Verwaltung glaubt, alles richtig gemacht zu haben. "Es läuft ein Verfahren ab in dieser Republik nach Gesetzen und Verordnungen", so Rainer Heller. Und die habe man nicht gemacht. Bürgermeister Friedrich Brakemeier sieht einen Grund für die verfahrene Situation in dem Fall auch in der Gesetzeslage. "Wir habe kein vernünftiges Zuwanderungsgesetz", kritisiert er. "Aber als Behörde sind wir verpflichtet uns an Gesetze und Verordnungen zu halten", erklärt er.

Bei den beiden Politikern klingt es so, als sei nicht die Familie Muradova, sondern die Detmolder Verwaltung das eigentliche Opfer des Falles. Wortreich beklagt sich Rainer Heller über die Unterstützer der Familie. "Was da Leute, die meinen, sie seien besonders schlau, gesagt haben, geht auf keine Kuhhaut", beschwert er sich. Auch die Medien hätten seine Behörde falsch dargestellt. Seit eineinhalb Wochen habe die sich bei der aserbeidschanischen Botschaft um eine Lösung bemüht. "Wir haben in Berlin alle Hebel, auch diplomatische, in Bewegung gesetzt. Und heute ist ein Mitarbeiter der bösen Verwaltung nach Berlin gefahren", sagt Heller und betont: "Wir haben das aber nicht aufgrund des politischen Drucks getan".

Dennoch lobt er die Jugendlichen, die sich für Günay engagierten. "Das war sehr mutig von euch", so Heller. Ebenso wie Bürgermeister Brakemeier sagt er, dass er auch lieber die Seite wechseln und für die Menschlichkeit demonstrieren würde. "Aber einer", so Brakemeier, "muss die Vorschriften ja umsetzen".


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