Lippische Landes-Zeitung ,
25.05.2004 :
Zeit für einen Abschluss / Günay Muradova wird heute nicht abgeschoben und darf noch ihre Fachoberschulreife absolvieren
Detmold. Günay Muradova wird heute nicht zurück in ihre Heimat Aserbeidschan reisen müssen. Die erlösende Nachricht kam gestern um 15.20 Uhr aus Berlin: Die Botschaft ihres Landes werde die für einen weiteren Aufenthalt in Detmold notwendigen Passersatz-Papiere ausstellen. Nun kann die 19-Jährige doch noch ihre Fachoberschulreife am Leopoldinum absolvieren, bevor sie ihrer Mutter und den zwei Geschwistern nach Aserbeidschan folgen muss.
Annegret Sandbothe, Leiterin der Ausländerbehörde, hatte in der vergangenen Woche erklärt, dass der Detmolder Verwaltung im Falle Günay Muradova die Hände gebunden seien, da eine Abschiebung, die am 9. April eingeleitet worden war, bis zum Ende der Gültigkeit der Passersatz-Papiere erfolgen müsse. Die Papiere der jungen Frau, die sich von der Hauptschule aufs Gymnasium hochgearbeitet hat und wenige Wochen vor einer erfolgreichen Fachoberschulreife steht, galten bis zum 28. Mai. Ein deutscher Schulabschluss schien in der vergangenen Woche demnach unmöglich.
Es sei denn, die Botschaft stellte Günay Muradova, die seit Mitte April in Bielefeld wohnt, neue Papiere aus, durch die sich eine Abschiebefrist verlängerte. So wurden die letzten Tage vor der ursprünglich geplanten Rückführung zu einem Nerven belastenden Wettlauf, dessen Ergebnis Bürgermeister Friedrich Brakemeier gestern eine halbe Stunde nach der Meldung aus der Bundeshauptstadt hörbar erschöpft als "Ziellandung" titulierte. Am Freitag hatte Kämmerer Rainer Heller mit der aserbeidschanischen Botschaft telefoniert - mit einem Lichtstreif als Resultat. Nachdem es ursprünglich geheißen hatte, die Botschaft verlängere grundsätzlich keine Passersatz-Papiere, sollte nun ein Kurier der Detmolder Verwaltung am gestrigen Montag nach Berlin kommen, um die entscheidenden Dokumente abzuholen.
Es ist Montag, ein Tag vor dem drohenden Abschiebetermin. Der Kurier, eine Mitarbeiterin der Detmolder Stadtverwaltung, weilt bereits in Berlin, als ein weiterer Lösungsversuch, Günay Muradova, wenn nicht wenigstens den Abschiebetermin zu ersparen, dann doch einen vorzeitigen Schulabschluss zu ermöglichen, gegen 14 Uhr an der Allgemeinen Schulordnung scheitert. Man müsse bis mindestens vier Wochen vor Schuljahresende am Unterricht teilnehmen, heißt es in den Paragraphen.
Als sich etwa 80 Demonstranten mit Plakaten und Spruchbändern vor dem Rathaus formieren (der Verein "Paulines Töchter" hatte zu der Protestkundgebung aufgerufen), um für die 19-Jährige Stellung zu beziehen, kommt die Kunde aus Berlin: Es gibt neue Papiere, Günay Muradova muss nicht an einem 25. Mai 2004 ausreisen und darf ihre Fachoberschulreife in Angriff nehmen.
Brakemeier und Heller tragen die Nachricht stante pede unters Volk: Günay könne bleiben. Nun müssten nur noch Details des weiteren Verfahrens geklärt werden. Gegenüber der LZ hatte Brakemeier zuvor die Richtung ausgewiesen: "Das Ziel ist, dass die junge Frau ein Zeugnis bekommt und dann freiwillig ausreist."
Vor dem Rathaus schlagen die beiden Männer aus dem Verwaltungsvorstand jedoch nicht nur Töne der Erleichterung, sondern auch der Kritik an, da die Detmolder Ausländerbehörde in den vergangenen Tagen im Fokus öffentlicher Beschuldigungen gestanden hatte. In der Behörde arbeiteten eben keine Maschinen, sagt Brakemeier, und Heller weist auf die juristischen Beratungsmängel der Familie Muradova hin. Eine Detmolder Anwältin soll die Vorzüge eines Umzugs nach Bielefeld zumindest angedeutet haben - die Mutter war daraufhin in Abschiebehaft genommen worden.
Sie und ihr Sohn müssen also heute ausreisen. Über die Reisefähigkeit einer Tochter, die wegen eines epileptischen Anfalls derzeit im Krankenhaus liegt, soll noch entschieden werden. Die ältere Tochter, Günay Muradova, jedoch bleibt.
Kurz nachdem sie diese Meldung gehört hatte, sagte sie: "Ich habe nicht mehr daran geglaubt. Übermorgen ist Mädchenmesse, und morgen kann ich wieder normal in den Unterricht gehen. Es stehen auch noch einige Arbeiten an, für die ich lernen muss."
Eine Schülerin darf sich wieder Alltagssorgen machen.
detmold@lz-online.de
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