Internationales Beratungszentrum ,
03.09.2003 :
ibz-Mitteilungen September 2003 / Rundschreiben an Organisationen und Einzelpersonen in der Flüchtlingsberatung in Ostwestfalen Lippe
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
was es für Asylsuchende bedeutet, wenn Heimat und Fremde es für das Hauptproblem halten, dass es sie gibt, können nur die ahnen, die täglich mit den Betroffenen umgehen. Dass es Menschen gibt, die sich damit nicht abfinden und sich mit Herz und Verstand für diese Flüchtlinge einsetzen, bedeutet für uns weitaus mehr als nur Kontinuität und Verlässlichkeit. Zu Deinem heutigen 70. Geburtstag gratulieren wir dir deshalb alle sehr herzlich, liebe Irmingard!
Die nachfolgend aufgezählten Aktivitäten wären ohne die enge Zusammenarbeit ehrenamtlicher und hauptamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - und ohne die zunehmende Vernetzung der Flüchtlingsarbeit in Ostwestfalen-Lippe (OWL) - nicht denkbar. Wir hoffen, auch in Zukunft, diese Arbeit weiterzuführen und ausbauen zu können, um damit einen Beitrag zur notwendigen Stärkung des Flüchtlingsschutzes zu leisten. (1)
Das IBZ-Team: Ferhat Akman, Gudrun Lagemann, Diether Kuhlmann
Ganz in diesem Sinne möchten wir zunächst unseren neuen Kollegen Jürgen Linnemann vorstellen: Er arbeitet in unserer Bürogemeinschaft ab sofort für das Netzwerk Ostwestfalen-Lippe für regionale Agenda, kurz: NORA. NORA ist das Netzwerk von Nicht-Regierungsorganisationen in OWL, das sich für eine nachhaltige Regionalentwicklung stark macht. Vor dem Hintergrund, dass lokale Agenda-Prozesse in OWL immer mehr von der Tagesordnung verschwinden, setzt NORA sich dafür ein, dass aus den vielen ermutigenden Einzelaktionen ein regionaler Prozess entsteht - für eine zukunftsfähige Strukturpolitik in OWL. Laut NORA ist es weiterhin notwendig, das Konzept Nachhaltigkeit voranzutreiben und ihm allgemeine Gültigkeit zu verschaffen. Dazu sind, so das Netzwerk, Bewusstseinsbildung, Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung, Dialogprozesse und entsprechende Planungskulturen erforderlich.
Jürgen Linnemann ist im IBZ unter der Telefonnummer 39973 - Mobil unter 0171 - 4749937 - zu erreichen, seine E-Mail lautet jue.linnemann@t-online.de und www.noraowl.de ist die Internet-Präsentation des Netzwerkes.
Eine andere Plattform für OWL will das Internet-Projekt www.hierqeblieben.de anbieten. Die Seite informiert - nahezu täglich aktualisiert - schwerpunktmäßig über geplante Abschiebungen etc. in OWL und organisiert auch Protestaktionen (zur Zeit kann zum Beispiel über die Startseite eine Unterschriftenliste für eine von Abschiebung bedrohte Familie im Kreis Gütersloh ausgedruckt werden). Über eine Suchmaschine ist es möglich, zum gewünschten Thema eine chronologische Artikel-Auflistung zum Anklicken aufzurufen. Aus dem IBZ arbeitet Diether Kuhlmann an dem Vorhaben mit, hier bis Ende 2004 die Geschichte der Flüchtlingspolitik in OWL rückwirkend ab 1989 zu dokumentieren.
Zum aktuellen Thema Abschiebungen haben wir - in Zusammenarbeit mit den Jusos in der SPD - im Juli die Stadt Detmold um die Beantwortung der folgenden Fragen gebeten:
Wie viele asylsuchende Flüchtlinge standen 2003 nach der Definition o.g. Vorlage (Personen, die "vollziehbar ausreisepflichtig und reisefähig waren und ihrer Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkamen") bisher konkret zur Abschiebung an?
Wie viele Einzelpersonen bzw. wie viele Familien waren hiervon betroffen?
Wie oft wurde diesbezüglich die Abschiebehaft für wie viele Einzelpersonen beim Amtsgericht Detmold beantragt?
Wie oft wurden dabei bei Familien bzw. Ehepaaren Trennungen in Kauf genommen? Wie vielen Anträgen auf Abschiebehaft hat das Amtsgericht Detmold stattgegeben?
Wurden alle genehmigten Anträge auf Abschiebehaft vollzogen?
Wie viele Abschiebungen fanden aus der Abschiebehaft heraus statt?
Wie oft ist es dabei zu Komplikationen (z.B. Krankheit oder Suizidversuch) gekommen?
Wie oft wurde dabei ein Zeitrahmen von zwei Wochen nicht eingehalten?
Wie viele Abschiebungen fanden 2003 ohne vorherige Abschiebehaft statt?
Hintergrund für die Anfrage ist die besorgniserregende Steigerung der Abschiebungen durch die Stadt Detmold sowie der praktizierte Umgang der Ausländerbehörde mit der Vorlage 30/2003 vom 14.01.2003 - "Verfahren bei der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern" (2). Erst nach massiven Protesten hatte die Verwaltung am 20. Februar den Passus " ... sollte grundsätzlich, die Beantragung der Abschiebehaft ... " aus der o.g. Vorlage gestrichen. Eine Antwort auf die Anfrage steht indes noch aus.
Die bisherige ausländerrechtliche Praxis des Kreises Lippe im Jahre 2003 ist aus unserer Sicht als ambivalent zu bezeichnen. Im deutlichen Gegensatz zur Stadt Detmold ist es jedoch eindeutig möglich in Hörweite zu bleiben und sich zueinander zu verhalten. In Kooperation mit dem Bielefelder Flüchtlingsrat, der viele Flüchtlinge aus Lippe berät, sind wir um eine produktive Gesprächsebene mit der neuen Leitung bemüht.
Zu einer vorläufig positiven Zwischenlösung kam es bei dem Konflikt mit dem Kreis Lippe in Bezug auf die gescheiterte Abschiebung der kurdischen Familie Bozkurt aus der Gemeinde Silixen im Extertal: Am 05. Mai, dem Geburtstag von Frau Bozkurt, sollte Herr Bozkurt mit den drei minderjährigen Kindern - ohne die Mutter, für die noch keine Passersatzpapiere vorlagen - in die Türkei abgeschoben werden, obwohl ein Petitionsantrag an den Landtag Nordrhein-Westfalen gestellt war. Die gesamte Familie tauchte unter und in Silixen bildete sich umgehend ein Unterstützungskreis aus Freundinnen, Freunden und Nachbarn. Er sammelte in kürzester Zeit Geldspenden und über 500 Unterschriften für ein Bleiberecht der befreundeten Familie. Eine Delegation wurde beim Landrat des Kreises vorstellig und setzte sich öffentlichkeitswirksam für die Bozkurts ein. Am 11. Juli konnte Frau Bozkurt zunächst mit ihren Kindern wieder eine Duldung erhalten, der Ehemann erhielt einige Tage später in der evangelischen Gemeinde in Silxen Kirchenasyl. Am 23. Juli tagte der Petitionsausschuss des Landes NRW im Detmolder Kreishaus. Vor der Tür der Ausländerbehörde warteten viele Freundinnen und Freunde aus dem Unterstützungskreis. Am Ende der Sitzung war erreicht, dass die gesamte Familie eine Duldung bis Ende Oktober erhält, um durch ein ärztliches Gutachten die weitere aufenthaltsrechtliche Situation zu klären. (2) Wir waren eine Woche später zu Gast in Silixen, als die Kirchengemeinde zu einem Beisammensein einlud. Wir sind noch immer beeindruckt von der herzlichen und konsequenten Anteilnahme des Silixer Unterstützungskreises! Wir möchten gerne, dass diese Menschen eine Art "Auszeichnung" verliehen bekommen. Da wir uns in diesem Bereich aber überhaupt nicht auskennen, sind wir für jede Anregung dankbar.
Nicht nur der "Fall" der Familie Bozkurt gibt einigen Anlass über das Thema Türkei weiter zu sprechen. Der mangelnden Sensibilität (nicht nur) der hiesigen Behörden im Umgang mit kurdischen Flüchtlingen muss u.E. mit einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit begegnet werden. Auch und gerade im Hinblick auf die bundesdeutsche Außenpolitik (aktueller Erdogan-Besuch). Deshalb ist es umso erfreulicher, dass es uns gelungen ist, die Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD), Frau Rechtsanwältin Erin Keskin, für eine Veranstaltung in Detmold gewinnen zu können. Diese Veranstaltung findet am Sonntag, den 16. November um 19.00 Uhr im Lippischen Landesmuseum, Ameide 4, statt. Bisheriger Kooperationspartner ist die Detmolder Ortsgruppe von amnesty international, weitere werden gesucht (was im Rahmen der Möglichkeiten natürlich auch eine finanzielle Beteiligung bedeutet). Ein Schwerpunkt von Frau Keskin wird natürlich die Menschenrechtslage in der Türkei im Zusammenhang mit dem geplanten Beitritt zur Europäischen Union sein.
Eine weitere, aber interne, Veranstaltung wird es zuvor - wahrscheinlich im Oktober - hier im IBZ geben: Wir haben einen Pfarrer vom Ökumenischen Netzwerk Bielefeld zum Schutz von Flüchtlingen eingeladen, um über die dortige Praxis der Gewährung von Kirchenasyl zu berichten. Sobald der Termin feststeht, werden wir hierzu rechtzeitig einladen.
Am 30. August 2003 haben wir in der Neuen Westfälischen - Gütersloher Zeitung zusammen mit elf anderen Initiativen die folgende Anzeige veröffentlicht:
Anlässlich des bundesweiten Aktionstages gegen Abschiebung und Abschiebehaft trauern wir um:
Hüseyin Dikec
"Empfindsam bleiben ist eine gleichsam utopische Haltung,
die Sinne für ein Glück geschärft zu halten, das nicht kommen wird, jedoch uns im Bereitsein für es vor den ärgsten Verrohungen schützt."
(Theodor W. Adorno)
Hüseyin Dikec erlag am 24. August seinen schweren Brandverletzungen. Der junge türkische Mann hatte sich am 31. Juli diesen Jahres in einem Ausländeramt des Kreises Gütersloh aus Angst und Verzweiflung vor seiner Abschiebung selbst angezündet.
Wir beklagen die rigorose Abschiebepolitik der Ausländerbehörde Kreis Gütersloh. Sie entscheidet hartherzig und unmenschlich über das Schicksal von hier lebenden Menschen.
Diese Traueranzeige wird getragen von: AntiDiskriminierungsBüro Lippe; Antifaschistisches Kreisplenum Gütersloh; Bielefelder Flüchtlingsrat; Evangelisches Sozialpfarramt, Bielefeld; Flüchtlingsrat Gütersloh'-; Flüchtlingsrat NRW; Friedensbüro e.V., Lemgo; Sozialistische Kulturarbeit Gütersloh; Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.; Internationales Begegnungszentrum/Friedenshaus, Bielefeld; Internationales Beratungszentrum Detmold und Ökumenisches Netzwerk Bielefeld zum Schutz von Flüchtlingen.
Spenden für die Familie von Hüseyin Dikec und für Flüchtlinge im Kreis Gütersloh an das Friedensbüro e.V., Lemgo: Sparkasse Lemgo (BLZ 482 501 10), Konto Nr. 130 831, Stichwort „Hüseyin Dikec".
V.i.S.d.P. Flüchtlingsrat NRW, 1. Dulz, Bullmannaue 11, 45327 Essen
Einen Tag zuvor hatten wir in einer landesweiten Presseerklärung des Flüchtlingsrates NRW (2) geäußert: „Von den Gütersloher Behörden erwarten wir Worte des Bedauerns. Statt dessen kein Versuch, das eigene Handeln auch nur ansatzweise zu hinterfragen." Hüseyin Dikec ist in diesem Jahr bereits der zweite Tote im Zusammenhang mit einem Besuch bei der Ausländerbehörde Kreis Gütersloh: David Mamedov nahm sich das Leben, weil er vom Ausländeramt mit der Rückkehr nach Georgien konfrontiert wurde. Es ist mehr als ein Skandal, dass dieses Amt nun die Aufenthaltsgenehmigung für die Witwe und ihre zwei Kindern widerrufen hat, sie zur Ausreise aufgefordert und ihnen die Abschiebung angedroht hat. Weil die Familie rechtmäßig 6 Jahre in Deutschland ist und Arbeitsverhältnisse gefunden hat und in die sozialen Verhältnisse der BRD weitgehend integriert ist und für den Fall der Ausreise das Grab des toten Vaters zurückgelassen werden müsste, ist es ausländerrechtlich unstrittig, ihnen einen Aufenthaltsstatus erteilen zu können. Doch der Kreis Gütersloh hält unerbittlich an der Ausreisaufforderung fest.
In einer Presseerklärung vom 05. August (2) hatten wir das Innenministerium NRW aufgefordert, eine unabhängige Untersuchung über das Vorgehen des Kreises Gütersloh, das im Zusammenhang mit der Selbsttötung von Hüseyin Dikec steht, einzuleiten. Wir bitten Sie und euch hiermit um entsprechende Briefe an das:
Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen Haroldstraße 5
40213 Düsseldorf
Fax: 0211 -8713355
e-mail: poststelle@im.nrw.de
Auch auf die in der Traueranzeige erbetenen Spenden sei noch einmal hingewiesen. Wir sind dabei einen „Flüchtlingsfonds OWL" über den Verein Friedensbüro e.V. einzurichten. Der Fonds soll Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten bei der Durchsetzung und der Verteidigung eines sicheren Aufenthalts unterstützen. Diese Unterstützung erfolgt durch die (teilweise) Übernahme von Kosten für Menschen in OWL, die von Ausweisung oder Abschiebung bedroht oder bereits betroffen sind und sich juristisch dagegen wehren wollen: Über die Satzung vom Friedensbüro e.V., Vergabekriterien und fachkompetente Mitglieder des Vergabeausschusses, die eine schnelle und zielgenaue Verteilung garantieren sollen, wird in Kürze ein Faltblatt ausführlich informieren. Steuerabzugsfähige Spenden sind bereits jetzt möglich:
Friedensbüro e.V. - Sparkasse Lemgo - BLZ: 482 501 10 - Konto-Nr.: 13 08 31 Stichwort: „Flüchtlingsfonds OWL"
Der Flüchtlingsfonds OWL beinhaltet selbstverständlich auch die medizinische Hilfe für Flüchtlinge. Mit der eingeschränkten oder oftmals fehlenden medizinische Versorgung von Menschen ohne gesicherten Aufenthalt werden wir in der Beratungspraxis immer stärker konfrontiert. Unter dem Motto „Menschenwürde ist unteilbar - Gesundheit für alle" streben wir eine regionale Vernetzung von Ärztinnen und Ärzten, Krankengymnastinnen und Krankengymnastinnen, Hebammen, Zahnärzten und -ärztinnen sowie Psychologinnen und Psychologen an. Unseres Wissens nach existiert eine solche Struktur innerhalb OWLs nur in Bielefeld (3).
Als besonders problematisch hat es sich in den letzten Monaten für uns erwiesen, dass professionelle Psychiaterinnen und Psychiater und Psychologinnen und Psychologen hinsichtlich der Erstellung von Gutachten für traumatisierte Flüchtlinge (posttraumatische Belastungsstörungen u.a.) in OWL oftmals ausgelastet und auch für „Notfälle" nicht erreichbar sind. Wir haben in dieser Zeit viele Fachärztinnen und -ärzte ohne entsprechende praktische Erfahrungen nach ihrer grundsätzlichen Bereitschaft angefragt. Wir haben mit einigen vereinbart einen Informationsabend im IBZ mit einem Mitglied des Arbeitskreises Interdisziplinäre Flüchtlingsarbeit aus Bielefeld zu veranstalten. Anfragen werden wir diesbezüglich Dr. med. Angelika Claußen. Wir bitten Sie und euch dieses Vorhaben bei evtl. bekannten Ärztinnen und Ärzten, die daran Interesse haben könnten, weiter zu leiten. Einen Termin werden wir sobald wie möglich bekannt geben.
(1) Gerade auch in Zeiten, in denen die Lippische Rundschau Artikel wie "Asylbewerber verspotten die hiesige Rechtsordnung" (Ausgabe von heute) verbreitet.
(2) Dokumentiert in www.hiergeblieben.de
(3) Medizinische Hilfe für Flüchtlinge
c/o IBZ - Internationales Begegnungszentrum
Teutoburger Straße 106
33607 Bielefeld Telefon: 0521 - 176711 Fax: 0521 - 5219040
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