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Schaumburger Zeitung , 19.05.2004 :

"Keine Selbstverteidigung am Hindukusch" / Grünen-MdB Winfried Nachtwei referiert bei der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik

Bückeburg/Minden (bus). Die Versicherung Winfried Nachtweis, er komme nicht als Regierungssprecher und schon gar nicht als verlängerter Arm des Verteidigungsministers, hat zunächst wenig Eindruck auf die Mitglieder der (GfW) gemacht. Nachdem der Sicherheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag gut zwei Stunden lang seine Standpunkte erläutert hatte, äußerte sich GfW-Vorsitzender Klaus Suchland indes überaus beeindruckt: "Wenn das von Ihnen Geschilderte grüne Politik ist, kann ich gut damit leben."

Der Vortrag über die "Transformation der Bundeswehr" hatte wesentlich weniger Interessierte ins Mindener Hotel "Bad Minden" gelockt als zu anderen GfW-Veranstaltungen. Kaum 70 Zuhörer verloren sich an den weiter als sonst auseinander gerückten Tischen. Weder die Erinnerung Suchlands an die Überparteilichkeit der Gesellschaft noch das Eingeständnis von Nachtwei, große Teile der Bündnisgrünen stünden "dem Militärischen sehr kritisch gegenüber", was sich aber seit der Übernahme der Mitverantwortung für die bundesdeutsche Verteidigungspolitik geändert habe, vermochten dem Aufeinantreffen von "Grün" und "Oliv" die spürbare Spannung zu nehmen.

Der Referent, der die Bundeswehr 1967 als Leutnant der Reserve verließ, mehr als 15 Jahre lang als Studienrat Geschichte und Sozialwissenschaften unterrichtete und seit 1980 in der Friedensbewegung aktiv ist, erwies sich als profunder und durchaus kritischer Kenner der Materie. Insbesondere seine an der Praxis orientierten Schilderungen – Nachtwei berichtete von mehreren Truppenbesuchen, unter anderem im Kosovo und in Afghanistan – und die Forderung nach einem möglichst umfassenden Konsens – "die unterschiedlichen politischen Lager müssen zu einem gemeinsamen Dialog finden" – ließen das Publikum aufhorchen.

Bei der Umgestaltung der Bundeswehr gehe es schlicht und ergreifend um die Frage, "wie wir in Zukunft mit Krieg und Frieden umgehen wollen", formulierte das Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages gewollt überspitzt. Im Idealfall sei die Transformation ohne Brüche, unter Beibehaltung der Integration in die Gesellschaft und bei qualitativer und quantitativer Gewährleistung des (Soldaten-)Nachwuchses zu vollziehen.

Nachtwei beleuchtete in seinen Ausführungen zahlreiche Detailaspekte sicherheitspolitischer Zusammenhänge. Eine seiner Kernaussagen fand die ungeteilte Zustimmung der Zuhörer: "Mittelfristig ist eine Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angriff nicht mehr akut. Die Hauptaufgabe der Bundeswehr wird die internationale Krisenverhütung und -bewältigung sein." Und auch seine Einschätzung, der erweiterte Verteidigungsbegriff sei "überaus missverständlich", stieß auf offene Ohren. Nachtwei: Sicher gehe es am Hindukusch auch um deutsche Sicherheitsinteressen. "Ganz und gar nicht geht es dort aber um existentielle nationale Selbstverteidigung, die keines Mandates der UN bedarf." Militärische Beiträge zur Krisenbewältigung müssten sowohl kollektiven als auch deutschen Sicherheitsinteressen dienen.

Mit der umgewandelten Bundeswehr werde die Bundesrepublik über ein "attraktives Angebot interventionsfähiger Kräfte" verfügen, das auch die Nachfrage steigen lassen werde. Soldaten fragten die Politiker zu Recht, wohin sie überall geschickt werden könnten. "Angesichts diffuser und sich schnell ändernder Risiken und Bedrohungen ist eine klare Antwort nicht möglich", gestand Nachtwei ein. Allerdings sei gerade wegen der zunehmenden Entgrenzung von Sicherheitspolitik und Militäreinsätzen eine Verständigung vonnöten.

In der sich anschließenden Diskussion fand der Grünen-Politiker mit eindeutigen Stellungnahmen den (sachten) Beifall des Auditoriums. "Wir wollen nicht, dass Deutschland zum globalen Militär-Dienstleister wird", unterstrich das MdB. Und an die in großer Zahl anwesenden Bundeswehrangehörigen gerichtet: "Wir benötigen, um die Zukunft planen zu können, von Ihnen vernünftige und vor allen Dingen ungeschminkte Antworten auf unsere Fragen." Ein zuvor geäußertes Kompliment –"die deutschen Streitkräfte leisten an ihren vielfältigen Einsatzorten eine hoch professionelle, enorm engagierte, äußerst wirksame und weltweit anerkannte Arbeit" – hatte der von Suchland als "wesentlich angriffslustiger" erwarteten Aussprache die Schärfe genommen. "Sie boten kaum Angriffsflächen", zollte der GfW-Chef dem Gast seine Anerkennung.


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