Lippische Landes-Zeitung ,
19.05.2004 :
Am Ende des 8. April stand der 25. Mai / Stadtverwaltung sieht keine Gestaltungsmöglichkeiten: Günay Muradova wird kommenden Dienstag abgeschoben
Von Stefan Derschum
Detmold/Bielefeld. Günay Muradova wird am kommenden Dienstag zusammen mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Geschwistern in Folge eines gescheiterten Asylantrags nach Aserbeidschan abgeschoben. Die derzeit in Bielefeld lebende 19-Jährige wird somit keine Möglichkeit mehr bekommen, durch einen Aufschub des Termins noch ihre Fachoberschulreife am Leopoldinum erfolgreich zu absolvieren. Lehrer, Schüler, aber auch die Detmolder Grünen und der Verein "Paulines Töchter" hatten die Detmolder Ausländerbehörde dahingehend kritisiert, dass sie unsensibel auf den Abschiebetermin 25. Mai beharre.
Am Montagabend (tagsüber waren am Leopoldinum mehr als 500 Unterschriften für Günay Muradova gesammelt worden) schien zumindest hinsichtlich der Möglichkeit eines Schulabschlusses noch einmal Hoffnung aufzukeimen. Von Seiten der Detmolder Stadtverwaltung hieß es, dass über eine juristische Lösung intensiv diskutiert werde. Diese Diskussion wurde gestern stundenlang - teils mit Beteiligung der Verwaltungsspitze - fortgesetzt, doch die zuständige Fachbereichsleiterin Annegret Sandbothe sagte am Nachmittag: "Wir haben den Sachverhalt unter rechtlichen und humanitären Gesichtspunkten geprüft. Es ist nichts an dem Termin für Günay Muradova zu ändern."
Annegret Sandbothe könnte die Begründung in einem Satz zusammenfassen: "Die Gestaltungsmöglichkeiten der Stadt waren am 8. April am Ende." Die weitere Stellungnahme erklärt den Termin als eine Grenze, hinter der es in Günay Muradovas Fall offenbar keine Alternativen zu einer Abschiebung am kommenden Dienstag - etwa sieben Wochen vor dem Ende des Schuljahres - gibt.
So seien für die betroffenen Personen, über deren Ausreiseverpflichtung das Verwaltungsgericht Minden rechtskräftig entschieden hatte, so genannte Passersatz-Papiere ausgestellt worden; befristet bis zum 28. Mai. Ende März habe das Detmolder Sozialamt die Familie Muradova schriftlich darum gebeten, spätestens bis zum 8. April in der Ausländerbehörde zu erscheinen, um die Gelegenheit zu einer freiwilligen Ausreiseerklärung wahrnehmen zu können. Auch die Anwältin der Familie sei über diese Frist informiert worden. Annegret Sandbothe: "Wäre die freiwillige Ausreise innerhalb der Frist glaubhaft dargestellt worden, wäre sicherlich auch ein großzügigerer Modus möglich gewesen." Wäre: Denn die Familie Muradova erschien nicht bei der Ausländerbehörde. Da die Abschiebung nach Aussage der Stadtverwaltung bis Ende der Gültigkeit der Passersatz-Papiere erfolgen muss, wurde das Verfahren am 9. April eingeleitet. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Stadt waren am 8. April am Ende gewesen.
Die Anwältin sei über die Frist informiert worden, berichtete also die städtische Fachbereichsleiterin gestern. Tags zuvor hatte Sabine Gräf von "Paulines Töchter" vermutet, dass die Familie der 19-Jährigen wohl auf Rat der Anwältin Mitte April nach Bielefeld umgezogen sei - "um das Verfahren noch herauszuzögern". Vielleicht sei der Rückführungstermin am 25. Mai eine direkte Reaktion auf diesen Umzug gewesen. "Und es hatte zur Folge, dass die Mutter dreier Kinder nun in Abschiebehaft sitzt", sagte Sabine Gräf gestern, die im Zusammenhang mit dem juristischen Beistand der Familie Muradova von "verpassten Terminen" und "falschen Ratschlägen" sprach. Tatsächlich bestätigte die Stadtverwaltung, dass die Mutter aufgrund des Umzugs festgenommen worden sei - "es musste davon ausgegangen werden, dass sie sich der Abschiebung entziehen wollte".
Die Anwältin und Prozessbevollmächtigte im Fall Muradova, Sermin Özel, wies gestern eine mögliche Verantwortung für die tragische Chronologie der Ereignisse von sich. Sie habe der Mutter keinen Umzug empfohlen, sondern während eines Gesprächs nur angedeutet, welche Ausländerbehörde in diesem Fall wahrscheinlich günstiger handeln würde: "Bielefeld".
Die Detmolder Juristin betonte ebenso: "Ich habe sie auch über die Bedeutung der Frist Anfang April ausführlich informiert, doch die Mutter wollte nicht wahrhaben, dass eine Abschiebung bevorsteht. Und ich konnte doch nicht für sie zur Ausländerbehörde gehen."
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