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Mindener Tageblatt , 17.05.2004 :

Späte Erinnerungen von zwei Überlebenden / Doppellesung aus den Werken von Hermine und Horst Schmidt / Als Zeugen Jehovas im Widerstand kennen gelernt

Von Stefan Koch

Minden (mt). Für eine Doppellesung zu zwei durch Verfolgung im NS-Staat miteinander verbundenen Biografien war am Samstag das Weserkolleg geöffnet: Die Eheleute Hermine (80) und Horst Schmidt (84) wurden als Zeugen Jehovas inhaftiert und hatten ihre Erinnerungen in Buchform herausgebracht.

Die Schmidts lernten sich 1942 in Danzig kennen. Unter dem Decknamen "Bubi" war Horst Schmidt in Dritten Reich im Widerstand aktiv, vervielfältigte und verteilte Publikationen der Zeugen Jehovas, die damals noch "Bibelforscher" hießen. Bei den Eltern seiner späteren Frau fand er Unterschlupf. Dafür wurden er und seine Gastfamilie von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhaftet.

"Der Tod kam immer montags" lautete nun der Titel der Erinnerungen von Horst Schmidt. Der Historiker Hans Hesse las am Samstag Passagen aus dem Werk des gebürtigen Lübbeckers, dessen Entstehung er als Herausgeber betreut hatte. Der Autor selbst konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein.

Schmidt schildert seine Festnahme im Haus seiner zukünftigen Schwiegereltern in Danzig, die Folterungen im Gestapo-Gefängnis und die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof, bei der er sich zusammen mit elf weiteren Mitgliedern seiner Glaubensgemeinschaft zu verantworten hatte. Nach 30 Minuten fällte der Volksrichter fünf Todesurteile - Schmidt war darunter.

Im "Vorzimmer des Todes", so das Buchkapitel zur weiteren Station im Gefängnis Brandenburg-Görden, war Schmidt mit einem Polen und einem Franzosen in der Todeszelle zusammengesperrt. Die Ausländer wurden noch kurz vor der Ankunft der Roten Armee geköpft - Schmidt überlebte und verließ den Ort an dem nun ein russischer Panzer "in der Aprilsonne glitzerte".

Hermine Schmidts Buch heißt "Die gerettete Freude". Sie las am Samstag ebenfalls aus ihrem Werk, das ihren Weg nach der Verhaftung in Danzig im Jahr 1942 beschreibt. Im Konzentrationslager Stutthof- Danzig musste die damals 18-Jährige nackt vor den Augen der SS-Leute duschen - sie erhielt eine Schnitte Brot als Tagesration. Wegen der herannahenden Front wurden die Lagerinsassen auf dem Seeweg verlegt. Typhus und andere Seuchen grassierten unter den in einem Kahn Eingeschlossenen. Wer "tot oder halb tot" war, wurde ins Meer geworfen. Nach Havarien auf der Ostsee krochen die Überlebenden schließlich auf der dänischen Insel Mn in die Freiheit.

Ihre ersten vier Ehejahre verbrachten die Schmidts ab 1947 in Lübbecke und zogen dann ins Ruhrgebiet. 50 Jahre nach seiner Inhaftierung erhielt Horst Schmidt den Abschiedsbrief seiner Adoptivmutter Emmy Zehden, die 1944 in Berlin- Plötzensee hingerichtet wurde, da sie als Zeugin Jehovas drei Kriegsdienstverweigerern geholfen hatte. Der Adoptivvater wurde wegen seiner jüdischen Abstammung in Auschwitz ermordet.

Im gut besuchten Vortragssaal des Weserkollegs war am Samstag auch eine Mitarbeiterin des Stadtarchivs Lübbecke, um sich über das Schicksal Emmy Zehdens zu informieren. Bereits in Berlin wurde eine Straße nach der in Lübbecke geborenen benannt. Nun laufen in ihrer Heimtstadt Bestrebungen, ein Gleiches zu tun.

Eine Straßenbenennung in Minden war übrigens auch der Anlass der Lesung, zu der die Zeugen Jehovas eingeladen hatten. Seit mehreren Jahren versuchen die Glaubensgemeinschaft und ein nicht-konfessioneller Unterstützerkreis, die Benennung einer Straße nach Heinrich Kurlbaum am Simeonsplatz zu erwirken. Letzterer wurde in Rothenuffeln geboren, hatte sich als Wehrmachtssoldat dem Befehl des Waffengebrauchs an der Front widersetzt und wurde wegen Wehrkraftzersetzung vor 60 Jahren hingerichtet. Mitte vergangener Woche hatte der Bauausschuss der Stadt Minden als Ort für den Namen einen Weg an der Bastau benannt. Den Beschluss für eine entsprechende Empfehlung an den Rat verschob das Gremium auf eine seiner nächsten Sitzungen.


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