Schaumburger Zeitung ,
17.01.2009 :
Horst Wessel und das Land seiner Ahnen / Denkmalstandortfrage löst regionalen Zwist aus
Von Wilhelm Gerntrup
Hier hat er als Kind und Jüngling die Tiefe des Gemüts, die in seinen Kampfliedern zum Ausdruck kommt, aus dem Boden der alten Stammheit geholt", war vor 75 Jahren in der Schaumburger Zeitung zu lesen. Mit dem "tiefmütigen" Jüngling war Horst Wessel, mit dem "Boden der alten Stammheit" die Gegend um Hessisch Oldendorf gemeint.
Hintergrund der mit großem Stolz und hehrem Pathos verfassten Meldung: Anfang 1933, wenige Monate vor dem Erscheinen des Artikels, hatten Hitler und seine NSDAP die Macht im Reich übernommen. Das Gros der Volksgenossen sah tatenlos zu. Viele biederten sich an. Besonders stolz durfte sein, wer eine verwandtschaftliche oder landsmannschaftliche Nähe zum Regime vorweisen konnte.
Auch in der heimischen Region durchkämmte man hoffnungsfroh die Archive. In Hessisch Oldendorf wurden die Ahnenforscher fündig. Nach den Recherchen hatte einst ein Bahnhofswirt namens Georg Wessel in der Stadt gelebt - der Großvater des berühmten SA-Führers Horst Wessel. Horst Wessel galt spätestens seit der NS-Machtübernahme als Volksheld und "nationalsozialistischer Messias". Seine Lebensgeschichte und vor allem sein "Horst-Wessel-Lied" kannte jedes Kind.
Horst Wessel war 1907 in Bielefeld geboren worden. Sein Vater war der Pfarrer Wilhelm Wessel, der, wie bereits erwähnt, aus dem Schaumburger Land kam und in Hessisch Oldendorf zur Schule gegangen war. Auch Sohn Horst soll sich später - als Gast der Großeltern während der Schulferien - gern und oft dort aufgehalten haben.
Seit 1913 lebte Pfarrer Wilhelm Wessel mit seiner Familie in Berlin. 1923 trat der damals 17-jährige Sohn Horst dem rechtskonservativen Bismarck-Bund und nach dessen Verbot der NSDAP-Sturmabteilung (SA) bei. Wegen seiner Talente als Organisator und Redner gehörte er schon bald zu den bekanntesten und berüchtigtsten Vorkämpfern der Hitler-Bewegung in der Reichshauptstadt. Schlägereien mit KPD- und SPD-Anhängern waren an der Tagesordnung.
1929 veröffentlichte das Berliner NSDAP-Parteiblatt ein Lied, das Wessels Kampfbrigaden bei ihren Straßenaufmärschen anzustimmen pflegten und das mittlerweile eine Art "Gassenhauer" geworden war. Den Text hatte Wessel verfasst. Herkunft und Ursprung der Melodie sind bis heute nicht klar. Der Titel des Gesangs: "Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen!" Der eingängige Marsch war schon bald deutschlandweit bekannt und wurde später von den NS-Ideologen zur zweiten deutschen Nationalhymne erklärt.
Wessel kam Anfang 1930 bei Auseinandersetzungen mit KPD-Anhängern ums Leben. Der gewaltsame Tod des gerade mal 23-Jährigen wurde vom damaligen Berliner Gauleiter und späteren Reichspropagandaminister Goebbels nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet und der Jungradikale zum "Blutzeugen der Bewegung" hochstilisiert. Das Ganze mündete in einen regelrechten Kult. Sofort nach der Machtergreifung wurden reichsweit unzählige Straßen (u. a. auch in Rinteln), Plätze, Schulen und ein Segelschulschiff nach dem früh verstorbenen Straßenkämpfer benannt.
Auch in der heimischen Region ging das "Horst-Wessel-Fieber" um. Am heftigsten schlug das Thermometer in der damals noch zur Grafschaft Schaumburg gehörenden Stadt Hessisch Oldendorf aus. Nicht nur die örtlichen NSDAP-Anhänger wiesen oft und gern auf Stammbaum und Herkunft des jungen Helden hin. "Hier in diesen Bauerngeschlechtern der Grafschaft Schaumburg" und "in dieser durch den Schweiß der Ahnen gedüngten Erde" liege seine Tatkraft begründet, schrieb Ende Juni 1933 die im hiesigen Weserraum meistgelesene Schaumburger Zeitung. Wenn es den Jüngling zwischendurch immer wieder zu den Großeltern gezogen habe, "so lag das wohl daran, dass er im Lande seiner Ahnen die Wurzeln seiner inneren Kraft verspürte".
Kein Wunder, dass man in Oldendorf, aber auch in Rinteln, zunächst geradezu begeistert auf die Meldung aus Berlin reagierte, wonach NSDAP- und SA-Führung den Bau eines nationalen Ehrenmals für Wessel planten. Als "einzig richtiger" Platz komme der nördlich der Stadt gelegene Amelungsberg infrage, forderte die Schaumburger Zeitung.
Doch da waren die Würfel bereits zugunsten eines anderen Standorts gefallen. Grund: Parallel zur Planung des Wessel-Denkmals hatte man in Berlin mit der Vorbereitung des ersten, für Anfang Oktober 1933 vorgesehenen "Reichserntedankfestes" auf dem Bückeberg bei Hameln begonnen. Da schien es den NS-Oberen erfolgversprechender, beide Vorhaben propagandistisch miteinander zu verknüpfen. Als Bauplatz für das neue Wessel-Ehrenmal wurde deshalb eine Stelle im Süntel in Sichtweite des Bückeberg-Aufmarschgeländes ausgewählt. Auf diese Weise könnten die Reichserntedankfest-Besucher dem jungen, in Stein gemeißelten Helden auf der anderen Seite des Tales huldigen, so die Idee.
Im Kreis Rinteln war man sauer, in Hameln dagegen begeistert. Den Anspruch der Oldendorfer konterten die Leute aus der Rattenfänger-Stadt mit dem Hinweis, dass die ersten Vorfahren der Wessel-Dynastie ohnehin in Dehrenberg (heute Ortsteil von Aerzen) ansässig gewesen seien. "Der Kreis Hameln ist nun einmal die Urheimat des Dichters, sodass er mit Recht allein den ersten Anspruch auf den Besitz des National-Ehrenmal erheben kann", war Anfang Juli 1933 der örtlichen Zeitung "Weser-Echo" zu vernehmen.
Der erste Denkmalentwurf sah ein gigantisches Monumentalbauwerk vor. Später wurden die Pläne immer kleiner. Die Ideenpalette reichte von Aussichtsturm mit Freilichtbühne bis hin zum festungsartigen Natursteinbunker. Zur Ausführung kam schließlich sechs Jahre später ein vergleichsweise schlichtes Modell: Eine quadratische, zwölf Meter hohe Sandsteinsäule, auf deren Spitze ein stählernes Hakenkreuz thronte. Offiziell war von einer "vorläufigen" Lösung die Rede. Tatsächlich aber hatte das Mahnmal für die Machthaber angesichts des kurz bevorstehenden Krieges seine propagandistische Bedeutung verloren.
Auch das Reichserntedankfest war bereits (1938) ad acta gelegt worden. Entsprechend glanzlos ging die Einweihung des Wessel-Denkmal-Provisoriums im Februar 1939über die Bühne. Zur Zeremonie auf der Süntel-Anhöhe waren fast ausschließlich regionale SA-Kader aufmarschiert. "Dieser Gedenkstein wird stets ein lebendiges Fanal sein für den Kampf des deutschen Volkes", gab sich Landrat und SA-Oberführer Lambert aus Hameln optimistisch. "Und voran auf diesem Weg marschiert der tote Sturmführer Horst Wessel." Die Prophezeiung sollte sich schon bald als kläglich-katastrophaler Irrtum erweisen. Sechs Jahre später, im April 1945, wurde die Anlage von den alliierten Siegermächten gesprengt.
Heute kann man - bei genauem Hinsehen - nur noch einige der mittlerweile starküberwucherten Säulentrümmer erkennen. Die noch brauchbaren Sockelsteine wurden schon vor langer Zeit von den umliegenden Häuslebauern verwertet, das Hakenkreuz als Eisenschrott verkauft. Auch sonst ist der einst so hoch gelobte Horst Wessel - auch im Land seiner Ahnen - in Vergessenheit geraten.
17./18.01.2009
salzuflen@lz-online.de
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