Neue Westfälische ,
14.05.2004 :
Keine ruhige Minute / Smyrek-Familie unter Dauerbewachung
Von Stefan Derschum
Detmold. Das Leben der Detmolder Familie Sievert ist nicht mehr das Leben, das sie bis zu dem 30. Januar dieses Jahres führte. Der Alltag von Sonja und Uwe Sievert und ihrer Tochter ist ein Dauerzustand der Observation geworden. Staatsschützer aus Bielefeld, SEK- und MEK-Beamte lassen die Familie nicht aus den Augen, seitdem Sonja Sieverts Bruder bei ihr wohnt: Steven Smyrek.
Smyrek ist Islam-Konvertit, bekennender Hisbollah-Aktivist und kam Ende Januar nach sechs Jahren Haft im Zuge eines spektakulären Gefangenenaustausches mit Israel nach Deutschland (wir berichteten). Uwe Sievert sieht müde aus. Doch die Klage, die der 36-jährige Familienvater anstimmt, handelt nicht von alltäglichen Sorgen. "So können wir kaum noch weiterleben", sagt er. Seine Familie könne keinen Schritt mehr vor die Tür gehen, ohne von Polizeibeamten verfolgt zu werden. Begonnen hat dieser Zustand mit einem Anruf des Staatsschutzes. "Sie sagten, dass Smyrek freigelassen worden sei, und dass er bei uns in Detmold bleiben wolle", erinnert sich der Schwager des 33-Jährigen.
Er sei zunächst dagegen gewesen - "weil Steven ja immer Probleme hatte und Mist baute". Doch dann habe er sich überreden lassen - und hat einen Verdacht: "Unser Haus ist frei stehend. Es ist einfach besser zu überwachen." Ein Nachbar habe berichtet, dass Beamte nach der Möglichkeit gefragt hätten, Kameras bei ihm aufzustellen. Sievert: "Der hat abgelehnt, aber woanders stehen sie sicher."
Die Detmolder Familie fürchtet nun einen Dauerzustand im Visier der Polizei. Als Uwe Sievert diesen Zustand beschreibt, erzählt er von Pkw-Kolonnen, die ihn verfolgten, von den immer gleichen Gesichtern, die er während seiner Einkäufe sehe, von Kameras, sogar von Streitigkeiten mit den Nachbarn wegen der laufenden Motoren der Beamten-Fahrzeuge. Am Samstag sei die Situation eskaliert, sagt Uwe Sievert. "Ich bin nur mit meiner Tochter - ohne Steven - zu meinen Eltern gefahren. Da sind uns vier, fünf Autos gefolgt, und es ist zu einem Streit mit den Beamten gekommen." "Ich kann nicht ausschließen, dass es auch mal zu einem Konflikt kommt", erklärt Ulrich Buchalls, Kommissariatsleiter beim Bielefelder Staatsschutz, und bedauert: "Es ist natürlich misslich, dass auch unbescholtene Bürger betroffen sind, aber was sollen wir tun?"
Der angebliche Islamist hat nicht mal einen Koran
Gefragt nach einem Ende des Einsatzes, antwortet Buchalls: "Zwischen Land und Bund muss eine Entscheidung getroffen werden. Wir warten auf diese Entscheidung, aber bislang ist nichts gekommen." Andererseits habe Steven Smyrek mit seinem Bekenntnis zum Terrorismus die Lage selbst verschuldet.
Uwe Sievert, der seit mehr als drei Monaten mit Smyrek zusammenlebt, glaubt nicht an dessen Gefährlichkeit. Seine Äußerungen seien im Fernsehen verfälscht worden. Dann wiederholt der Schwager die Frage: "Gefährlich?" Als Antwort schallt ein gespieltes Lachen. "Für Steven ist es nur schön, beachtet zu werden. Er hat sich fast nie politisch geäußert." Auch bete er nicht und besitze keinen Koran. Sievert hofft nur noch auf Normalität und beschreibt seine Horrorvorstellung: "Ich dreh mich im Bett um, und ein Beamter blickt mich an."
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