www.hiergeblieben.de

WebWecker Bielefeld , 12.05.2004 :

Wer bestimmt das Selbst beim Sterben?

Die Befürworter der aktiven Sterbehilfe gewinnen europaweit an Boden. Unter ihnen die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben". Ein Überblick.

Von Manfred Horn

Eine Mutter kam in Frankreich dem Wunsch ihres 21-jährigen Sohnes nach Sterbehilfe nach. Der war seit einem Verkehrsunfall querschnittsgelähmt und wollte unbedingt sterben. Oder die Ärztin aus Hannover, die auf Verlangen von Krebspatienten "indirekte Sterbehilfe" geleistet haben will. In den Medien tauchen immer wieder Schicksale auf, wo Menschen gegen bestehendes Recht getötet werden wollen oder getötet wurden, weil sie das Leben nicht länger ertragen.

In Deutschland, wie in den meisten anderen europäischen Staaten auch, ist aktive Sterbehilfe gesetzlich untersagt. In der Bundesrepublik kann Sterbehilfe mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Doch die Versuche, den juristischen Status Quo zu ändern, reißen nicht ab. Die einzige Form von Sterbehilfe, die geduldet wird, ist die "passive Sterbehilfe": hierbei wird bei Schwerstkranken auf lebensverlängernde medizinische Maßnahmen verzichtet oder im Endstadium einer tödlichen Krankheit werden Schmerzmittel verabreicht, die eine Verkürzung des Lebens zur Folge haben.

In jüngster Zeit erreichten die Befürworter von aktiver Sterbehilfe, als dem bewussten Töten eines Menschen auf dessen Verlangen hin, auf europäischer Ebene Erfolge. So ist Sterbehilfe inzwischen unter bestimmten Umständen in der Schweiz, Belgien und den Niederlanden legal. Im Europarat sorgte der Schweizer liberale Abgeordnete Dick Marty vor zwei Wochen für Aufruhr. Niemand habe das Recht, schwer leidende oder kranke Menschen in der "letzten Phase zum Leben zu zwingen", erklärte Marty und forderte einen gesetzlichen Rahmen für Sterbehilfe. Über seinen Bericht wurde nicht abgestimmt, der EU-Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Familienangelegenheiten hat nun ein Jahr Zeit, einen neuen Text zu entwerfen.

Anfang April hieß es, eine Gruppe Bundestagsabgeordneter aus den Fraktionen SPD, Grüne und FDP wolle eine Gesetzesinitiative zur Legalisierung der Sterbehilfe in Deutschland auf den Weg bringen. Der Gesetzesantrag mit dem Titel "Gesetz zur Autonomie am Lebensende" wurde vom SPD-Abgeordneten Rolf Stöckel initiiert. Doch die 31 Abgeordneten, die nötig sind, um einen Antrag in den Bundestag einzubringen, kamen nicht zusammen. Auch hagelte es Kritik aus den Reihen aller Parteien.

Der Rahmen deutet Richtung Sterbehilfe

In die Chronologie der Ereignisse und in den Gesamtrahmen, in dem die Debatte heute stattfindet, passt auch, dass die Umverteilung der sozialen Besitz- und Nichtbesitzstände in vollem Gange ist. Dies regelt momentan die rot-grüne Bundesregierung. Aber auch die CDU/FDP würde, könnte sie nur: Ihr fehlt allerdings die Regierungsmacht, sie beteiligt sich aber durch eigene, noch radikalere Sparvorschläge und durch ihr Gewicht im Bundesrat.

In der Debatte um die Gesundheitsreform forderte der Junge-Union Bundesvorsitzende Philipp Mißfelder im Sommer 2003, verschiedene medizinische Leistungen für ältere Menschen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse zu streichen. Zwar distanzierte sich die CDU von dieser Äußerung. Die Debatten um Gesundheitsversorgung und Rente zeigen aber, dass ein Entsolidarisierungsschlachtfeld zwischen den Generationen Jung und Alt aufgemacht worden ist.

Wo die Kosten steigen und der Staat nicht mehr weiß, wie er zukünftig die Alten finanziell versorgen soll, liegen Überlegungen nahe, die Spanne des Altseins als Zeitraum des Empfangs finanzieller Mittel vom Staat zu reduzieren: Zum einen wird das Renteneintrittsalter erhöht, zum anderen scheint überlegenswert, dass das Leben eines Einzelnen nicht um jeden Preis maximal lang sein muss. Die Kluft zwischen dem, was heute medizinisch möglich ist und dem, was die gesetzlichen Krankenkassen noch bezahlen können, wird zunehmend größer. Diese kalte Rationalität als treibendes Moment ist auf staatlicher Ebene auch in der Debatte um die Sterbehilfe nicht zu unterschätzen.

DGHS: Sterbehilfe dringendes Bedürfnis

Die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben" (DGHS) befürwortet Sterbehilfe vehement. Zu der Initiative des Bundestagsabgeordneten Stöckel urteilte die Gesellschaft: "Endlich und begrüßenswerter Weise hat sich eine Gruppe der demokratisch legitimierten Vertretern der Bürgerschaft eines dringenden Bedürfnisses der von ihr zu Vertretenen angenommen: nämlich der vielfältig belegten mehrheitlichen Forderung, das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende ungeachtet der permanenten ideologischen Entmündigungsversuche und gegenüber Schönredereien zu erhalten und abzusichern". Die Gesetzesinitiative sei ein Schritt in die richtige Richtung, eine juristische Regelung der Sterbehilfe ein "weit verbreitetes Bedürfnis der Bevölkerung".

Die DGHS mit nach eigenen Angaben knapp 40 000 Mitgliedern setzt sich bereits seit 1980 für das Recht auf ein "selbstbestimmtes Sterben" ein. Sie versteht sich als Bürgerrechtsbewegung. Inzwischen versucht sie sich ein sauberes Image zu geben, selbst die Internetseiten des ZDF verlinken auf die DGHS. Die DGHS jedoch hat eine zwielichtige Geschichte. In einem 1982 veröffentlichten Artikel von Daniel Meynen in der DGHS-Zeitschrift hieß es: "Pflicht zur Selbsttötung bestünde dann, wenn durch mein Fortleben Unselbstständigkeit, Elend, Isolation, Uniformität, Unfruchtbarkeit, Unheilbarkeit, Lähmung, Schmerz, Unempfindlichkeit, Schande, Wahn, Sünde zum Maßstab der Menschlichkeit erhoben zu werden drohte und mein Suizid die einzige mir zugängliche Möglichkeit darstellte, dies zu verhindern". Sie verschickte auch sogenannte "Freitodanleitungen" an die Mitglieder.

Zyankali oder Erstickungstüten zum Selbsttöten

Der ehemalige DGHS-Vorsitzende Hans Atrott lieferte dem Arzt Julius Hackethal 1984 das Zyankali, mit dem der einen Krebspatienten in den vom ihm gewünschten Tod schickte. Einer der ersten Fälle von Sterbehilfe in der Bundesrepublik, der breit durch die Medien ging. In den folgenden Jahren verkaufte Atrott weiter illegal Zyankali, bis er 1994 vom Augsburger Landgericht wegen dieses Verkauf und Steuerhinterziehung aus den Verkaufsgewinnen verurteilt wurde. Ende der 1990er Jahre wurde ein weiterer Mitarbeiter der DGHS verhaftet und schließlich zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte als Neffe getarnt eine pflegebedürftige Faru aus dem Pflegeheim geholt und ihr einen sogenannten Exit-Beutel, ein Erstickungsbeutel, übergeben und dafür rund 2.000 Euro kassiert. Der Plastikbeutel war zuvor in verschiedenen Ausgaben der DGHS-Mitgliederzeitung angeboten worden.

Die Methode der Sterbehilfe-Befürworter ist immer die gleiche: Sie zerren einzelne Fälle an das Licht der Öffentlichkeit. Dort werden Menschen dargestellt, die unbedingt sterben wollen, weil sie die Schmerzen nicht mehr ertragen. Daraus leiten die Befürworter ab, dass alle Menschen das Recht haben müssen, den Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen. Die DGHS beispielsweise setzt sogar noch eins obendrauf: Diese Selbstbestimmung sei sogar der Wunsch der Bevölkerungsmehrheit.

Dies belegte sie mittels einer beim Institut Forsa in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2000: Demnach sprachen sich über 80 Prozent der Befragten für Sterbehilfe aus. Für ein Gesetz, das regelt, unter welchen Bedingungen Sterbehilfe geleistet werden darf, sprachen sich 71 Prozent der gut 1.000 Befragten aus. Die &rsaquoDeutsche Hospizstiftung‹ zweifelt die Ergebnisse allerdings an: Das Ergebnis sei wegen der Missverständlichkeit des Begriffs "Sterbehilfe äußerst fragwürdig" und wird von der Deutschen Hospiz Stiftung angezweifelt. Nach aktiver Sterbehilfe sei gar nicht gefragt worden.

Selbstbestimmt oder fremdbestimmt?

Unbestritten gibt es Menschen, die gerne sterben möchten, denen aber eine adäquate Sterbehilfe fehlt oder die nicht in der Lage sind, sich selbst zu töten. Doch aus diesen subjektiven Leidensgeschichten ein Gesetz zu gießen, dass Sterbehilfe zulässt, wäre ein Dammbruch, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Eine aktuelle Studie aus den Niederlanden, wo Sterbehilfe seit 2002 legal ist, zeigt, dass dort inzwischen jedes Jahr 900 Menschen getötet werden, obwohl sie dies gar nicht verlangt haben. Eine anonyme Befragung unter Ärzten in den Niederlanden ergab, dass in 38 Prozent der Fälle die Angehörigen die Sterbehilfe wollten, in weiteren 30 Prozent der Fälle wurde den Kranken einfach ein Wunsch nach Sterbehilfe unterstellt. Würde das Sterbehilfe-Modell der Niederlande auf die Europäische Union ausgeweitet, würden jährlich 24.000 Menschen gegen ihren Willen getötet, rechnet die Deutsche Hospizstiftung vor.

Denn kein Gesetz kann garantieren, dass der Tötungswunsch auch wirklich von demjenigen kommt, der dann später getötet wird: Angefangen von Verwandten, die die Pflege nicht mehr leisten können oder wollen, oder schlicht die Erbschaft einstreichen wollen bis hin zu Ärzten, die die Euthansie dem Kranken empfehlen bis hin zu einem gesellschaftlichen Klima, wo die Alten den Druck spüren, doch besser zum Wohle der Anderen aus dem Leben zu scheiden. Auch eine unterschriebene Patientenverfügung bietet da keine Garantie.

Hinzu kommen Hunderttausende von Menschen, die gar nicht in der Lage sind, eine derartige Frage zu beantworten: Sie sind verwirrt, psychisch krank oder geistig behindert. In diesen Fällen würden dann immer Angehörige oder Ärzte über Leben und Tod entscheiden. Kurz: Ein selbstbestimmte Entscheidung über Leben und Tod ist in vielen Fällen nicht gewährleistet und wäre auch durch ein entsprechendes Gesetz nicht zu gewährleisten. Aus kategorischen Gründen bleibt nur ein deutliches Nein zur Legalisierung der Sterbehilfe.

Es gibt Stimmen, die statt aktiver Sterbehilfe eine Stärkung der Palliativmedizin und der Hospize fordern. Palliativmedizin will dem Patienten die Lebenszufriedenheit erhalten, wenn keine Heilung mehr möglich ist. Im Gegensatz dazu befindet sich der kurative Ansatz, bei dem das aktuelle Wohlbefinden dem Ziel des Heilens untergeordnet wird.

Ursprünglich für Patienten mit Tumorerkrankung entwickelt, hat sich das Konzept ausgeweitet: Es findet inzwischen potenziell bei allen Kranken Anwendung, die definitiv bald an ihrer Krankheit sterben werden. Die Palliativmedizin, neudeutsch auch: Palleative Care, stellt die Linderung von Schmerzen und anderen Beschwerden in den Vordergrund und bietet ein System der Unterstützung an, damit das Leben der Patienten bis zum Tod so aktiv wie möglich sein kann.

Palliativmedizin wird heute vor allem in Hospizen angewandt. Immer mehr Hospize entstehen in Deutschland: Doch es fehlt Geld, bis heute erhalten nur gut zwei Prozent aller Sterbenden in der Bundesrepublik professionelle Sterbebegleitung. Die DGHS wettert: Hospize würden zu einer "Idealisierung, ja Idyllisierung des Sterbens, die an einen totalen Heil-Anspruch des Sterbetherapeuten erinnert", neigen.

In Bielefeld arbeiten zur Zeit vier stationäre Hospize oder Pallativstationen. Die heutige Hospizbewegung will eine "Herberge", so die Übersetzung von Hospiz, für sterbenskranke Menschen sein. 95 Prozent der Bevölkerung äußern den Wunsch, zu Hause sterben zu wollen – tatsächlich sterben um die 70 Prozent in Institutionen des Gesundheitswesens wie Krankenhäusern und Pflegeheimen. Ziel der Hospizbewegung ist es, das Leiden Sterbenskranker zu lindern, ihnen das Verbleiben in der vertrauten Umgebung zu ermöglichen und auch den Angehörigen beizustehen. Hospizarbeit ist ambulante oder stationäre Sterbebegleitung. Hospizhelfer stehen gemeinsam mit Medizinern, Pflegekräften, Sozialarbeitern und Theologen sterbenskranken Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt zur Seite.

In den nächsten Tagen wird eine von Bundesjustizministerin Zypries eingesetzte Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse zum Thema Patientenverfügung vorlegen. Dann könnte es in die nächste Runde der Diskussion um Sterbehilfe gehen: Kritiker befürchten, dass eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen ein Vehikel zur Einführung der aktiven Sterbehilfe sein könnte.

Der ehemalige DGHS-Vorsitzende Atrott hat inzwischen eigene Internetseiten: http://www.atrott.freeservers.com/. Hier ein Zitat: "Die deutschen Regierungen, die deutschen Medien – welche nur den verlängerten Arm des herrschenden Establishment repräsentieren – haben an Hand der Sterbehilfe ihre besonders devote und kompetente Fähigkeit erwiesen, Jud’-Süß-Kampagnen als christliche Roboter für ihre Programmierer nach wie vor auszuführen. Die Deutschen erweisen einmal mehr, dass sie als besonders gut dressierte christliche Bestien nach wie vor eine Gefahr für die Menschheit darstellen".

Die DGHS im Netz: http://www.dghs.de

Die Umfrage der deutschen Hospizstiftung im Netz: http://www.hospize.de/texte/emnid2000.htm

Weitere Infos: http://www.hospize.net

Eine grundsätzliche Diskussion über Sterbehilfe führten die Philosophen Dieter Birnbacher und Anselm W. Müller. Das Gespräch wurde moderiert von Rüdiger Bittner, Philosophieprofessor an der Universität Bielefeld. In dem Gespräch geht es um die Definition und Grenzen von Sterbehilfe. Nachzulesen unter: http://www.information-philosophie.de/philosophie/sterbehilfe.html

Hospize in Bielefeld:

Palliativstation Ev. Johanneswerk Med. Klinik II
Schildescher Str. 99
33611 Bielefeld
fon:0521-80102
http://www.johanneswerk.de

Stationäres Hospiz Haus Zuversicht
Bethelweg 25
33617 Bielefeld
fon: 0521-1446180
hospiz-bethel@t-online.de
http://www.hospiz-bethel.de

Ambulant:

Hospizarbeit im Ev. Johanneswerk e.V.
Schildescher Straße 101
33611 Bielefeld
fon: 0521-8012660
hospizarbeit@Johanneswerk.de
http://www.johanneswerk.de

Hospiz e.V. Bethel Ambulanter Hospizdienst
Bethelweg 39
33617 Bielefeld
fon: 0521-1444244
info@hospiz-ev-bethel.de
http://www.hospiz-ev-bethel.de


webwecker@aulbi.de

zurück