WebWecker Bielefeld ,
26.11.2003 :
Braune Bücher in der Unibibliothek
Gerade erst hat sich die Universität Bielefeld in der Diskussion um das Buch "Jüdischer Bolschewismus" von Johannes Rogalla von Bieberstein von den darin vertretenen Thesen distanziert. Jetzt droht neues Ungemach. "Jüdischer Bolschewismus" ist nur eines von vielen Büchern aus der rechten Ecke, die in der Universitätsbibliothek in den Regalen stehen.
Von Mario A. Sarcletti
"Mir ist schon immer aufgefallen, dass die Literatur der Neuen Rechten in der Universitätsbibliothek Bielefeld gut vertreten war." Das sagte der Soziologe Lutz Hoffmann in der vergangenen Woche im Webwecker-Interview. Er ist nicht der einzige, der auf überdurchschnittlich viele Bücher aus der rechtsextremen Ecke gestoßen ist. Auch der Soziologiestudent Georg Hain (Name geändert) ist über einige braune Bücher gestolpert.
Zum Beweis zeigt Hain das Buch "Der deutsche Aderlaß" von Claus Nordbruch, das der Autor den "deutschen Frauen und Mädchen" gewidmet hat. In dem fordert der Autor "Wiedergutmachung für Deutschland und Entschädigung für Deutsche", so der Untertitel des Buches. Gefunden hat Hain das Buch in der Fakultät für Geschichtswissenschaft. Erschienen ist es 2001 im Grabert Verlag, der im Verfassungsschutz-Bericht 2002 als einer der vier "größeren organisationsunabhängigen Verlagen" erwähnt wird. "Diese bereits seit Jahren bestehenden Unternehmen verfügen innerhalb des rechtsextremistischen Lagers und darüber hinaus über einen hohen Bekanntheitsgrad und einen festen Kundenstamm", stellt der Verfassungsschutz fest.
Zu diesem Kundenstamm gehört auch die Universitätsbibliothek Bielefeld. Sucht man im Bibliothekskatalog nach dem Verlag, finden sich 49 Einträge, darunter Titel wie "Der Auschwitz-Mythos" und die "Veröffentlichungen der Thule-Gesellschaft". Die meisten Bücher sind frei zugänglich und können ganz normal entliehen werden. Aber nicht nur der Grabert-Verlag ist in der Universität gut vertreten. Aus dem DSZ-Verlag des Gerhard Frey gibt es den "Deutschen National-Atlas: Schwerpunkte deutscher Geschichte im Kartenbild" oder das Buch "Asylbetrug und Überfremdung".
Auch ein Werk aus dem Verlag von Thies Christophersen steht in einem Regal der Bibliothek, genauer im Fachbereich Soziologie. Christophersen wurde mehrfach wegen NS-Propaganda, Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt. Das in der Universitäts-Bibliothek zu findende Machwerk trägt den Titel "Ist Rassenbewusstsein verwerflich?".Es wurde im übrigen 1986 nachgekauft, nachdem das erste Exemplar verschwunden war. Autor des Buches, das die rhetorische Frage des Titels bereits auf der ersten Seite mit den Worten "Ich bin ein Rassist" beantwortet, ist Gaston Amaudruz, der den Vertrieb von Christophersens Buch "Die Auschwitz-Lüge" organisierte.
Der Rektor der Universität, Dieter Timmermann, hat nichts dagegen, dass solche Bücher in der Uni-Bibliothek stehen: "Ich kann mir vorstellen, dass Wissenschaftler über solche Bücher und auch mit Hilfe solcher Bücher forschen um bestimmte Ideologien zu entlarven oder sie als Beispiele benutzen um etwas zu demonstrieren", erklärt Timmermann, warum es auch für Neonazi-Literatur eine Berechtigung in einer Universitätsbibliothek gibt. "Es gibt aber natürlich auch Bücher, die gewisse Grenzen überschreiten, und deshalb auf den Index kommen. Die sollten wir, sofern wir sie haben, in den Giftschrank stellen und nur ganz gezielt Wissenschaftlern zugänglich machen, die glaubwürdig forschen wollen. Man sollte sie nicht allen zugänglich machen." Einige Bücher, wie "Mein Kampf", stehen in der Uni bereits in diesem Giftschrank, es kann nur auf Anforderung im Lesesaal eingesehen jedoch nicht ausgeliehen werden. Das gilt jedoch nicht für die kommentierten oder gekürzten Ausgaben.
Dieser Schrank dürfte demnächst voller werden, zumindest ein bisschen. Zum Beispiel könnte da das Buch von Amaudruz landen, wenn es den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. "Solche Bücher müssen aus dem Verkehr gezogen werden", erklärt Dieter Timmermann. Ansonsten möchte er das Problem aber "nicht sehr restriktiv handhaben. Wir sollten davon ausgehen, dass die Leute, die in die Universität kommen, mündige Bürger sind und selbst entscheiden können, was der Gehalt eines Buches und die Ideologie dahinter ist", gibt er die Richtung vor.
Die Problematik rechtsextremer Literatur wird von den deutschen Universitätsbibliotheken unterschiedlich gehandhabt. Während die Humboldt-Universität in Berlin diese wie die Bielefelder Uni im normalen Bestand hat, ist sie bei der Freien Universität unter Verschluss. Genauso wie in der Bibliothek der Universität Köln, die insgesamt eine striktere Linie verfolgt: "Alles das, was rechtsradikal ist, würden wir gar nicht erst einstellen, also zum Beispiel Leugnung von Auschwitz oder Bücher, die zum Rassenhass aufrufen, oder antisemitische Literatur", beschreibt Professor Wolfgang Schmitz, Leitender Direktor der Kölner Universitätsbibliothek, die Politik der Einrichtung. Möglicherweise ist das der Grund, dass in Köln nur 23 Bücher aus dem Grabert-Verlag stehen. Schmitz schränkt jedoch ein: "Wenn so etwas wie die Auschwitz-Leugnung ein Forschungsgebiet eines Dozenten wäre, der sagt, ich möchte mich mit dieser Literatur beschäftigen, dann würden wir das kaufen. Aber wir würden das sicherlich in den Giftschrank stellen."
Ansonsten hat die Universitätsbibliothek Köln eine klare Strategie: "Wir stellen wissenschaftliche Literatur zur Verfügung und alles, was kein wissenschaftliches Niveau enthält, wird bei uns nicht gesammelt. Und diese ganze rechtsradikale Pamphletliteratur überhaupt nicht", erläutert Schmitz. Was eingekauft wird, überprüfen nach seinen Angaben in Köln die Fachreferenten der Bibliothek. Das ist auch in Bielefeld so, für den Fachbereich Soziologie ist Johannes Rogalla von Bieberstein zuständig, dessen Buch "Jüdischer Bolschewismus – Mythos und Realität" auf Grund seiner Urheberschaft für Martin Hohmanns Skandalrede für heftige Diskussionen an der Uni sorgt.
Rektor Dieter Timmermann kann keine Aussage darüber treffen, ob der Einkauf der zahlreichen rechtsextremen Bücher in der Fachbibliothek Soziologie auf Bieberstein zurückgeht. Er räumt aber ein, dass neben Dozenten auch die Fachreferenten selber Bücher bestellen können. "Es ist aber im Moment so, dass wir keine Informationen darüber haben, wer welche Bücher bestellt hat", beschreibt Timmermann das Problem der Universität. An dessen Lösung arbeite man aber. "Wir haben heute morgen mit dem Bibliotheksdirektor gesprochen und er hat uns gesagt, dass man versucht, das ein wenig zu recherchieren. Er ist aber relativ skeptisch, ob da wirklich repräsentative Ergebnisse zustande kommen, weil normalerweise die Besteller nicht festgehalten werden", hat Timmermann aber wenig Hoffnung auf Klärung.
Der Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses AStA, Stefan Bröhl findet es seltsam, dass es nicht möglich sein soll, zu rekonstruieren, wer Bücher bestellt hat. Er kritisiert auch das Rektorat, das seiner Meinung nach viel zu spät handelt. "Wir haben letzte Woche im Rektoratsgespräch gefragt, ob gerade bei Bieberstein nach solcher Literatur geprüft wurde. Da wurde uns gesagt, dass es dafür keinen Anlass gebe und man auch nicht glaube, dass solche Literatur in der Bib stehen würde", beschreibt er die Reaktion des Rektorats.
"Wenn sich niemand daran stört, dass da so etwas steht, sind wir auch nicht gefragt", begründet Rektor Timmermann die bisherige Untätigkeit der Hochschulleitung in dieser Frage. Aber nicht nur an rechtsradikaler Literatur hat sich bisher niemand gestört. Auch die Klassifikation der Bücher in der Soziologieabteilung über ethnische Minderheiten ist in mehr als dreißig Jahren niemandem aufgefallen: Bücher über schwarze Minderheiten stehen unter NE. Die Übersicht am Regal erklärt, dass es sich dabei um Literatur über "Neger, Afrikaner" handelt. Folgerichtig sind Bücher über Sinti und Roma unter ZI für "Zigeuner" zu finden, darunter die Erinnerungen Buch einer Sintezza, die den Holocaust überlebte.
"Die, die so was gut finden, melden sich wahrscheinlich nicht und die anderen gehen wahrscheinlich gar nicht ran an die Literatur", vermutet Timmermann, fügt jedoch hinzu: "Man ist da wohl nicht sensibilisiert gewesen, das sind wir jetzt." Die Konsequenz ist, dass die Kategorisierung geändert wird. Timmermann weist aber auch darauf hin, dass sie mit Bieberstein nichts zu tun habe: "Der Bibliotheksdirektor Lossau hat mir ein Ausleihformular von 1970 gezeigt, da ist das auch schon so gewesen. Bieberstein kam aber erst 1974."
Für den hat die rechtsradikale Literatur in der Bibliothek jetzt Konsequenzen. Bücher aus rechtsradikalen Verlagen darf er nur auf Bestellung durch Dozenten oder nach Rücksprache mit dem Bibliotheksbeauftragten der Fakultät bestellen.
webwecker@aulbi.de
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