Bünder Tageblatt / Neue Westfälische ,
05.01.2009 :
Serie / Viele Schicksale unter einem Dach / Orte jüdischen Lebens: Pension in der Hindenburgstraße litt unter dem Boykott
Von Jörg Militzer
Bünde. Der heute vorgestellte Ort jüdischen Lebens vereint eine ganze Reihe unterschiedlicher Schicksale, wohnten im Haus Hindenburgstraße 32, einer Pension, doch neben den Besitzern auch Gäste und das Personal. Ältere Damen verbrachten dort ihren Lebensabend, betreut vom Besitzerehepaar und Hausgehilfinnen. Eines war ihnen allen gemein: der jüdische Glaube. Und so liegen vor diesem Haus neun Stolpersteine.
Ella Ruben war Inhaberin des Pensionsbetriebes. 1875 in Bochum geboren, heiratete sie den aus Spenge stammenden Kaufmann Emil Ruben und wohnte mit ihm seit Mitte der 1920er Jahre in besagtem Haus. Emil war rund 20 Jahre älter und betrieb einst zusammen mit Louis Löwenstein das Warenhaus Ganz in jenem Fachwerkhaus an der Bahnhofstraße 11, das später als das alte Haus Pollner in die Bünder Lokalgeschichte eingehen sollte.
Doch als Emil und Ella sich kennenlernten, hatte er aufgrund der schlechten Wirtschaftslage das Geschäft schon aufgegeben. Auch der Großteil der Rücklagen wurde durch Inflation und Weltwirtschaftskrise aufgezehrt. Da der einzige Sohn Fritz aus der Ehe mit der ersten Frau Regina bereits im 1. Weltkrieg umgekommen war, fehlte wohl auch die Zukunftsperspektive und so blieben neben der Immobilie an der Hindenburgstraße nur die durch den Pensionsbetrieb erwirtschafteten Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Doch was als lukrativer Nebenerwerb begonnen hatte, wurde durch die von der Nazi-Regierung fast im Tagesrhytmus erlassenen Gesetze und Zusatzverordnungen gegen Juden seit den frühen 1930er Jahren zur immer stärkeren Belastung. Ella hatte neben dem mittlerweile fast 80-jährigen Ehemann auch noch mehrere ältere Damen zu versorgen und dass "arische" Mädchen nicht in jüdischen Haushalten arbeiten durften, machte die Situation nicht einfacher.
Wirklich prekär wurde die Lage, als mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Lebensmittel und Kleidungsstücke nur gegen Bezugsscheine zu bekommen waren. So waren die Geschäfte meist schon ausverkauft, wenn Juden laut Verordnung erst nachmittags einkaufen durften.
Die Belastungen für die älteren Pensionsgäste waren dadurch immens und obwohl bestimmt nicht jeder Todesfall direkt darauf zurückzuführen ist, hätte manches Schicksal möglicherweise einen anderen Verlauf genommen.
Wie vielleicht auch das von Berta Reichenbach. Als Berta Kugelmann 1859 in eine alteingesessene Kaufmannsfamilie in Förste am Harz hineingeboren, war sie die letzte Angehörige der jüdischen Gemeinde des Dorfs. Nachdem Sie den einzigen Sohn Martin im Ersten Weltkrieg und den Mann 1923 verloren hatte, zog sie 1926 nach Osterode. Auf der Suche nach einem ruhigen Lebensabend zog sie im März 1938 in die Bünder Pension Ruben. Hier starb sie am 12. September 1939.
Drei Jahre später, am 24. Juli 1942, starb auch Hausbesitzer Emil Ruben – nur fünf Tage vor der bereits anberaumten Deportation, bei der neben seiner Frau Ella auch noch drei Pensionsgäste in den Tod geschickt wurden. Emil wurde noch in Bünde bestattet, das Haus der Pension Ruben gemäß einem Erlass vom 9. April 1942 vom deutschen Reich eingezogen.
Einschränkungen in allen Bereichen
Die Nürnberger Gesetze, auch Nürnberger Rassengesetze genannt, wurden am 15. September 1935 anlässlich des 7. Reichsparteitags der NSDAP in Nürnberg vom Reichstag angenommen und vom damaligen Reichstagspräsidenten Hermann Göring feierlich verkündet. Der Reichstag war eigens zu diesem Zweck telegrafisch nach Nürnberg einberufen worden. Er erfüllte seinen Auftrag am Abend des 15. September einstimmig. In der Folgezeit bis zum Ende des nationalsozialistischen Deutschen Reiches wurde die Rechtsstellung der Juden durch eine Vielzahl weiterer Gesetze und Verordnungen weiter beschränkt, die fast alle Bereiche des öffentlichen wie des privaten Lebens betrafen.
Bildunterschrift: Hindenburgstraße 32: Mit einem kleinen Pensionsbetrieb in diesem schmucken Gebäude an der Ecke Hindenburg-/Friedrichstraße versorgte Ella Ruben sich und ihren Mann. Der einzige Sohn war bereits 1918 im Ersten Weltkrieg umgekommen.
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