Flüchtlingshilfe Detmold ,
19.09.1992 :
Redebeitrag auf der Demonstration: Flüchtlinge schützen - Asylrecht erhalten!
Eine vietnamesische Vertragsarbeiterin aus Rostock-Lichtenhagen sagte in ihrem Redebeitrag auf der dortigen antirassistischen Großdemonstration unter anderem folgendes:
" ... wenn ein paar Politiker wegen des Pogroms in Lichtenhagen ihre Posten räumen müssen, dann haben sie schon vorher über die Höhe der Abfindung verhandelt. Wahrscheinlich Ende Mai. Seit Ende Mai 92 hat die Konferenz der Innenminister der BRD mit Seiters aus Bonn über die Zuspitzung in Lichtenhagen gesprochen. Der Angriff, das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen war vorprogrammiert ... "
Der inzwischen "beurlaubte" Pressesprecher der SPD-Fraktion im Schweriner Landtag, Knut Degner, benannte im Zusammenhang mit dem Rostocker Pogrom vier Politiker als - so wörtlich - "Brandstifter": Den CDU-Innenminister Kupfer, Rostocks Oberbürgermeister Kilimann, SPD, dessen Stellvertreter Zöllick, CDU, und Innensenator Magdanz, SPD. Der von der SPD gefeuerte Pressesprecher gab öffentlich die Äußerung seines Fraktionskollegen Magdanz wieder, wonach dieser achselzuckend bemerkte, daß die Unterbringung der Flüchtlinge, die in Rostock im Freien kampieren mussten, ohne Probleme hätte geregelt werden könne, dies jedoch "in seinen Augen keine Lösung gewesen" sei.
Rostock war vorprogrammiert, die Zeit wurde nicht genutzt, um rassistische Vorurteile abzubauen. Die politischen Brandstifter haben hingegen Menschen in Not gezielt zur politischen Manövriermasse gemacht.
Noch einmal der ehemalige Pressesprecher der Schweriner SPD:
"Keine Stunde länger dürfen Menschen in diesem Land so gewissenlosen und zynischen Figuren ausgeliefert werden. Sie aber weichen nicht und lügen weiter ... "
Und wie sie lügen. An Menschenverachtung kaum zu überbieten ist dabei die Aussage des CDU-Innenministers Kupfer, daß in Rostock "keinem dort ein Schaden zugefügt worden" sei. Es hätten ja nur "die Räume im untersten Geschoß und in der ersten Etage" gebrannt. "Das Wohnheim der vietnamesischen Staatsbürger war ja ab der 6. Etage."
Rostock, Cottbus, Düsseldorf, Göttingen, Eisenhüttenstadt, Gezin, Brandenburg, Lindental, Leipzig, Dresden, Saarlouis, Bad Lauterberg, Großbieberau, Greifswald, Leverkusen, Lübben, Hanau, Berlin, Spremberg, Oschersleben, Stendal, Augsburg, Sömerda, Eisenau, Markkleeberg ...
Die Liste wird jede Nacht länger. In den Flüchtlingswohnheimen grassiert die nackte Angst, jeder Flüchtling fürchtet um sein Leben. Und auch die seit vielen Jahren hierher Eingewanderten müssen sich fürchten, nachts alleine unterwegs zu sein.
Für die Betroffenen gibt es kein Wort des Bedauerns. Stattdessen Verständnis und Entschuldigungen für die faschistischen Mörderbanden.
Und: Es wird weiter aufgestachelt. Etwa durch den Berliner Oberstaatsanwalt Fätkinhäuer, nach dessen Meinung "Asylantenheime" ohnhin nur "Anlaufstelle für Kriminelle (sind), in denen Täter für Straftaten rekrutiert werden".
Oder durch den Pressesprecher des Bundeskanzleramtes:
" ... Ausländerfeindlichkeit gibt es bei uns nicht in diesem Maße. Es ist eben nur so, dass unsere Bevölkerung sauer ist auf diese Asylbewerber, diese Wirtschaftsflüchtlinge ... Die kamen hierher, weil sie in ihren Ländern kein Auskommen finden, und glauben jetzt, sie kommen gleich in Lohn und Brot ... Also, es geht nur gegen die."
Der zurückgetretene Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, Hermann Heinemann, äußerte vorletzte Woche, er habe "Verständnis für die Ereignisse in Rostock". Und Heinemann hat die Schuldigen, die "Vorgärten verwüsten und Telefonzellen für ihre Notdurft nutzen" auch gleich benannt:
"Ein großer Teil des öffentlichen Unmuts ... ist eindeutig durch das Fehlverhalten bestimmter Einwanderungsgruppen verursacht worden, die das Klima vergiftet haben. Man kann nicht mehr länger darum herumreden: Es handelt sich dabei um Roma und Sinti aus Rumänien und Jugoslawien. Wir müssen diese offenbar nicht anpassungsfähigen Gruppen möglichst schnell wieder in ihre Heimat zurückschicken."
Deutsche Tradition: Es dürfte kaum einen Terrorakt und keine Scheußlichkeit geben, die nicht an Sinti und Roma verübt wurde. Sie wurden totgeschlagen, ersäuft, erhängt, erschossen und vergast - und zwar jeweils im sogenannten "öffentlichen Interesse". Freigegeben jeder Willkür werden Roma in gesellschaftliche normen gepresst und ihnen "ihr" Platz in der bundesdeutschen Alltagsrealität zugewiesen. Zum Beispiel auf der Wiese vor dem Rostocker Flüchtlingsheim, zum Beispiel in einem Wohncontainer am Stadtrand, wie in Detmold-Remmighausen.
Und wer unter uns erinnert sich nicht mehr: Vor nicht einmal zwei Jahren wurden Roma in Bad Salzuflen-Schötmar medienwirksam mit vollgeschissenen Gullis verglichen. Dass den 300 Flüchtlingen nicht mehr als vier Toiletten zur Verfügung standen, suchten wir in den Zeitungen vergebens ...
Und wenn wir uns heute die Losungen des damals geplanten "Sternmarsches" in Erinnerung rufen, wie "Stadt im Dreck - wie lange noch?" oder "Roma raus aus Bad Salzuflen!" und die schließlich erfolgreiche Vertreibung der Asylbewerberinnen in einer Zeitung als "Sieg der Straße" tituliert wurde - und zwar im positiven Sinne - müssen wir zu dem Schluss kommen: Die Grundlagen für das Pogrom in Rostock waren auch hier gegeben.
Dass die Roma keine "Scheinasylanten" oder wie die diffamierenden Bezeichnungen und Wortschöpfungen auch sonst heißen mögen, sind, belegt ein neues Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald: Das Gericht sieht in den pogromartigen Ausschreitungen eine politische Verfolgung, der alle Angehörigen der Roma-Minderheit in Rumänien ausgesetzt sein können:
" ... ist das Gericht der Auffassung, dass die ethnische Minderheit der Roma in Rumänien einer Bedrohungssituation unterliegt, bei der es mehr oder weniger zufällig ist, welcher konkreter Angehöriger dieser ethnischen Minderheit als nächstes Opfer entsprechender Übergriffe wird".
Das Gericht hat daher konsequenter Weise die Asylberechtigung von Roma aus Rumänien allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit bejaht.
Es ist makaber, dass gerade dieses Urteil einen beinahe fliessenden Übergang von Rumänien zur aktuellen Situation in der Bundesrepublik erlaubt.
Es ist unbeschreiblich, weil Worte es nicht ausdrücken können, dass die Überlebenden des Holocaustes - über eine halbe Millionen Roma und Sinti wurden während der nationalsozialistischen Barbarei ermordet - bewußt und gezielt in der Bundesrepublik Deutschland für die Änderung des Asylgrundrechts instrumentalisiert werden.
Genau dieses Asylgrundrecht sollte die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik bewahren. Als Bekenntnis zu der Tatsache, daß in deutschem Namen Millionen Menschen umgebracht und gequält wurden. Angesichts der Tatsache, dass auch viele Mitglieder der SPD in Nazi-Deutschland in Konzentrationslagern gefoltert und ermordet wurden, stellen die Asylbeschlüsse des Parteivorstandes vom vergangenen Wochenende auch einen Verrat an der Leidensgeschichte der eigenen Mitglieder dar.
In dieser Situation sind wir gefordert. Und zwar mehr denn je. Eine entsetzliche Nachricht kommt nach der anderen. Die Forderung der CDU nach Abschaffung des Artikel 16 wird nicht der letzte Schrecken sein.
Was ist also zu tun?
Wir denken, dass wir alle - ob wir es wahr haben wollen oder nicht - ein großes Problem haben: Der Einsatz für die Rechte von Flüchtlingen hat viel Kraft und Aufmerksamkeit gekostet. Mental hat sich in unseren Köpfen die Vorstellungswelt der Flüchtlingsgegner festgesetzt, jedenfalls Scheibchenweise. Es macht einfach stumpf gegen einen übermächtigen Gegner ständig in Aufregung gehalten zu werden.
Wie sollen wir umgehen mit dem Raunen in den eigenen Reihen: "Aber es können doch wirklich nicht alle kommen!" und "Sind es nicht doch zu viele?" Wie sollen wir damit umgehen, wenn die Freundinnen und Freunde sich den Kopf zerbrechen, wie eine Betreung von Asylbewerberinnen in Sammellager organisiert werden könnte, anstatt zu überlegen: "Wie verhindern wir diese Brandherde?"
Wir sollten uns zu einer Schutzgemeinschaft zusammenschliessen, die sich über Art und Weise ihrer Arbeit streiten soll und muss. Aber: Diese Schutzgemeinschaft muss sich an den Menschenrechten orientieren, die jeder Person zustehen. Und sie muss bereit sein, die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber Flüchtlingen notfalls mit illegalen Mitteln durchzusetzen. So, wie die Zeiten sind, werden sie in vielen Fällen die einzigen Mittel sein, einen wirksamen Schutz für Flüchtlinge aufrechtzuerhalten. Von größter Wichtigkeit wird es dabei für uns sein, die Offenheit der Auseinandersetzung zu gewährleisten. Alle Mittel, die eingesetzt werden, müssen offen wirken. Sympathie auch für die Aktionsform ist die Voraussetzung für einen Stimmungsumschwung.
Diese - zugegeben - etwas abstrakten Formulierungen, wollen wir im folgenden mit Leben erfüllen.
1. Wir müssen organisierter als bisher. Aufklärung betreiben: Wir müssen erklären und aufklären z.B. darüber, dass "nicht zu viele Flüchtlinge" hierher gelangt sind, dass und wie die offiziellen Asylstatistiken manipuliert werden, dass z.B. konkret der Roma Josif Colompar, den die Ev.-ref. Kirchengemeinde Hiddesen vor der Abschiebung gerettet hat, in dieser Statistik wegen seiner Folgeanträge gleich dreifach auftaucht.
2. Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat am 6. August klammheimlich den Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge aus der Türkei aufgehoben. Die nächste Aufhebung wird in der kommenden Woche tamilische Flüchtlinge aus Sri Lanka betreffen. Nur an diesen zwei Beispielen lässt sich die Verantwortung der Bundesrepublik für - wie es die Gesellschaft für bedrohte Völker formuliert - "die Beihilfe zum Mord" eindrucksvoll veranschaulichen: Wer Völkermordregime durch Waffenlieferung und Kredite am Leben erhält, darf sich auch nicht über nur einen Flüchtling aus diesen Ländern beschweren. Die BRD ist - nach den USA - der zweitgrößte Verursacher von Fluchtbewegungen weltweit. Sei es durch ökonomische Ausbeutung, sei es durch die sogenannte Militärhilfe - und sei es durch beides, wie in 65 % der Herkunftsländer von Flüchtlingen.
3. Die kommunalen Ausländerbehörden haben -- auch nach Inkrafttreten des sogenannten "Asylverfahrensgesetzes" Spielräume für die Duldung von abgelehnten Asylbewerberinnen. Solange weder der Bund noch das Land Abschiebestoppregelungen erlassen, müssen wir dem Kreis Lippe und der Stadt Detmold Ermessungsentscheidungen zugunsten der Flüchtlinge abverlangen. Josif Colompar hätte auch ohne die Gewährung von Kirchenasyl vor der Verfolgung in Rumänien geschützt werden können. Verwaltungen, die solche Spielräume nicht ausnutzen, müssen dazu gezwungen werden.
4. Sammellager sind nicht - wie der Detmolder Stadtdirektor verkündete - so zu gestalten, dass Konflikte vermeidbar sind. Sammellager zerstören Menschen. Aber das ist nicht alles. Wer nach Hoyerswerda noch Sammellager forderte, war ein potentieller Brandstifter. Wer jetzt noch Sammellager fordert, ist ein Brandstifter. Daran kann sich niemand vorbeimogeln. Solange das Asylverfahrensgesetz mit seinem Konzept der Massenunterbringung nicht zurückgenommen wird, müssen bereits bestehende oder geplante Sammellager vor Ort verhindert bzw. rückgängig gemacht werden. Wer leichtfertig behauptet, die Verhältnisse in Detmold und Lemgo seien ja nicht so wie in Rostock, hat aus den Geschehnissen seit Hoyerswerda nichts, aber auch gar nichts gelernt. Es kommt schließlich nicht darauf an, wie "ruhig" oder "relativ ruhig" es bisher bei uns war, sondern, wie "unruhig" es bei uns sein wird, wenn diese Brandherde erst einmal belegt sein werden.
Wir müssen die Lager verhindern!
Und zwar - dies muss nach dem Nachgeben beider Städte gegenüber dem Land deutlich betont werden - notfalls durch massiven und aktiven zivilen Ungehorsam in Form von Belagerungen oder Besetzungen!
Über all diese - und andere Punkte - möchten wir uns gerne mit euch austauschen. Wir laden euch deshalb zu einem ersten Runden Tisch am Dienstag, den 6. Oktober um 20 Uhr in das Gemeindehaus Hiddesen ein.
Zum Abschluss wollen wir noch auf einen für uns sehr wichtigen Punkt eingehen: Die große Koalition der Asylgegner wird die mit Flüchtlingen solidarischen Gruppen und Menschen zukünftig neofaschistischen Angriffen weitaus ungeschützter aussetzen, als es bisher schon der Fall war. Angst wird deutlich. Angst war auch bei der Vorbereitung und Mobilisierung zu dieser Demonstration spürbar. Diese Angst müssen wir auch zulassen. Aber: Angst soll auch erzeugt werden. Sie trifft Einzelne unmittelbar, andere mittelbar. Doch gemeint sind wir alle. Wir sollten diesen Einschüchterungsversuchen gemeinsam entgegentreten und Betroffene durch Schaffung von Öffentlichkeit schützen. Wenn dies gelingt, kann die Rechnung der Gewalttäter nicht aufgehen, denn: Solidarität ist unsere wichtigste Waffe!
- Grenzen auf und Bleiberecht für alle Flüchtlinge!
- Menschenwürdige und dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in kleinen Wohneinheiten!
- Sofortige Abschaffung der diskriminierenden Warengutscheine!
- Bewegungsfreiheit für alle Asylbewerberinnen!
- Wir fordern die lippischen Delegierten für den SPD-Sonderparteitag am 16. und 17. November in Bonn auf, für den uneingeschränkten Erhalt des Artikel 16 und die sofortige Rücknahme des Asylverfahrensgesetzt zu kämpfen!
Wir wünschen uns allen Power und Mut!
Schönen Dank!
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