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Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
07.05.2004 :
Jetzt ist Versöhnung Gebot der Stunde / Ehemalige KZ-Häftlinge aus Polen trafen mit Erzbischof Hans-Josef Becker zusammen
Paderborn (NW). "Wir waren keine Menschen, sondern Nummern." Mit diesen Worten umschrieb Norbert Widok die Menschenverachtung, die er wie viele seiner Landsleute während des Zweiten Weltkriegs von Deutschen erleiden musste. Der 83-Jährige ist der Leiter einer Gruppe von ehemaligen KZ-Häftlingen aus Polen, die im Liborianum mit Erzbischof Hans-Josef Becker zusammentraf.
"Wir möchten von unsere Erlebnissen erzählen, damit Sie sie weitergeben und die Geschichte nicht vergessen wird", beschrieb Norbert Widok das Anliegen der zwölf Männer und Frauen. Er schilderte, wie er nach seiner Verhaftung in das Konzentrationslager bei Papenburg gebracht wurde.
Die Fahrt in dem mit über 80 Menschen völlig überfüllten Eisenbahnwaggon habe fast drei Tage gedauert; man habe in dieser Zeit kaum etwas zu essen und kein Wasser bekommen. Sein Glück sei es gewesen, dass er gut deutsch gesprochen hätte und man ihm deshalb schließlich eine relativ leichte Arbeit zugeteilt habe.
Er sei dankbar, dass er heute unter völlig anderen Bedingungen in Deutschland sein könne, so Widok weiter. Man dürfe die Vergangenheit nicht vergessen; es gäbe sogar eine Verpflichtung, die nachfolgenden Generationen zu informieren, damit sich diese tragische Geschichte nicht wiederhole. Jetzt sei jedoch Versöhnung das Gebot der Stunde.
Die gegenwärtige Aufgabe bestehe darin, in Europa ein Haus zu bauen, in dem Liebe zwischen den Menschen herrsche. Die deutsch-polnische Aussöhnung werde maßgeblich darüber entscheiden, wann und wie Europa zusammenwachse. Abschließend dankte Norbert Widok für die "freundliche Gastfreundlichkeit, die bis zum Ende unseres Lebens in unseren Herzen bleibt".
Auch Gertruda Slósarek berichtete von schlimmen Erlebnissen während des Zweiten Weltkrieges. Nachdem sie zunächst als Dienstmädchen bei einer deutschen Familie arbeiten musste, wurde sie eines Tages ohne erkennbaren Grund von der SS verhaftet und zur Gestapo gebracht, wo sie mit anderen Gefangenen wochenlang mit sehr wenig Wasser und Nahrung in einem dunklen Keller verbringen musste. Schließlich habe man sie ins Gefängnis der Gestapo gebracht. Dort seien Schläge und andere Demütigungen an der Tagesordnung gewesen.
Weil sie ständig geschlagen wurden und die Ermordung von Mitgefangenen erleben mussten, sei Hass auf alles Deutsche das einzige Gefühl der Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald gewesen. So schilderte Henryk Kugacz seine Erfahrungen. Als er später auf der Flucht von vielen Deutschen Hilfe erfahren habe, habe er dann ein anderes Deutschland kennen gelernt.
Dr. Leonard Cywinski berichtete von seiner mehrjährigen Gefangenschaft im KZ Stutthof, das als letztes Konzentrationslager befreit worden sei. Über drei Jahre habe er dort beim Leichenkommando gearbeitet und nur mit ermordeten Gefangenen zu tun gehabt. Als besonders schrecklich habe er die Ermordung einer Gruppe ungarischer Juden in Erinnerung. Da die Gaskammer von Stutthof klein gewesen sei, habe das Gift nicht ausgereicht, um alle zu töten. Einige der Menschen hätten daher noch gelebt, als sie verbrannt worden seien. Dr. Cywinski betonte, das die Wahrheit der damaligen Geschehnisse nicht versteckt werden dürfe, denn anders gäbe es keine Versöhnung.
Erzbischof Becker zeigte sich beeindruckt von dem Willen der Versammelten, die Vergangenheit nicht zu vergessen, die Zukunft jedoch in Toleranz und gegenseitiger Achtung zu gestalten. Ihr Zeugnis vom Leid, der Verarbeitung dieses Leids bis hin zum Sprechen darüber sei ein Schatz, der wichtig für die zukünftige Geschichte sei. Er gab weiterhin seiner Sprachlosigkeit vor dem Schrecklichen Ausdruck, das jeder Einzelne der Anwesenden erleben musste. "Worte sind brüchig vor dem, was Menschen Menschen antun", sagte Hans-Josef Becker. Man dürfe das schlimmste Kapitel der Deutschen Geschichte nicht beiseite legen, sondern müsse den Herausforderungen der Gegenwart mit dem Wissen um das begegnen, wozu Menschen fähig seien.
Gleichzeitig zeigte sich der Erzbischof besorgt angesichts der aktuellen Diskussion um die religiöse Basis Europas. Es sei ein Symptom der Vergessenheit, wenn es nicht mehr gelänge, eine Integration auf der Grundlage des christlichen Abendlandes zu verwirklichen.
Organisiert und möglich gemacht wurde der Aufenthalt der zwölf Männer und Frauen durch das Maximilian-Kolbe-Werk. Zweck und Anliegen dieses Hilfswerkes ist die Verständigung und Versöhnung zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk sowie die Aufgabe, ehemalige KZ- und Ghetto-Häftlinge aus Polen und anderen Ländern Mittel- und Osteuropas unabhängig von ihrer Religion, Konfession oder Weltanschauung zu unterstützen.
Gruppen, die auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werkes nach Paderborn kommen, werden bereits seit mehreren Jahren ehrenamtlich von Dr. Ursula Fox begleitet, die im Erzbistum in der Erwachsenenbildung tätig war.
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de
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