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WebWecker Bielefeld ,
28.04.2004 :
Großeinsatz in der Kleinstadt
In Bünde demonstrierten am Freitag etwa hundert junge Menschen für ein neues Jugendzentrum. Da bei einer Demo im Januar Böller flogen und ein Polizist angegriffen wurde, begleiteten diesmal etwa 150 Polizeibeamte den Marsch
durch die Innenstadt.
Von Mario A. Sarcletti
"Niedrigste Eingreifschwelle" war die Losung der Polizei für die Demonstration für ein autonomes Jugendzentrum am vergangenen Freitag in Bünde. Neben Bünder und Herforder Polizeibeamten, sollten auch Einheiten aus Gelsenkirchen, Münster und Bielefeld dafür sorgen, dass der Marsch durch die Innenstadt ohne Zwischenfälle ablief. Der Grund dafür, dass 150 Polizeibeamte einhundert junge Leute, viele davon Teenager, bewachten war eine ähnliche Demonstration am 7. Januar, bei der Silvesterkracher flogen und ein Polizeibeamter geschlagen wurde.
Der 7. Januar war der erste Jahrestag des Abrisses des autonomen Jugendzentrums Villa Kunterbunt. Das Haus war den jungen Menschen erst im Jahr 2000 zur Verfügung gestellt und von ihnen renoviert worden, nachdem die erste Villa einem Kreisverkehr weichen sollte. Inzwischen steht dort eine Anwaltskanzlei.
Mit dem Abriss im vergangenen Jahr erfüllte die CDU ein Wahlversprechen von der Kommunalwahl 1999. Damals war die heutige Bürgermeisterin Anett Kleine-Döpke-Güse mit der Forderung »Die Villa muss weg« in den Wahlkampf gezogen. Für die Initiative für ein autonomes Zentrum (IFAZ) ist sie deshalb eine Zielscheibe des Protestes. Am vergangenen Freitag wurde Döpke-Kleine-Güse in der Stadthalle von der CDU erneut zur Bürgermeisterkandidatin gekürt, am Platz vor der Halle fand die Zwischenkundgebung der Demonstration statt.
Auf einem Transparent stand zu lesen: "Villa Kunterbunt statt Lettow-Vorbeck-, Kaiser-Wilhelm- und Bismarckstraße", mit denen schmückt sich nämlich die Zigarrenstadt. An der Ecke der beiden letztgenannten Straße wurde die Demonstration wütender. Der Grund waren Polizeibeamte aus Gelsenkirchen, die anders als ihre Kollegen, die den Zug begleiteten, mit Helm und gezücktem Schlagstock die Demonstranten erwarteten und den Weg Richtung Marktplatz versperrten. Denn dort befindet sich eine Wohngemeinschaft von Neonazis, die Beamten wollten verhindern, dass die Demonstranten dorthin gelangten. Ein Redner bezeichnete die Maßnahme als völlig überzogen. "Überlegt euch doch mal, was die jungen Leute hier für ein Bild von der Polizei kriegen", rief er den Beamten zu.
Vor der Stadthalle machten einige Demonstranten den halbherzigen Versuch zu dem Gebäude zu gelangen. Etwa zwanzig Polizeibeamte drängten sie aber schnell ab, auch die Veranstalter der Demonstration forderten die Heißsporne auf, auf den Kundgebungsplatz zurückzukehren, was diese dann auch taten.
Bei der Kundgebung unterstrich ein Redner die Forderung nach einem Haus: "Wir sind heute hier, um zu zeigen, dass sie unsere Träume von selbstverwalteten Räumen nicht zerstören können", sagte er unter dem Beifall der Demonstranten. Diese Räume waren im Übrigen für die Stadt in der Vergangenheit eine sehr günstige Lösung: Etwa 9000 Euro pro Jahr musste sie an Betriebskosten beisteuern, als es die Villa Kunterbunt noch gab. Im Vergleich zum städtischen Jugendzentrum ein sehr bescheidener Betrag, das monatlich Kosten von mehr als 10.000 Euro verursacht.
Aber es geht bei der Auseinandersetzung wohl weniger ums Geld. "Wir sind heute hier, weil wir ein Haus haben wollen, in dem wir uns politisch organisieren können, organisieren gegen Nazis, Rassismus, Antisemitismus, Sozialabbau und entfremdete Arbeit", sprach der Redner das an, was der Stadtmutter eher Kopfschmerzen bereiten dürfte.
Nach der Kundgebung zogen die Demonstranten zurück zum Bahnhof, Zwischenfälle gab es hier keine. Kurz nach 21 Uhr war Bünde wieder das, was die Bundestagabgeordnete der PDS Petra Pau, die die Demonstration unterstützte, "ein beschauliches Städtchen" nannte, das es "durchaus vertragen kann, durch den eigenen Nachwuchs ab und an aufgeweckt zu werden". Den Polizeieinsatz bezeichnete sie als überzogen. "Man muss sich mal überlegen, was das kostet und was man mit dem Geld sinnvolles machen könnte."
Die Bünder Grünen hingegen sehen in den Menschen, die für das autonome Jugendzentren kämpfen, inzwischen anscheinend gewaltbereite Chaoten. Nachdem sie in den vergangenen Jahren deren Forderungen unterstützten, distanzieren sie sich jetzt von ihnen. Der Grund ist der Demonstrationsaufruf. In dem heißt es ironisch: "Ein autonomes Zentrum ist für uns mehr, als ein Mittel unsere Langeweile zu vertreiben oder die spießbürgerliche Ruhe zu stören. Auch individualistisches Zertrümmern von Bushaltestellenhäuschen oder das Verzieren möglichst vieler Häuserwände mit klugen Parolen und kreativen Rechtschreibfehlern bringen Spannung und Freude ins Leben. Das reicht uns aber nicht." Der Vertreter der Grünen im Jugendhilfeausschuss Wilfried Kura fragt in einem offenen Brief, ob es sich dabei um eine Aufforderung zur Gewalt handle.
Auf dem Flugblatt heißt es auch, bezogen auf die Ermittlungen des Staatsschutzes wegen der Demonstration im Januar: »Keine Aussagen bei Polizei und Justiz! Anna und Arthur halten das Maul!«. Auch in dieser in der linken Szene seit Jahrzehnten verwendeten Formulierung vermutet Kura Gewalt: »Soll damit Abweichlern gedroht werden?«, fragt er in dem Schreiben, das von der Bünder Zeitung, einer Tochter des Westfalenblattes, abgedruckt wurde. Auf die von SPD und Grünen und empfohlene Strategie die Kommunalwahlen abzuwarten, bei einem Machtwechsel werde es mit dem autonomen Zentrum.
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