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WebWecker Bielefeld ,
31.03.2004 :
Ausstellung mit Blindstellen
Eine Ausstellung in der Universitätsbibliothek zeigt Kunstgegenstände vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Vor allem ein Künstler der "Debschitz-Schule" zieht dabei wegen seiner Verstrickung in den Kolonialismus Kritik auf sich. Der Macher der Ausstellung will jetzt nachbessern.
Von Mario A. Sarcletti
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in München eine Kunstschule, die einiges im Kunstbetrieb bewegen wollte, die nach einem ihrer Gründer benannten Debschitz-Schule. Walter Kambartel, Kunsthistoriker an der Universität Bielefeld widmet ihr jetzt eine Ausstellung in der Uni-Bibliothek. Er beschreibt das Besondere an der Münchner Schule: "Die Debschitz-Schule ist im Grunde eine reformorientierte Kunstschule, die den Versuch macht angewandte und freie Kunst miteinander zu verknüpfen. Das konkretisiert sich da auch in Werkstätten. Da wurde Kunst in Beziehung zur Praxis gesetzt", erklärt Kambartel das Wesen der Debschitzschule.
Ein Zeichen für diesen Praxisbezug war, dass der Schule auch Werkstätten angeschlossen waren. Fast revolutionär war, dass die Keramikwerkstatt von einer Frau geleitet wurde. An den meisten Kunstakakdemien waren Frauen gar nicht zugelassen, an Kunstgewerbeschulen höchstens in eigenen Klassen. "Das war zu der Zeit eigentlich neu, dass Frauen sich im Bereich der angewandten Kunst ausbilden lassen konnten", betont Walter Kambartel. Und das gemeinsam mit Männern. Nicht zufällig entstanden deshalb auch Ehen an der Debschitz-Schule, vier dieser Künstlerehepaare widmet sich die Ausstellung.
Die Kunsthistorikern Irene Below vom Oberstufenkolleg findet die auch wegen dieses besonderen Geschlechterverhältnisses interessant. Allerdings hätte sie nicht unbedingt die klassische Mann-Frau-Beziehung, nämlich die Ehe, thematisiert. "In diesem Münchner Zirkel, an dem auch Rilke beteiligt war, wurde viel über Geschlechterverhältnisse debattiert und es spielten auch lesbische und schwule Gemeinschaften eine Rolle", plädiert sie für eine radikalere Herangehensweise, als sie ihr Kollege Kambartel wählte.
Dennoch findet sie die Ausstellung sehenswert: "Ich find die sehr interessant, weil da ja die Vorgeschichte vom Weimarer und Dessauer Bauhaus aufgerollt und die Debschitz-Schule vorgestellt wird, die ist ja weitgehend unbekannt", so die Kunsthistorikerin. Auch ästhetisch kann sie der Ausstellung etwas abgewinnen: "Interessant finde ich auch, dass hier eine im Grundtenor konservative Kunst zu sehen gegeben wird, die man ja sonst selten sieht. Also figürliche, relativ naturnahe Darstellungsweisen, die aus dem Jugendstil entwickelt sind", erklärt Irene Below.
Obwohl sie die Ausstellung also durchaus für zeigenswert hält, äußert sie Kritik an ihr: "Am Schwierigsten finde ich, dass da die Kontextualisierung fehlt, dass schon bei den Biographien der Ausgestellten immer ihre Zeit im Nationalsozialismus weitgehend ausgespart wird", bemängelt Below. Das gelte etwa für den Professor an der Bielefelder Kunstgewerbeschule Arnold Rickert. "Der wurde 1933 von den Nationalsozialisten zum Leiter der Kunsthalle ernannt, nachdem der damalige Leiter rausgeschmissen wurde", weiß die Kunsthistorikerin. Auch ein weiterer der ausgestellten Künstler hatte Verbindungen zum Nationalsozialismus. "Es gilt auch für den Bildhauer Wilhelm Krieger, der das Parteiabzeichen, also den Adler, auf der großen Deutschen Kunstausstellung 1937 ausgestellt hat", erklärt Below.
Im Zentrum der Kritik, die inzwischen auch von der Antifa AG der Universität kommt, steht aber der Bildhauer Walter von Ruckteschell. Von ihm ist ein Teil eines Kriegerdenkmals zu sehen, das bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Altstädter Nicolaikirche stand. Das hölzerne Denkmal besteht aus zwei Figurengruppen. Die eine zeigt eine Frau, die sich von einem deutschen Helden verabschiedet. Irene Below findet, dass man das nicht einfach so aufstellen könne. "So etwas wie das Kriegerdenkmal von Ruckteschell, was stark an die Bildpropaganda im 1. Weltkrieg erinnert, wird ästhetisch überhaupt nicht aufgedröselt und es wird nicht gezeigt, in welchem Kontext das ist", moniert Below.
Der zweite Teil des Denkmals besteht aus einem Vater mit seinem Sohn. Die sehen allerdings nicht teutonisch aus, vielmehr zeigen sie Askari, afrikanische Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, auf Seiten des Deutschen Reichs kämpften. Dort war auch Walter von Ruckteschell, unter anderem als Adjutant des Generals Lettow-Vorbeck. Dessen Schilderungen des Kolonialkriegs in seinem Buch "Heia Safari" liegen in einer Vitrine der Ausstellung, da sie Ruckteschell illustrierte.
Das bekannteste und zugleich umstrittenste Werk des Künstlers fehlt aber in der Ausstellung. Es ist das so genannte Askari Relief, ein 1939 geschaffenes Denkmal für den Kolonialkrieg. Das wurde im vergangenen Jahr in Hamburg wieder aufgestellt, im im lange umstrittenen "Tansania-Park" in der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne. "Da hat es auch sehr umfangreiche Diskussionen gegeben", weiß auch Walter Kambartel. "Von daher ist das ein brisantes Thema, was wir hier jetzt nicht aufgemischt haben", fügt er hinzu. Dabei hat sich Ruckteschell nicht nur künstlerisch dem so genannten Kolonialrevisionismus gewidmet. "Der hat auch Vorträge gehalten über diesen Kolonialkrieg in Ostafrika. Er ist sozusagen beteiligt an dieser Kolonialpropaganda", beschreibt Kambartel die Rolle Ruckteschells in den zwanziger und dreißiger Jahren.
Vor diesem Hintergrund hat er Verständnis für die den Wunsch Belows nach einer historischen Einordnung Ruckteschells: "Da würde ich diese Kritik für berechtigt halten unter dem Aspekt, dass man das vielleicht hätte machen können und sollen." Er überlegt jetzt, noch eine Schrifttafel zu dem Thema aufzuhängen. Eine Begleitveranstaltung zum Thema, wie von Irene Below vorgeschlagen, fände er aber ein bisschen zu viel des Guten: "Im Prinzip ist es ein Thema, das an der Peripherie liegt. Das würde jetzt die Person Ruckteschell zu sehr thematisieren", findet Kambartel. Man sei "objektmäßig unterbesetzt", was Ruckteschell anbelange. Leihgaben seiner Tochter habe man nicht erhalten. Die Hamburger Diskussionen könnten dabei eine Rolle gespielt haben.
Bielefelder Diskussionen wünscht sich Irene Below, zum Beispiel darüber, "wie bestimmte ästhetische Artikulationsformen mit bestimmten politischen Postionen verbunden sind", so ihr Vorschlag. "Das kann man hier an der Ausstellung sehr schön zeigen, das ist ja bei uns sehr vernachlässigt", sieht sie die Schau auch als Chance. "Ich fände es wichtig, dass man sie zum Anlass nehmen würde, die koloniale Kunstgeschichte zu thematisieren", fordert Below. Die Antifa AG möchte die Chance nutzen. Am 20. April um 18 Uhr findet im Hörsaal 2 der Universität eine Veranstaltung unter dem Titel "Töpferkitsch und Massenmord" zum Thema Kolonialismus und Erinnerung statt. Referent ist Heiko Möhle, Geschäftsführer des Sonderforschungsbereichs "Umbrüche in afrikanischen Gesellschaften und ihre Bewältigung" an der Uni Hamburg und einer der profundesten Kritiker des Hamburger Tansania-Parks.
Die Ausstellung ist noch bis zum 2. Mai, Mo-FR 8-22, Sa/So 9-19 Uhr in der Universitätsbibliothek zu sehen.
webwecker@aulbi.de
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